Warum wir in Beziehungen zu Monstern werden

In manchen Beziehungen kommt man sich vor wie in einem Monster-Movie-Film.

In einer Liebesbeziehung – so glauben wir – sollten wir stets gut zu unserem Partner oder Partnerin sein. Schließlich haben wir uns selbst irgendwann aus freien Stücken für diese Person entschieden. Da werden wir in der Beziehung bestimmt so sanft und einfühlsam sein, wie wir nur können, viel netter beispielsweise als zu unseren Freunden. Die mögen wir, dem Partner aber gehört unsere Liebe.

Die Realität sieht verblüffend anders aus. Wenn alles ganz normal verläuft, werden die meisten von uns in einer Beziehung quasi zu Monstern und gehen – ganz nüchtern betrachtet – mit ihrem Partner wesentlich schlechter um als mit manch flüchtigem Bekannten.

Wie erklärt sich unser seltsames Verhalten? Erstens steht eine Menge auf dem Spiel – genau genommen unser ganzes Leben. Freunde sind hin und wieder einen Abend lang mit uns zusammen, da beschränkt sich das Konfliktpotenzial meist auf die Suche nach einem halbwegs akzeptablen Restaurant. Unser*e Partner*in ist dagegen – wenn sich alles gut entwickelt – ein Teil in einem der großartigsten und kompliziertesten Vorhaben, das wir je in Angriff nehmen werden. Denn immerhin bitten wir diesen Menschen, unser Geliebter, bester Freund, Vertrauter, Betreuer, Finanzberater, unser Chauffeur, Erzieherkollege, Begleiter in der Öffentlichkeit und Sexualpartner zu werden. Einen eigenen Haushalt gründen, Kinder großziehen, das Geld der Familie verwalten, die alten Eltern pflegen, die berufliche Karriere planen, in Urlaub fahren und die eigene Sexualität erkunden – alles soll gemeinsam mit dieser einen Person geschehen. Die Jobbeschreibung ist so lang und anspruchsvoll, dass auf dem normalen Stellenmarkt kein Mensch sich darauf bewerben würde.

Die Beziehung als lebenslange Strafe

Obendrein kann man den Partner oder die Partnerin in einer auf Dauer angelegten Beziehung nicht einfach feuern oder davonlaufen, wenn es schwierig wird. Viele frustrierende Situationen werden wesentlich erträglicher, wenn wir wissen, dass wir uns ihnen entziehen können, ohne allzu schwerwiegende Konsequenzen befürchten zu müssen. In einer Langzeitbeziehung dagegen muss ein neu aufkommendes Reizthema unter Umständen jahrzehntelang ertragen werden. Ein Problem, das niemanden zwangsläufig zur Weißglut bringen müsste (das Handtuch auf dem Boden, die verspätet erfolgte Antwort, das Kaugeräusch), kann große Angst auslösen, wenn wir zu der Überzeugung gelangen, es würde nun mehr oder weniger ständig zu dem einen Leben gehören, das uns auf Erden vergönnt ist. Dass wir uns in einen Streit immer mehr hineinsteigern, liegt an der schlichten, aber hoch- explosiven Wahrnehmung in unserem Hinterkopf: dass der andere nicht nur etwas Problematisches tut, sondern geradezu unser ganzes restliches Leben ruiniert.

Im Umgang mit unseren Freunden werden wir nur deshalb nicht zu Monstern, weil sie uns nicht annähernd so schaden können. Wir verbringen oft kaum mehr als ein paar Stunden im Monat mit ihnen und können dabei immer nett sein, weil uns nicht ganz so viel an ihnen liegt. Um einen Menschen anzubrüllen, Türen knallend zu verlassen oder jemanden als dummes Arschloch zu bezeichnen, muss er uns ungemein wichtig sein.

Panik und ein völlig falsches Selbstbild

Zu Monstern werden wir auch deshalb, weil wir, aufgebracht wie wir sind, nicht klar und ruhig sagen, was wir nicht in Ordnung finden, sondern die Fassung verlieren, zu schreien beginnen, schmollen und grummeln. Im Idealfall würden wir unsere*n Partner*in über unsere Gefühle informieren und detailliert erklären, warum wir etwas so oder so sehen. Das erfordert allerdings eine gelassene Sachlichkeit, die wir kaum aufbringen, wenn wir in Panik geraten, weil der Partner angeblich unser Leben zerstört hat. Irgendwann beunruhigen uns unsere Beziehungsprobleme so sehr, dass wir nicht einmal mehr ansatzweise herausfinden können, wie sie zu lösen wären.

Zu Monstern werden wir aber auch, weil wir uns einbilden, wir selbst seien Menschen, mit denen man im Großen und Ganzen recht unkompliziert zusammenleben kann. Aufgrund dieser Fehleinschätzung bereiten wir den Partner weder auf die drohenden Auseinandersetzungen mit uns vor noch entschuldigen wir uns bereitwillig genug für Verletzungen, die wir ihm zufügen. Wir verfallen in den Irrglauben, völlig normal zu sein, weil wir in unserem Leben als Single die eigenen Schwachpunkte nur schwer erkennen konnten. Da wir als Alleinstehende nicht zu brüllen beginnen, wenn wir wütend sind – es hört ja niemand zu –, schätzen wir unser Aggressionspotenzial völlig falsch ein. Oder wir arbeiten ständig, ohne uns bewusst zu machen, dass dies nur unser manischer Versuch ist, sich Kontrolle über das eigene Leben vorzugaukeln, weil uns niemand anruft und zum Essen einlädt – und dass der Teufel los wäre, wenn uns jemand an dieser Selbstablenkung hindern würde.

Erst in Langzeitbeziehungen kommen unsere problematischen Seiten mit den Bedürfnissen und Erwartungen eines anderen in Berührung – und kollidieren damit. Natürlich werfen wir dann dem Partner oder der Partnerin vor, besonders schwierig zu sein. Selbstgerecht halten wir uns für einen relativ vernünftigen und psychisch stabilen Menschen, mit dem es sich durchaus gut zusammenleben ließe, würden wir nur den richtigen Partner finden.

Erschreckenderweise behandeln wir den Partner auch deshalb schlecht, weil wir uns in Sicherheit wiegen. Wären wir unseren Freunden gegenüber so unbeherrscht, würden sie ziemlich schnell das Weite suchen. Beim Partner aber sind wir insgeheim immer zuversichtlich, dass er uns trotz unserer ständigen Reizbarkeit nicht verlassen wird. Seine Loyalität macht ihn zum dankbaren Ziel unserer Not und Verzweiflung. Die Liebe gibt uns die Sicherheit, der anderen Person zeigen zu können, wer wir wirklich sind – ein Privileg, das wir kluger- und netterweise nicht überstrapazieren sollten.

Wie wir uns zurückverwandeln

Um die Selbstgerechtigkeit und Wut nach und nach ablegen zu können, müssen wir akzeptieren, dass wir nicht etwa mit einem außergewöhnlich komplizierten Menschen zusammengekommen sind, sondern dass wir etwas außergewöhnlich Schwieriges zu bewerkstelligen versuchen. Nicht der Partner ist schuld, sondern die Aufgabe.

Außerdem sollten wir uns weniger auf den eigenen Charakter einbilden und erkennen, dass das Leben mit uns sehr wohl schrecklich schwer ist. Es hat uns bisher einfach keiner gesagt. Unsere Freunde sahen dazu keinen Anlass, und unsere Eltern waren unseren Fehlern gegenüber blind – was aber nicht heißt, dass wir ein Muster an Vollkommenheit wären. Wer immer uns aus der Nähe erlebt, wird unweigerlich Anstoß an uns nehmen.

Aber echte Freunde lügen nie.

Zum Glück muss in der Liebe niemand perfekt sein. Erforderlich ist nur, dass wir unsere Unzulänglichkeiten frühzeitig und ohne Selbstgefälligkeit kommunizieren, bevor wir den Partner mit unseren Macken allzu sehr kränken. Wer ist schon fehlerfrei? Die meiste Zeit über verhalten wir uns dumm und nicht besonders nett. Schlechtes Benehmen ist kein Verbrechen, sondern zeigt, dass auch wir nur Menschen sind.

Wir tun uns weh. Tust Du mir weh, um mich fernzuhalten? Tust Du mir weh, um mich zu Dir zu bekommen? Tue ich Dir weh, um Dich fernzuhalten? Vielleicht weiß ich es nicht. Tue ich Dir weh, um Dich zu mir zu bekommen? Ich weiß es, aber ich kann es Dir nicht sagen. Und Du kannst es nicht wissen. Du kannst mir noch nicht mal glauben. Denn ich tue Dir weh
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