Leiden und leiden lassen

Warum verletzte Menschen uns in Beziehungen verletzen

Es gehört zu den Rätseln mancher Beziehung, dass nach einigen vielversprechenden Monaten oder Jahren unser Partner ein auffallend aggressives und abweisendes Verhalten an den Tag legen kann. Die frühere Zärtlichkeit und Sanftheit verschwindet, und Härte und Geringschätzung kehren ein. Alles, was die andere Person zu wollen scheint, ist allein mit ihren Freunden auszugehen und mit Fremden zu flirten.

Wir könnten uns fragen, ob wir selbst daran schuld sind. Vielleicht haben wir etwas falsch gemacht und werden – in gewisser Weise zu Recht – dafür bestraft, dass wir die in uns gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben.

Die Wahrheit ist möglicherweise jedoch viel komplizierter. In bestimmten Fällen wird ein Partner oder Partnerin tatsächlich bestraft, aber nicht dafür, dass er oder sie etwas falsch gemacht hat. Wir könnten sagen: Die Person wird gerade dafür bestraft, dass sie etwas richtig gemacht hat.

Nämlich dafür, dass sie nicht die Beziehung beendet, nicht gemein ist, nicht nachtragend, dass sie sich nicht nach anderen umschaut, nicht schreit, nicht schikaniert und nicht demütigt. Sie wird für ihre Zärtlichkeit, für ihre Sanftmut und für ihre Treue gequält.

Doch warum um alles in der Welt könnten sich liebevolle Verhaltensweisen als problematisch erweisen? Weil – und das ist eines der wirklich seltsamen Phänomene der Liebe – die Güte des Partners oder Partnerin in einem Menschen den intensiven Wunsch auslösen kann, dem /der Geliebten heimzuzahlen, was ihm – viele Jahre zuvor in seiner Kindheit – ein Elternteil angetan hat.

Gerade die Zärtlichkeit des Partner, die Freundlichkeit und Loyalität, die Abneigung gegen Gewalt und Unvernunft schaffen die perfekten Bedingungen, unter denen eine verletzte Partei den Groll und die Wut, die sie eigentlich einem enttäuschenden Elternteil schuldet, aber nie ausleben konnte, erlebt und dann umlenkt. Das schreckliche Verhalten wird zu einem äußerst merkwürdigen und zutiefst tragischen Dank für ein großes Maß an Großzügigkeit und Fürsorge.

Am deutlichsten lässt sich dieses Muster nicht direkt in Beziehungen, sondern in Adoptivfamilien beobachten. Die Forschung zeigt immer wieder, dass ein Adoptivkind in der Adoleszenz umso mehr dazu neigt, sehr schwierig zu werden, je netter die Empfängerfamilie ist. Sie bestehlen ihre Adoptivfamilie, kritzeln vielleicht an die Wände, schreien sie bei Streitigkeiten an, sagen ihnen, dass sie sie verabscheuen und knallen die Tür hinter sich zu, bevor sie für Stunden verschwinden.“

Sie haben die Bedingungen geschaffen, unter denen der intensive Schmerz endlich einen Ausweg finden kann.

„Womit haben wir das bloß verdient?“, fragen sich die Adoptiveltern vielleicht verzweifelt. Und die Antwort, so seltsam sie auch klingen mag, lautet: „Gar nicht. Genau deshalb werden sie so schwer verletzt. Sie werden schrecklich behandelt, weil sie nicht schrecklich sind. Sie bekommen zu spüren, was das verlassene Kleinkind einst durchmachen musste, als niemand zuhörte. Sie müssen Schreie hören, die ungehört blieben. Sie haben die Bedingungen der Sicherheit geschaffen, unter denen der intensive Schmerz endlich einen Ausweg finden kann.

Eine Variante derselben Dynamik kann sich – etwas versteckter – in der Liebe von Erwachsenen entfalten. Hinter jedem Drama, das eine Person in einem Paar auslöst, hinter jedem Urlaub, den sie ruiniert, steckt eine dumpfe, unlogische, aber wesentliche Klage: „Wo warst du, als ich dich wirklich brauchte? Wie kannst du es wagen, so gut zu mir zu sein, wo ich doch mein ganzes Leben lang nur Grausamkeit erlebt habe? Wie kann ich mit dieser Schönheit umgehen, wenn der Schmerz mein Zuhause ist? Verpiss dich und verrecke, weil du versucht hast, mich zu retten und zu lieben.“

Hier gibt es keine Alternative als Einsicht, enormes (wenngleich nicht grenzenloses) Mitgefühl – und die Feststellung, dass die Person, die sich so aufführt, sich immer noch sehr nach Liebe sehnt, sie weiß nur nicht, wie sie sie annehmen soll. Eines Tages, nach viel Nachdenken und Therapie – vielleicht lange nach dem Ende der Beziehung –, muss die destruktive Partei einen Weg finden, der ersten Person, die sie jemals geliebt hat, die Wahrheit zu sagen: „Danke, dass du so freundlich warst, meine Wut und meinen Sadismus zuzulassen. Es tut mir leid, zutiefst leid, dass ich versucht habe, dich wegen deiner unermüdlichen Liebe zu zerstören. Ich wollte dir nie etwas antun. Ich wusste einfach nicht, was ich mit dem Schmerz in mir anfangen sollte.“

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