Menschen mit einer feinen Nase haben mehr Freunde. Das ist kein Zufall: Wer nicht gut riechen kann, verpasst unbewusste und unverfälschbare Signale.
Chrissi Kelly fühlte sich nicht mehr wie sie selbst. Die in Großbritannien lebende US-Archäologin hatte 2012 nach einer Virusinfektion den Geruchssinn verloren. Sie hatte das Gefühl, vom Rest der Welt fortzutreiben, losgelöst zu sein. Der Geruchssinn, sagt sie, ist etwas, was uns mit der Natur und unserer Familie verbindet, und ohne ihn können wir nicht voll am täglichen Leben teilnehmen. Sie vermisste die soziale Komponente von Düften: die tiefe Freude, einen geliebten Menschen zu umarmen und sein persönliches Aroma aufzunehmen. »Ein Leben ohne Geruchssinn war für mich zutiefst verwirrend.«
Kelly war so betroffen von dem, was mit ihr geschah, dass sie die britische Wohltätigkeitsorganisation AbScent gründete, die Menschen mit Geruchsverlust helfen soll. Neue Befunde bestätigen Kellys Überzeugung, dass der Geruchssinn einen Teil der Identität eines Menschen ausmacht. Ein europäisches Forschungsteam stellte 2023 fest, dass wir die Ängste und Sorgen anderer Menschen riechen und uns davon anstecken lassen. Eine andere Studie aus China zeigte, dass Menschen mit einem besseren Geruchssinn mehr Freunde haben. »Wir sehen alle möglichen Verhaltenseffekte«, sagt Shani Agron, Neurobiologin am Weizmann Institute of Science in Israel.
Der Mensch hat seine Nase lange unterschätzt. Darwin etwa behauptete, der Geruchssinn sei für den Menschen von »äußerst geringem Nutzen«. Laut Bettina Pause, biologische Psychologin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, könnte ein Grund dafür sein, dass der soziale Geruchssinn außerhalb unserer bewussten Aufmerksamkeit liegt. Ihr zufolge bemerkt man nur, dass sich das Körpergefühl verändert.
Dennoch scheint der Mensch durchaus in der Lage zu sein, den Körpergeruch eines anderen wahrzunehmen. Eine israelische Forschungsgruppe beobachtete, dass Menschen nach dem Händeschütteln mit Personen desselben Geschlechts reflexartig mehr als doppelt so oft an ihrer rechten Hand riechen als vor der Begrüßung.
Durch das Erschnüffeln des Körpergeruchs der Menschen um uns herum nehmen wir eine ganze Reihe von Informationen auf: Wir erkennen Verwandte wieder. In einer israelischen Studie aus den 1980er Jahren etwa waren die meisten frischgebackenen Mütter schon nach zehn Minuten mit ihrem Baby in der Lage, es am Geruch zu erkennen, und umgekehrt erkennen auch Neugeborene ihre Mutter wieder. Wir können außerdem erschnüffeln, wer genetisch verwandt ist: So lassen sich eineiige Zwillinge einander anhand ihres Körpergeruchs zuordnen, selbst wenn sie getrennt leben.
Ein Riecher für Freundschaft
Nicht zuletzt prüfen wir unbewusst mit der Nase, mit wem wir uns anfreunden wollen – dazu bevorzugen wir nämlich jene Menschen, die uns genetisch und im Körpergeruch ähnlich sind. In einer Studie aus dem Jahr 2022 gelang es einer deutschen Forschungsgruppe vorherzusagen, welche Freiwilligen sich zusammenschließen würden, indem sie einfach deren Körpergeruch verglich – sowohl durch die Nase von menschlichen Versuchspersonen als auch mit einer elektronischen Nase (ein Gerät, das aussieht wie ein altes CB-Funkgerät mit Schlauch). Jene Menschen, die ähnlich rochen, unterhielten sich mit größerer Wahrscheinlichkeit gerne miteinander und berichteten außerdem, dass die Chemie zwischen ihnen sofort stimmte. Das deckt sich mit früheren Forschungsergebnissen, denen zufolge wir unbewusst Freunde wählen, mit denen wir einige Gene teilen.
Auch der aktuelle Gefühlszustand springt auf diesem Weg über: Wir riechen es förmlich, wenn jemand gute Laune hat. In einem Experiment in den Niederlanden trugen Freiwillige Wattepads unter ihren Achselhöhlen, während sie sich heitere Videos anschauten. Als andere Freiwillige später an diesen Pads schnupperten, besserte sich ihre Stimmung: Ihre Lachmuskeln reagierten.
Der Körpergeruch vermittelt allerdings nicht nur gute Gefühle. Eine Studie von Bettina Pause und ihren Kollegen aus dem Jahr 2020 fand bei Frauen unterschiedliche Reaktionen im Gehirn auf den Schweiß von Männern, die ein aggressives oder aber ein friedliches Computerspiel gespielt hatten. Es stellte sich heraus, dass Frauen auch besonders empfindlich auf Gerüche von ängstlichen Männern reagierten: Sie scheuten daraufhin in einem Vertrauensspiel eher das Risiko. »Angst signalisiert: Bitte, ich brauche Hilfe!«, sagt Pause. Ihr zufolge könnte das der Grund sein, warum Frauen den Geruch von Angst besser wahrnehmen – historisch gesehen waren es die Frauen, die sich in kritischen Situationen um die Jungen und Schwachen kümmerten. Solche evolutionären Zusammenhänge könnten auch erklären, warum Frauen mit gutem Geruchssinn bei Tests zum Einfühlungsvermögen besser abschneiden, wie eine weitere, kleine Studie der Düsseldorfer Psychologen aus dem Jahr 2022 ergab.
Generell scheint eine sensible Nase unser soziales Leben zu bereichern. Diejenigen, die alltägliche Gerüche besser unterscheiden konnten, fühlten sich laut einer US-Studie auch weniger einsam. In anderen Studien zeigte sich, dass Menschen mit einem besseren Geruchssinn ein größeres soziales Netzwerk, mehr Freunde sowie Kontakte mit Freunden haben. Bildgebende Untersuchungen weisen darauf hin, dass dieselben neuronalen Netzwerke mit dem Geruchssinn und mit der Größe von sozialen Netzwerken zusammenhängen.
Wie genau der Mensch Körpergerüche wahrnimmt und darauf reagiert, ist jedoch nach wie vor ein großes Rätsel. »Es ist ein vielschichtiges Problem, das wir noch lösen müssen«, sagt Johan Lundström, Neurowissenschaftler am Karolinska-Institut in Schweden. Erst allmählich finden Forschende heraus, welche chemischen Stoffe im Körpergeruch unsere Beziehungen beeinflussen. Eines dieser Moleküle könnte Hexanal sein, das den angenehmen Geruch von frisch gemähtem Gras verströmt und das Vertrauen in Menschen zu stärken scheint. Man wisse aber noch nicht, ob diejenigen, die mehr Hexanal in ihrem Körpergeruch haben, tatsächlich als vertrauenswürdiger wahrgenommen werden, sagt Monique Smeets, Sozialpsychologin an der Universität Utrecht in den Niederlanden.
Weitere Forschung werde wahrscheinlich folgen, denn, wie Agron sagt: »Die Pandemie hat den Geruchssinn ins Rampenlicht gerückt.« Omikron scheint der Nase weniger zu schaden als frühere Covid-Varianten. Doch eine Studie aus dem Jahr 2023 schätzte, dass immerhin knapp zwölf Prozent der mit Omikron infizierten Erwachsenen europäischer Abstammung unter Geruchsstörungen litten.
Ein Geruchsverlust bedeutet für die Betroffenen, auf unbewusste, aber möglicherweise wichtige Informationen verzichten zu müssen. Denn Körpergerüche sind »ehrlich« – wir können sie, im Gegensatz zu Worten oder Mimik, nicht vortäuschen. »Ich kann lachen, obwohl ich traurig oder aggressiv bin. Meine chemischen Botschaften dagegen kann ich nicht absichtlich verändern«, sagt Pause. »Solche Informationen sind die einzigen, denen man vertrauen kann.«