Januar

Im Januar ist Realität ohne den Trost der Illusion.

Nie ist man anfälliger für Depressionen als im Januar. Dennoch wird erwartet, dass man im neuen Jahr in den Abstinenzler-Modus schaltet: kein Alkohol, kein Fleisch, kein Zucker und richtig Fitness.

Gerade noch war alles schön. Du lagst im Bett, unter einer warmen Kuscheldecke, Lebkuchentürme in Reichweite, das Büro weit weg, im Kühlschrank genug Essen für eine Woche Schneeverwehungen, im Herzen noch warme Erinnerungen an das weihnachtliche Zusammensein. So könnte es ewig weitergehen.

So könnte es ewig weitergehen. Tut es aber nicht.

Tut es aber nicht. Weil nun der Januar anfängt. Niemand wird Rücksicht darauf nehmen, dass du für deine emotionale Self-Care Winterschlaf bis zur Kirschblüte bräuchtest, noch mehr Lebkuchen und Serienmarathons gegen das Grau-in-Grau auf den Straßen. Und wieder wirst du es nicht schaffen, souverän zu ignorieren, dass die Welt deine Bedürfnisse nicht akzeptiert. Obwohl du längst begriffen hast, wie ernst sie ihre Versicherungen meint, Stress sei ungesund, eine gesunde Work-Life-Balance wichtig und die Ideologie der Selbstoptimierung masochistisch.

Der Januar ist dennoch der Monat, in dem der Mensch endlich aus der Knete kommen und neu durchstarten soll, auch du. Schluss mit dem Gefühlsmatsch, dem Dickerwerden, dem Trostsaufen. Wenn du dir nicht bald beherzt einen Ruck gibst, wird das immer schlimmer werden: Bauchfettdepots, die du nie wieder loswirst, Fettleber, emotionale Unsortiertheit und so weiter. Du kannst nicht so weitermachen, sagt dir jetzt jeder. Auch die Leute, mit denen du gerade noch Glühwein getrunken hast.

Du kannst nicht so weitermachen, sagt dir jetzt jeder. Auch die Leute, mit denen du gerade noch Glühwein getrunken hast.

Sie sind jetzt im Abstinenz-Modus, vier Wochen kein Alkohol, solltest du ruhig auch mal probieren. Ins Restaurant will auch niemand mit dir, es ist an der Zeit, die Finanzen zu konsolidieren, wirst staunen, wie weit man damit kommt. Und alle denken darüber nach, ob sie sich nicht doch bei einem der Gyms anmelden sollen, die die Stadt seit Wochen mit ihren Lockangeboten vollplakatieren, ohne die geringsten Bedenken vor Überbuchungen, denn sie wissen, dass es im Februar wieder überschaubarer wird.

Selbstverständlich steht es dir frei, bei all dem nicht mitzumachen, wir leben in einem freien Land. Du wirst dich nur ein paar Wochen lang ein wenig einsam fühlen müssen.

Und da du nach den Weihnachtsfestmahlen ohnehin das Gefühl hast, dass zwei Kilo weniger schon okay wären, und du nicht immer der Muffkopf sein willst, der als einziger alles doof findet, was Millionen von Menschen praktizieren, gibst du dann möglicherweise doch nach. Man will nicht „Nichts“ sagen, wenn man gefragt wird, was man sich fürs nächste Jahr vorgenommen habe, weil das klingt, als hätte man nichts mehr vor.

So steuert man unweigerlich Enttäuschungen entgegen. Schließlich ist es klar, dass man all die Askese- und Selbstschindungsprogramme nicht durchhalten kann – der Mensch ist nun mal ein vernünftiges Lebewesen, dem irgendwann doch noch auffällt, wie wenig überzeugend die Gründe sind, auf Rotwein, Zucker oder Impulskäufe zu verzichten. Vor allem im Januar. Wann bräuchte man dringender Trost und Vergnügen?

Schließlich ist er jener Monat, in dem man am ehesten für Depressionen anfällig ist: alle Weihnachtsgeschenke ausgepackt und umgetauscht, bis zum nächsten Urlaub zieht es sich noch ewig, die Menschen auf der Straße tragen noch immer unförmige Daunenjacken, es ist immer noch kalt, windig, dreckig und dunkel. Also praktisch alles wie im Dezember, bloß ohne Adventskalender, Weihnachtsfeiern und Geschenke. Wie im Dezember, nur ohne Trost.

Denken Menschen wirklich, dass sich die letzten zehn Monate durch ein Datum auslöschen lassen und am 1. Januar etwas Neues beginnen kann? Es gibt keinen einzigen guten Grund dafür, dass ausgerechnet im Januar Neuanfänge gelingen sollten. Totaler Schwachsinn zum Beispiel, im Winter zum Veganer zu werden, wenn das Gemüse, das man im Supermarkt bekommt, Variationen von Kohl sind – während man im Hochsommer, in dem die Pfirsiche platzen, die Erdbeeren zuckersüß sind und die Tomaten leuchten, durchaus verführbar wäre.

Was für einen Sinn hat es, in einer Jahreszeit, in der man vielleicht doch einen dickeren Pullover oder einen weicheren Schal bräuchte, geizig zu sein? Warum sollte man sich Muskeln antrainieren, mit denen man dann nicht mal angeben kann? Warum sollte man etwas in einer Jahreszeit anfangen, in der einem die ganze Natur vorführt, dass alles, was einmal leuchtend angefangen hat, am Ende doch verblüht, also völlig vergebens ist?

Im August wären Neuanfänge und lebensverändernde Maßnahmen sehr viel einfacher. Man fühlt sich leichter, unbesiegbarer, steht frischer auf: lauter günstige Voraussetzungen, um Bäume auszureißen, eine Liebesgeschichte anzufangen, sich toll zu finden, sich etwas zuzutrauen.

Weihnachten könnte ja noch ok sein.

Hat es der Januar verdient, dass er die Arschkarte unter den Monaten gezogen hat? Wäre er ein Mensch, müsste man ihn sofort in eine Trauma-Therapie schicken. Und ihm erklären, dass nicht einmal der April oder der September schaffen könnten, was ihm zugemutet wird – glorioser Neubeginn und Hoffnungsträger zu sein.

Vielleicht ist es also das, was du tun solltest: ein wenig Erbarmen für den Januar erbitten. Und eine #SaveJanuary-Kampagne starten. Schon damit du unter deiner Kuscheldecke liegen bleiben kannst.

Der Januar gilt als trennungsreicher Monat. Das beobachtet auch Trennungsberaterin Dorothea Behrmann. Warum sich gerade zu Jahresbeginn viele Menschen für einen Neustart als Single entscheiden, erklärt sie hier. Und auch, welche Fragen man sich vorher stellen sollte.

Das neue Jahr beginnt für einige Paare mit einem Ende – dem ihrer Beziehung. Denn der Januar gilt gemeinhin als Trennungsmonat. Das beobachte ich auch in meiner Praxis: Vor Weihnachten ist es relativ ruhig und Anfang des neuen Jahres kommt dann ein regelrechter Anfragen-Boom von Menschen, die Unterstützung bei der Entscheidung brauchen, ob sie sich trennen sollen – oder nicht. Auch Trennungswillige suchen im Januar häufig nach Hilfsangeboten wie einem Coaching, weil sie Rosenkriege vermeiden und die Trennung so friedlich wie möglich vollziehen wollen.

Warum trennen sich so viele Paare ausgerechnet im Januar? Viele Trennungswillige scheuen sich, eine Trennung an den Weihnachtstagen zu vollziehen, um die Erwartungen der Familie nicht zu enttäuschen. Im neuen Jahr finden jene, die mit der Entscheidung gehadert haben, schließlich den Mut, die Trennung auszusprechen – und dann auch zu vollziehen. Der Jahresanfang bedeutet für die meisten Menschen einen Neuanfang. Man hat im Allgemeinen das Bedürfnis, Dinge zu ändern, mit denen man unzufrieden ist, und das betrifft auch Beziehungen, insbesondere die Liebesbeziehung.

Oft heißt es, Paare trennen sich heutzutage viel zu übereilt. Ich beobachte das Gegenteil. In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, dass Paare auf Gedeih und Verderb aneinander festhalten und lieber unglücklich zusammen sind als allein. Die Angst vor der Veränderung, die finanziellen Aspekte einer Trennung, Angst vor Einsamkeit, vor allem aber die Befürchtung, die Familie zu zerstören, hält viele Menschen davon ab, den längst fälligen Schritt einer Trennung zu gehen.

Und das ist keine Frage des Alters. Scheidung statt Silberhochzeit: Das sagen sich tatsächlich immer mehr Paare, die ihre Beziehung nach vielen Jahren beenden – die Trennung nach 20 Jahren Ehe und mehr machen insgesamt mittlerweile 29 Prozent aller Scheidungen aus. Gerade in dem Lebensabschnitt ab 50 werden die eigenen Bedürfnisse und Lebensentwürfe hinterfragt. In vielen Fällen entscheidet sich heutzutage übrigens eher die Frau für die späte Trennung.

Die Lebenserwartung steigt, wir sind oft bis ins hohe Alter aktiv, daher verwundert es kaum, dass man sich auch mit Ü50 fragt: Kann das alles gewesen sein? Die Wahrscheinlichkeit, dass Paare sich mit den Jahren in unterschiedliche Richtungen entwickeln, ist zudem groß. Und entwickelt sich einer von beiden nicht mit geraten Beziehungen häufig in ein Ungleichgewicht, welches als unbefriedigend empfunden wird.

Bin ich die meiste Zeit unglücklich, fühle mich wohler, wenn der Partner abwesend ist, kann ich mir keine gemeinsame Zukunft vorstellen und möchte auch keine Zärtlichkeiten mehr, sind das Warnsignale, die für eine ernsthafte Krise und nicht für eine vorübergehende (Januar-)Laune sprechen. Beginnt man an der Beziehung zu zweifeln, sollte man zunächst mit sich selbst in Klausur gehen und sich fragen, was in der Beziehung fehlt – und auch, inwiefern man gerade mit sich selbst unzufrieden ist. Vielleicht bin ich unzufrieden mit mir, mit dem Job oder ich habe zu wenig Zeit für mich. Es ist hilfreich, das auseinanderzudividieren, was an Unzufriedenheit mit einem selbst zu tun hat und was mit der Partnerschaft.

Wichtig ist, keine Angst vor den Gefühlen zu haben, die häufig nach einer Trennung auf beiden Seiten ausgelöst werden. Trauer, Wut, Verzweiflung, Ohnmacht oder Hilflosigkeit wollen gefühlt und nicht unterdrückt werden. Je mehr man in der Lage ist, diese Gefühle – auch wenn sie als überwältigend empfunden werden – zuzulassen, desto schneller geht es bergauf.

Sich im Trennungsprozess den Emotionen und Verletzungen zu stellen, fällt Frauen meiner Beobachtung nach meist leichter als Männern. Sie können auch eher eine Zeit lang allein bleiben, um sich zu sortieren und selbst neu zu finden, denn in der Regel sind sie sozial gut vernetzt und können so ihr Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit auch aus anderen Quellen schöpfen. Männer hingegen berichten mir immer wieder von der großen Sorge, dass sie nach der Trennung komplett allein bleiben und lassen sich daher schneller auf eine neue Beziehung ein, stürzen sich in Dating-Abenteuer, in Arbeit oder andere Extreme. Doch das ist dem Heilungsprozess nach einer längeren Beziehung wenig zuträglich.

Natürlich fühlt es sich erst einmal etwas fremd an, nur nach sich zu schauen, im guten Sinne egoistisch zu sein, wenn man also keine Rücksicht auf das nehmen muss, was sich der Partner wünscht. Und hat man im neuen Jahr beispielsweise eine Reise mit dem Partner geplant, als von Trennung noch keine Rede war, sollte man sie trotzdem unternehmen – allein oder mit Freunden. Denn das Abenteuer, sich auf etwas Neues einzulassen, stärkt das Selbstvertrauen und wappnet für die nächsten Monate, bis man wieder zu sich und seinem Glück gefunden hat.

Schafft man es, sich in der Zeit der Krise nicht unterkriegen zu lassen und aus den Fehlern zu lernen, kann aus einer Trennung etwas sehr Schönes entstehen. Im besten Fall ist man persönlich gewachsen und hat die Chance, sich neu zu verwirklichen und kann Beziehungen völlig neu und besser gestalten.

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