Reise zum „Ich“. Die Linzerin Verena Halvax regt in ihrem neuen Buch „Sex – Die Kunst zu berühren“ mit Schreibübungen an, sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und so ein erfüllendes Sexleben zu erlangen. Denn die Autorin ist überzeugt: „Guter Sex ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Reife.“
Auf den ersten Blick lässt der Buchtitel vermuten, es handle sich dabei um einen Sexual-Ratgeber. Doch Verena Halvax geht es viel mehr darum, die Leser dazu anzuregen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Denn sie ist sich sicher: Eine erfüllende Sexualität hängt eng mit der eigenen Persönlichkeit zusammen. Ihr neues Buch beinhaltet nicht nur Theoretisches aus der Sexualtherapie sowie Texte, die sinnliche Anregungen bieten. Die 50-jährige Linzerin schickt ihre Leser mit kreativen Schreibübungen auf eine Reise zum „Ich“. Wir haben mit der sympathischen Autorin über die Wirkung des Schreibens und vor allem natürlich Sexualität gesprochen:
Was, finden Sie, läuft derzeit in der Gesellschaft im Umgang mit der Sexualität schief?
Das ist ein großes Thema. Mittlerweile ist ja praktisch alles erlaubt. Ob Analverkehr oder Swingerclub, man kann anscheinend über alles offen reden. Doch oft steht nur die sexuelle Komponente im Vordergrund. Es sagt keiner was dagegen, wenn du erzählst, dass du jede Nacht einen One-Night-Stand hast. Aber keiner fragt dich: „Wie geht’s dir dabei? Bist du glücklich?“. Hinzu kommen die Offenheit der Medien auf der einen Seite und dieses private Schweigen auf der anderen Seite. Viele trauen sich nicht, mit dem Partner zu sprechen. So sind oft gewisse Wünsche und Fantasien unausgesprochen. Kommunikation ist beim Thema Sex ganz wichtig.
Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach die #MeToo Debatte auf die Menschen ausgewirkt?
Das Thema Sexismus und #MeToo sind natürlich ernst zu nehmen. Ich will nicht, dass Frauen missbraucht, angegriffen oder nachts angepöbelt werden. Aber ich denke, die vielen Übergriffe haben dazu geführt, dass vielleicht auch das natürliche Annäherungsverhalten zwischen zwei Menschen ein bisschen gestört ist. Das Ganze führt zu einer Art neuen Prüderie. Das Thema spürt man, glaube ich, auch ganz extrem in Familien. Viele Väter sind verunsichert und fragen sich: „Wie lange darf ich meine Tochter am Schoß sitzen haben?“ Oder die Mutter: „Darf ich mit meinem Kind gemeinsam in die Badewanne?“
„So selbstverständlich die Sexualität heute ist, so verunsichert sind wir auch wieder.“ Verena Halvax
In Ihrem brandneuen Buch schreiben Sie: „Ich habe von mir gedacht, ich wäre reif genug für eine erfüllende Sexualität … Dann aber begann das große Staunen“?
Ich habe 20 Jahre lang in einer vertrauensvollen Beziehung gelebt, in der wir offen über alles geredet haben. Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben, war ich seit einigen Jahren Single. Dann lernte ich einen Mann kennen und konnte quasi live überprüfen, wie es mir mit den Schreibübungen geht – wieviel Scham habe ich, traue ich mich zu öffnen? Da habe ich gemerkt, wie schwierig das alles ist, wovon ich im Buch so leicht geschrieben habe. Es verlangt so viel Mut, dass man zu sich steht, sich so zeigt, wie man ist und offen über das Thema Sex spricht, dem (neuen) Partner sagt, was einem guttut und was nicht. Ich hatte sehr viele Aha-Erlebnisse.
Sie schreiben auch, dass Sie als Mutter von drei Kindern nicht wollen, dass diese mit einem falschen Bild der Sexualität aufwachsen.
Ja, meine Kinder sollen wissen, dass Sex etwas sehr Gefühlvolles ist. Es geht dabei nicht um Leistung, sondern darum, dass sich zwei Menschen etwas Gutes tun wollen, sich gegenseitig verwöhnen möchten und das lustvoll gestalten.
Was meinen Sie mit der „Kunst zu berühren“?
Die meisten werden zuerst denken, es geht um körperliche Berührung, das ist natürlich auch ein Aspekt beim Sex. Aber in diesem Buch geht es vor allem um die innerliche Berührung, sprich: auf emotionaler Ebene etwas auslösen, sich öffnen, Nähe zulassen und spüren.
Ihr Buch bedient sich der Poesie-Therapie. Was versteht man darunter?
Bei der Poesietherapie geht es einerseits darum, sich mittels Schreiben auf den Weg zu sich selbst zu machen. Andererseits kann auch das Lesen von fremden Texten berühren, zum Nachdenken anregen oder eine Erkenntnis schenken.
Wieso sind die Schreibübungen so wichtig, warum reicht es nicht, das Buch aufmerksam zu lesen?
Weil Schreiben einfach mehr macht mit uns. Wenn wir denken, schwirren die Gedanken umher, man kann sie schwer festmachen. Der eine Gedanke ist gleich wieder weg, dann kommt ein anderer und ich weiß vielleicht schon gar nicht mehr, was ich vorhin dazu gedacht habe. Wenn ich schreibe, setze ich mich bewusst hin, überlege mir zum Beispiel „Was bedeutet denn Sexualität für mich?“. Dann „muss“ ich mich irgendwann auf ein Wort, einen Satz festlegen. So kann ich meine Gedanken ordnen und komme vielleicht auf etwas anderes. Beim Schreiben durchlebe ich auch gewisse Erlebnisse noch einmal – allerdings mit einer Distanz, denn ich bin ja nicht mehr mittendrin. Heute sehe ich es mit einer anderen Perspektive und bewerte vielleicht neuere Erlebnisse, die ich seither hatte, anders.
Welche Kernbotschaft möchten Sie mit Ihrem Buch vermitteln?
Dass Sex etwas total Schönes, zutiefst Intimes und Erfüllendes sein kann. Selten ist man so nackt und intim wie in der Sexualität und damit meine ich jetzt eben nicht die körperliche Nacktheit. Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein und wie weit ich mich emotional öffnen kann, spielen eine wesentliche Rolle. Wenn noch das Gefühl hinzukommt, vom Partner ganz und gar angenommen zu sein – mit all seinen Schwächen und negativen Erlebnissen – dann kann auch etwas Heilendes passieren. Das Buch lässt einen bestimmt reifen, man kann viel über sich selbst erfahren.
Würden Sie uns noch eine Schreibübung verraten?
Gerne: Angenommen Sie würden eine Sexualtherapeutin kennenlernen. Welche Fragen würden Sie ihr stellen?