Dating als Hobby

„Liebe ist unsere einzige Hoffnung“, sagt Paula Lambert

Warum sagt er nicht gleich, dass er nur Sex will? Wie erkläre ich, dass ich kein Interesse habe? Werde ich jemals die Liebe finden? Antworten hat Beziehungsexpertin Paula Lambert. Ein Gespräch über die Liebe – und warum die Partnersuche in der Krise steckt.

Verletzende, sogar toxische Dating-Trends scheinen heute weitverbreitet. Gefühlt jedes Jahr kommt ein neuer hinzu, mit phantasivollen Namen wie Snowglobing oder Snowmanning. Aber die Probleme, die sie beschreiben sollen, sind meist die alten.

Im Auftrag der Kennlern-App Badoo wurde kürzlich eine Studie zum Thema „Selbstbewusstsein beim Online-Dating“ veröffentlicht. Sie fand heraus, dass jedem Fünften die Zuversicht fehlt, die Liebe zu finden. Das ist ein historischer Tiefstand. Weitere Erkenntnisse: Singles wünschen sich mehr Respekt für eigene Grenzen, unbedingte Authentizität und mit 93 Prozent steht Ehrlichkeit an erster Stelle beim Dating.

Wie die Partnersuche besser laufen kann, fragen wir Sex- und Beziehungsexpertin Paula Lambert, die in der Fernsehsendung „Paula kommt“ und in ihrem Podcast („Paula. Lieben lernen“) Paare und Singles in Liebesdingen berät.

WELT: Das Online-Dating stecke in der Krise, so das Resümee des Reports. Sind wir alle beziehungsunfähig geworden?

Paula Lambert: Es hat sich zumindest ein kleiner Dating-Burn-out eingestellt. Macht man etwas sehr viel, braucht man danach bewusst oder unbewusst eine Pause. Dennoch ist Online-Dating natürlich das Nummer-eins-Tool, um einen Partner zu finden. Viele Menschen haben kaum andere Chancen, jemanden zu treffen, weil sie im Job zu eingespannt sind. Dieser Dating-Burn-out ist aber nur die Konsequenz einer allgemeinen Überforderung. Die Welt ist gerade einfach zu viel. Darum sage ich: Make dating fun again.

WELT: Und wie kann das gelingen?

Lambert: Indem wir den Ernst, die Verbissenheit und auch Bitterkeit, die sich da eingeschlichen hat, herausnehmen, weil wir anderen Menschen mit zu großen Erwartungen begegnen. Männer machen das häufig schon, indem sie sich sagen: Mir geht es – überspitzt gesagt – nur um Sex. So macht man sich’s einfach und dann wird man auch nicht enttäuscht.

WELT: Wie ist das bei den Frauen?

Lambert: Von heterosexuellen Frauen hört man, es gäbe keine vernünftigen Männer mehr, die seien alle gleich. Da ist die Situation ein wenig festgefahren. Was helfen würde, wäre, wenn man sich sagt: Ich mache das nicht, um einen Partner oder eine Partnerin fürs Leben zu finden, sondern weil ich Interesse daran habe, andere Menschen kennenzulernen und in Restaurants oder an Orte zu geraten, an denen ich vorher noch nie war. Man sollte Dating als Hobby betrachten. Dann ist alles leicht, fluffig und macht Spaß. Und niemand muss nach Hause gehen und sagen: Ich wurde nicht gewollt!

WELT: Sie sagen, Frauen verlieben sich fast automatisch, Männer nicht. Das macht das Dating auch nicht einfacher.

Lambert: Die Hormone, ja. Biologisch natürlich nachvollziehbar, weil Frauen nun mal die Nachkommenschaft austragen. Frauen sollten sich einfach bewusst machen, dass durch die Oxytocin-Ausschüttung ein Gefühl der Bindung entsteht.

WELT: Laut der Umfrage bemängelt nahezu jeder der befragten Singles, dass es zu wenig Ehrlichkeit und Authentizität bei der Partnersuche gebe. Würde jeder von ihnen mit bestem Beispiel vorangehen, sollte das doch kein Problem sein. Ist das ein spezielles Phänomen des Online-Datings?

Lambert: Im wahren Leben hat man weniger die Chance, authentische Gefühle zu verschleiern. Beim Online-Dating fällt es leichter, eine fantastische Projektion von sich zu kreieren. Zu Recht sind die Menschen darüber unglücklich, gleichzeitig haben aber viele auch Angst, abgelehnt zu werden, wenn sie sich zeigen. Dabei ist gerade das eine totale Zeitersparnis, denn dann fallen all diejenigen gleich weg, die mich zu anstrengend, zu wild, zu ruhig finden. Also besser gleich sagen, wenn es stresst, dass der andere zu spät gekommen ist. Oder eklig kaut.

WELT: Dann ist aber der nächste verletzte Single nicht weit.

Lambert: Natürlich sollte man das freundlich sagen. Den Leuten muss wieder klar werden, dass jeder bekloppte Eigenschaften hat. Wir müssen wieder eine größere Toleranz gegenüber Echtheit aufbauen. Und das geht nur, wenn wir es üben.

WELT: Sich beim ersten Date verletzlich zu zeigen, klingt erst einmal wenig hilfreich.

Lambert: Wir alle haben Ängste, teilweise irrationale, aber diese Ängste sind nun mal da. Und darum ist es umso schwerer, zu sagen: Das bin ich. Aber ich plädiere dafür, das zu üben. Man ist ja nicht der Einzige, der schräge Verhaltensweisen oder bizarre Ängste hat. Je lauter sie schreien „Ich habe es nicht!“, desto sicherer kann man sich sein, dass sie es haben.

WELT: Nun will mancher wirklich nur Sex und keine feste Beziehung.

Lambert: So einfach ist das nicht. Denn die meisten Leute, die sagen, dass sie keine Beziehung wollen, wollen einfach keine Beziehung mit dieser Person. Die werden aber schnell eine Beziehung wollen, wenn sie auf jemanden treffen, bei dem es sich dann ganz anders anfühlt! Ich finde, man muss lernen, die Intuition zu schulen. Zeig mir einen Chatverlauf und ich schwöre, dass ich schon im zweiten Satz herauslesen kann, ob der andere ein wirkliches Interesse hat – man muss eben zuhören.

WELT: Wie erkennt man möglichst früh, mit wem es was werden könnte?

Lambert: Männer deuten schnell an, auch wenn sie es nicht direkt sagen, wohin die Reise geht. Frauen sind nur wahnsinnig clever darin, sich selbst zu täuschen und sich einzureden, dass da viel Potenzial drin ist. Ein Signal ist etwa einseitiges Interesse – man bekommt keine Nachfragen nach den Erlebnissen des Tages, nach den Interessen. Oder es wird häufig spätabends geschrieben. Das kann natürlich sein, wenn jemand arbeitet, aber jeder weiß, wenn man richtig on fire ist, meldet man sich zu jeder Tageszeit. Außerdem wird immer rasch auf das Körperliche angespielt. Ein einfacher Merksatz ist: Wenn man das Gefühl hat, jemandem hinterherlaufen zu müssen, dann läuft man seinem Muster hinterher.

WELT: Meist funktioniert es ohnehin besser, wenn man die verbissene Suche aufgibt – und sich damit auch aus einer gewissen Bedürftigkeit befreit.

Lambert: Das funktioniert immer besser. Und wenn man bedürftig ist, kann man das auch so sagen: Ich wünsche mir nichts mehr als einen Partner und habe möglicherweise hier und da ein Thema. Wenn der Typ interessiert ist, wird er bleiben. Geht man aber über seine eigene Bedürftigkeit hinweg und verkauft sich als die totale Knallerfrau, dockt sich der andere an diese Scheinversion an – und ist natürlich wahnsinnig enttäuscht, wenn man sein wahres Ich zeigt.

WELT: Die Umfrage hat auch ergeben, dass vor allem toxisches Dating-Verhalten rasant zunehme. Woran liegt das?

Lambert: Schuld daran sind nicht die Dating-Apps, sondern eher die sozialen Medien. Man landet irgendwann in so einer anonymisierten Emotionalität, dass man die Konfrontation verlernt. Instagram, TikTok & Co. zerstören bei vielen Menschen das Gefühl, füreinander einzustehen, wahrhaftig man selbst zu sein, Konflikte auszutragen und auszuhalten, zu sagen, was man will oder auch nicht will. Beim Konsum von sozialen Medien findet eine hohe Dopaminausschüttung statt, weil man so schnell mit Entertainment belohnt wird, dann erträgt man es natürlich immer schwerer, in den direkten Konflikt zu gehen. Die Menschheit wird schlechter. Und in den Dating-Apps spüren die Leute nur die Konsequenzen dieser Verrohung. Deshalb glaube ich fest daran, dass die Liebe unsere einzige Hoffnung ist.

WELT: Single zu sein, muss aber kein Defizit sein, man kann auch ganz im Reinen mit sich selbst sein.

Lambert: Das wäre auch ein erster Schritt, jemanden zu finden, mit dem man das Leben gut bestreiten kann. Aber viele verwechseln Alleinsein mit maximaler Einsamkeit, die sie nicht aushalten und sich deswegen die Wochenenden mit Terminen vollstopfen. Und dann meinen sie, super allein sein zu können. Da gibt es einen großen Unterschied. Denn das Alleinsein auszuhalten bedeutet, sich mit den eigenen Gefühlen zu konfrontieren. Das können viele nicht. Alleinsein wäre das Vergnügen zu empfinden, dass man sich selbst genug ist und weiß, dass man sich auf sich verlassen kann.

WELT: Einer Ihrer Dating-Tipps lautet, sich Mühe beim Treffen zu geben. Wie soll das aussehen – tradierte Höflichkeitsformen wie aus US-Romcoms, der Mann als Gentleman?

Lambert: Nein, das würde mich persönlich zu Tode langweilen. Ein gutes Date ist eines, bei dem sich der andere in seiner vollen Pracht zeigt und man die Möglichkeit hat, sich wirklich kennenzulernen. Und dafür geht man logischerweise nicht ins Kino. Ein Restaurant ist auch nicht so optimal, denn da sitzt man dann bei drei Gängen fest, wenn das Date nicht gefällt. Das erste Treffen würde ich grundsätzlich zeitlich begrenzen. 45 Minuten und dann ist aus. Merkt man, dass es gut läuft, kann man ja verlängern. Man sollte vermeiden, in diese unangenehme Situation zu kommen, jemandem sagen zu müssen, dass man sich langweilt.

WELT: Spaß ist für einige Menschen an Alkoholgenuss gekoppelt. Doch vom ersten Date in einer Bar wird auch abgeraten.

Lambert: Ja, Alkohol vernebelt die Gefühle, dann hält man plötzlich Leute für lustig, die gar nicht so witzig sind, sondern einfach nur laut. (lacht) Ich finde, dass das ideale erste Date im Supermarkt stattfinden sollte – beim gemeinsamen Lebensmitteleinkaufen. Da lernt man alles, was man über den anderen wissen muss. Ist er sparsam, ist er verschwenderisch, kocht er selbst oder kauft er nur Convenience-Lebensmittel, wie ist er zu den Angestellten, ist er an der Kasse geduldig oder ungeduldig, rammt er andere Einkaufswagen weg? Danach weiß man alles, was man für ein zweites Date wissen muss.

WELT: Zumal der Alkohol auch sexuell etwas auslösen kann, das man am nächsten Tag vielleicht bereut …

Lambert: … und sich hätte sparen können. Wer hat das nicht schon getan? Also darum: Bleibt nüchtern, macht irgendwas Alltägliches. Im Supermarkt kann man sich wirklich kaum verstellen.

WELT: Wie lange sollte man chatten, bevor es zum Treffen kommt?

Lambert: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ja Spezialisten, die lieben das Schreiben und wollen erst alles schriftlich erfahren, bevor es ins reale Leben geht. Meiner Meinung nach ist das aber gefährlich, weil man beim Schreiben eine Projektion schafft. Wenn man merkt, dass jemand auf demselben Level ist, ein bisschen Witz hat und ansonsten wirklich liebenswert ist, sollte man sich relativ zügig treffen. Wenn man dann im Zweifelsfall nach einer Dreiviertelstunde sagt, dass man übrigens kein zweites Date möchte, ist nichts verloren, sondern man hatte einen einigermaßen interessanten Abend und eine Geschichte, die man erzählen kann.

WELT: Definitiv die feinere Alternative zum Ghosting …

Lambert: … das ist ja auch eine große Angst von vielen Menschen, aber ebenfalls durch die sozialen Medien sehr trendig geworden. Wenn man eine Beziehung oder Affäre hat und sich jemand nicht mehr meldet, ist das natürlich maximal unanständig. Aber viele Leute sagen ja schon, wenn der andere einfach nicht mehr geschrieben hat, sie seien geghostet worden. Auch das ist nicht sehr höflich. Doch ein Mensch, den man nicht kennt, kann den eigenen Wert weder einschätzen noch darauf Einfluss nehmen. Darum sollte man so was niemals persönlich nehmen, weil es nicht persönlich ist. Der andere war einfach zu feige, zu sagen, dass es für ihn nicht funktioniert. Das sagt mehr über die andere Person als über einen selbst.

WELT: Nicht jeder traut sich ehrlich zu sagen, dass kein Interesse besteht.

Lambert: Man kann auch direkt am Anfang ein Sicherheitswort festlegen – wie bei BDSM-Geschichten. Und wenn der eine „Butterblume“ sagt, weiß der andere, dass er kein Interesse hat – da muss man nicht herumstammeln. Ich glaube wirklich, dass die Liebe, dieses wahre Gefühl der Zuneigung, das Einzige ist, was die Menschheit noch zur Räson bringen kann. Denn liebende Menschen machen keinen Mist. Meistens zumindest.

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