Ekstasen

Sieht zwar dank Falschfarben recht psychedelisch aus, ist aber nur eine mi­kroskopische Aufnahme der Trichome von Cannabis.

Kontrollierte Abschiede vom Ich – Zwei Bücher widmen sich auf ganz unterschiedliche Weise Techniken, andere als bloß normale Bewusstseinszustände zu kultivieren.

Hin und wieder außer sich zu kommen ist ein tief liegender Wunsch, in allen Gesellschaften zu allen Zeiten bekannt. Entsprechend vielfältig sind die Mittel und Techniken, die dafür aufgewendet wurden und werden: Formen der Veraus­gabung, Einstimmung in Rhythmen, Atemtechniken, geistige wie körperliche Exerzitien der Fokussierung, dazu noch die direkt in die Chemie des Gehirns eingreifenden Mittel, die psychotropen Substanzen.

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben sich vor einigen Jahren in einem instruktiven Buch mit der Wiederentdeckung einiger solcher Substanzen befasst. Wiederzuentdecken waren diese Psychedelika – etwa LSD, Psilo­cybin und Meskalin –, weil sie ab den Sechzigerjahren dem von den Vereinigten Staaten angeführten „Krieg gegen die Drogen“ zum Opfer gefallen waren. Womit nicht nur ihr privater Gebrauch kriminalisiert war, obwohl durch ihn we­der physiologische Suchteffekte noch direkte körperliche Schädigungen eintreten, sondern auch alle mit ihnen verknüpften Forschungsprojekte, in denen es nicht zuletzt um therapeutische An­wendungen ging, eingestellt werden mussten.

Erst in den Neunzigerjahren wurden diese Forschungen mit Sondergenehmigungen vorsichtig fortgesetzt. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ha­ben sie deutlich an Fahrt aufgenommen, und die Ergebnisse der zahlreich ge­wordenen klinischen Studien zur Be­handlung von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sind vielversprechend. Entsprechend groß ist deshalb mittlerweile auch das wirtschaft­liche Interesse von Biotech-Unternehmen, sich auf diesem Terrain einzurichten, das als weit gefächerter Zukunftsmarkt gilt: von strikt medizinischen An­wendungsformen bis zu vielfältigen En­hancement-Angeboten, die mehr psy­chische Ausgeglichenheit, Kreativität und Erfolg in Aussicht stellen. Was einst als Praxis einer unproduktiven Gegenkultur von Drop-outs verteufelt wurde, ist mit diesen Angeboten zu Formen der Selbstoptimierung geworden, die ihre Nutzer gerade richtig produktiv halten sollen.

Dieser Rollenwechsel der psychedelischen Erfahrungen ist eine Facette in der Geschichte der Weisen, außer sich zu kommen, die Hanske und Sarreiter nun vorlegen: Historisch weit ausholend, zu­rück bis zu antiken Berichten von Rasereien im Zeichen des Dionysos, ja sogar bis zu den aus Felsmalereien erschlossenen schamanistischen Praktiken im Jungpaläolithikum, und die Psychedelika nunmehr als einen von mehreren Wegen zu anderen Zuständen in den Blick nehmend.

Zentral ist dabei ein Konzept von Ekstasen, das eine reiche Phänomenologie auf zentrale Bestimmungsstücke bringen soll und dazu auch rezente neurowissenschaftliche Untersuchungen zum Effekt psychotroper Substanzen als Untermauerung verwendet: Sie sind demnach durch bestimmte Techniken hervorge­rufene Bewusstseinszustände, die auf die Erfahrung eines absoluten Jetzt zielen, in der Vergangenheit wie Zukunft aufgehoben sind und damit auch das über die Zeit hinweg planende, die Welt taxierende Ich. Gleichzeitig ist darin die Verbindung zu einer anderen Wirklichkeit hergestellt, die in unterschiedlicher, aber meist emphatischer Weise als substantieller empfunden wird als die alltäglich bewältigte Normalität.

Mit diesem recht elastischen Begriff der Ekstase gerüstet, durchqueren die bei­den Autoren das weite historische Terrain, um zuletzt im Kunterbunt der Gegenwart anzukommen. Es geht in diesem historischen Durchgang weniger um neue Einsichten als vielmehr um eine in vielen Facetten überzeugende Zusammenschau: vom Tanz über das Beten hin zu Bemerkungen über die Karriere von Yogatechniken im Westen, das Spektrum gegenwärtiger Spiritualitäten und Achtsamkeiten in allen Preisklassen und die neuen Tendenzen im Gebrauch von Psychedelika.

Der weite historische Bogen ist mit einer Diagnose verknüpft: Ekstasen als grundlegende Formen, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, seien in der hegemonialen westlichen Zivilisation, die nun einmal – hier hat Norbert Elias seinen naheliegenden Auftritt – auf zu­nehmende Selbstdisziplinierung ihrer Mit­glieder und deren Ausrichtung auf planbare Zukunft hinauslief, in Nischen abgedrängt worden. Die jüngste Gegenwart allerdings stehe im Zeichen ihrer individuellen Kultivierung in vielfältiger Gestalt, wenn auch oft in „verdünnter“ Form, was das Aufgehen in einer anderen Wirklichkeit betrifft.

Vielleicht hätte es den ganz großen historischen Bogen, der mit einigen Spekulationen über eine ursprüngliche Rolle von Ekstase-Techniken einhergeht, nicht unbedingt gebraucht, um diese Tendenzen der Gegenwart deutlich vor sich zu haben. Denn schon der durch die Psychedelika nahegelegte Vergleich zur Gegen- und Subkultur der Fünfziger- und Sechzigerjahre zeigt den Umschlag, auf den es Hanske und Sarreiter ankommt: Phänomene der Gegen- und Subkulturen geraten nun in den Mainstream.

Das mag, wie die Autoren glücklicherweise nur vorsichtig anklingen lassen, mit sich verdüsternden Zukunftshorizonten zu tun haben; nach dem etwas sehr einfachen Räsonnement, dass die Gegenwart kultiviert, wer der Zukunft in vieler Hinsicht nicht traut. Aber eine solche Diagnose führt schon deshalb nicht sehr weit, weil hier unter ekstatische Tech­niken nun auch sehr zurückgenommene Formen fallen, vom Microdosing bei den Psychedelika über Yogatechniken bis zu Achtsamkeitsritualen aller Art – Praktiken also, die man so wie jene im florierenden Fitness- und Wellnessbereich, in den sie hineinreichen, auch der Selbstsorge eines durchaus an seiner Zukunft ar­beitenden Ichs zuordnen kann, wie selbstvergessen Exerzitium oder Work-out auch sein mögen.

Auf diese „verdünnten“ Formen der Ekstatik schauen die Autoren durchaus nicht von oben herab. Transformative Er­fahrungen, ob nun durch Trips oder gut eingeübte Meditationstechniken, müssen nicht jedermanns Sache sein, und auch die hedonistischen Varianten sind nicht zu verachten. Was sie allerdings mit Sorge betrachten, ist ein Zug ins Elitäre, der mit den einschlägigen marktförmigen Angeboten der Bewusstseinsindustrie einhergeht, schlicht durch die Zeit und das Geld, die es für sie braucht. Und dass es an die Substanz des ekstatischen Kerns gehen kann, den die Autoren hier immer noch wirksam se­hen, lässt sich gut im Bereich der Psychedelika am Microdosing sehen, also der modisch gewordenen Einnahme psychotroper Substanzen in so geringer Dosierung, dass sicher kein Trip ausgelöst wird.

Haben die Studien recht, welche die berichteten positiven Wirkungen schlicht einem Placebo-Effekt zuordnen, wäre das nicht weiter von großer Bedeutung. Aber eine andere Studie führt den Nachweis, dass psychedelische Substanzen, ohne einen Trip auszulösen, trotzdem für erhöhte neuronale Plastizität sorgen – den sogenannten psychoplastogenen Effekt –, der sich plausibel mit anti­depressiver Wirkung assoziieren lässt. Auf diesem Weg können aus Psychedelika also Psychoplastogene werden, die an der Zerstäubung des Ich vorbei therapeutische Wirkung entfalten: eine Variante, die den ekstatischen Kern herausoperiert.

Vermutlich ist nicht zu befürchten, dass eine solche Medikalisierung den Ton angeben wird. Aber klar ist, worauf sie setzen kann: die immer noch jederzeit leicht abrufbare Dämonisierung psychedelischer Substanzen jenseits tatsäch­licher Risiken. Wobei Letztere – von den nicht antizipierbaren transformativen Er­fahrungen selbst einmal abgesehen – vor allem die Folgen einer bis heute fehlschlagenden Prohibitionspolitik sind: Il­legalität und der Wettlauf zwischen dem Verbieten von Substanzen und den da­raufhin in Umlauf gebrachten neu entwickelten synthetischen Drogen bringt vor allem Gefahren für die Nutzer mit sich.

Es ist einsichtig, dass die Autoren fordern, dieses Regime zu beenden – als eine Folgerung aus der übergreifenden Maxime, dass Ekstasen aller Spielarten, die bescheidenen wie die anspruchsvollen, sollen praktiziert werden können. Was nicht heißt, dass sie daran gleich große gesellschaftsreformerische Hoffnungen knüpfen, denn die ideologischen Verpackungen, mit denen die Angebote zur Intensivierung des Lebens daherkommen, auch darauf weisen sie hin, sind sehr verschiedener und auch oft obskurer Natur.

Diese nüchterne Einschätzung der im weiteren Sinn politischen Rolle von ekstatischen Praktiken unterscheidet Hanskes und Sarreiters Buch vom der Programmschrift über „Bewusstseinskultur“, die der Philosoph Thomas Metzinger vorlegt. Auch bei ihm geht es um Bewusstseinszustände, die das Ich vorübergehend absentieren (mit dem eher grauslichen Wort „nicht-egoisch“ belegt). Auf die Transformationserfahrungen kommt es dabei an, weswegen zu hohe Verdünnungen bei ihm nicht in Betracht gezogen werden: Bestimmte Psychedelika und anspruchsvolle Meditationspraktiken sind die exemplarischen Techniken, um sie zu erzeugen. Wobei der Autor, mit beiden gut bekannt, Letzteren den Vorzug gibt, ohne den Nutzen der Ersteren in Abrede zu stellen. Und groß sind die Hoffnungen, die er an ihre gesellschaftliche Etablierung auf breiter Front knüpft.

Denn die in solchen Bewusstheits­zuständen erschlossene nichtbegriffliche Selbsterkenntnis soll bei ihm zu einer in­tellektuellen Redlichkeit der Selbstwahrnehmung führen, die einzig noch ermöglichen könne, die planetare Krise zu be­wältigen: Da offenbar keine diskursiven Bemühungen, keine intellektuellen Einsichten erreichen könnten, dass das hinter ihr stehende fatale ökonomische Wachstumsmodell verabschiedet wird, bleibt bei Metzinger nun noch die Ich-lose Selbstbegegnung, um eine Revolution des Selbstverhältnisses zu erreichen und damit auch angemessenes Handeln auf den Weg zu bringen.

Der ekstatische Ich-Verlust als notwendiger Durchgangspunkt einer neuen Form der Bewusstseinskultur, die älteste wie neue Menschheitsfragen beantwortet, so lässt sich der nicht gerade klein zu­geschnittene Grundgedanke resümieren. Herauszufinden ist dann, welche Be­wusstseinszustände kultiviert werden sol­len, nämlich im tiefen Möglichkeitsraum, der sich jenseits der Konsensrea­lität des routinierten Alltagsbewusstseins auftut und den Psychedelika oder Meditationspraktiken erschließen. Dort soll auch – eine heikle Übersetzung damit einhergehender Erfahrungen – das „reine Bewusstheits-Bewusstsein“ sich er­schließen, das eine viel tiefere Beziehung zu allen fühlenden Lebewesen stifte, als es alle Normalzustände erlauben.

Jenseits von ihnen lockt hier viel: Die Angst vor dem Tod lässt sich durch den vorweggenommenen Ich-Zerfall temperieren, und eine aus den Tiefen des Bewusstseinsraums geschöpfte säkularisierte Spiritualität könnte die zerschlissenen Religionen mit ihrem fatalen Gepäck an Illusionen ablösen. Die „naturalistische Wende im Menschenbild“ ließe sich redlich bewältigen und die an Profit orientierten Bewusstseinstechniken, denen wir in der monetarisierten Aufmerksamkeitsökonomie im­mer gnadenloser ausgesetzt sind, könnten durch solche ersetzt werden, die an Gemeinwohl und einer Förderung von geistiger Autonomie orientiert sind. Wie überhaupt ökonomisches durch geistiges Wachstum sich ersetzen ließe und eine dringend benötigte Form der Weisheit auf den Weg käme.

Mehr Erwartungen lassen sich an die Kultivierung von Zuständen der Ich-Auflösung eigentlich kaum knüpfen. Selbst wenn der Autor darauf Wert legt, den Konjunktiv zu benutzen, weil das Ganze ein „ergebnisoffener Vorgang“ gesellschaftlicher Debatten über die einzuschlagenden Wege im Raum der zu fördernden Bewusstseinszustände und -techniken sein soll. Weder in der Herangehensweise noch in der Diktion, wohl aber in der Größe der durchscheinenden Erwartungen erinnert dieser Entwurf an einige der Hoffnungen, die Autoren wie Aldous Huxley oder Timothy Leary einst an Meskalin oder LSD knüpften.

So maßlos Metzingers aufs Ganze ge­hender Grundriss ist – und als gesellschaftlich ortloser Appell notgedrungen naiv –, so interessant ist er gerade deshalb in einigen seiner Facetten. Bei Hanske und Sarreiter findet sich kein Verweis auf das vor ihm schon vor Jahren aufgebrachte Konzept der Bewusstseinskultur. Was fast schade ist, denn ein Podium mit diesen beiden nüchternen Gegenwartsdiagnostikern in Sachen Ekstatik und dem in eine offene Zukunft stürmenden philosophischen Universalreformer – man stellt es sich ganz anregend vor.

Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter: „Ekstasen der Gegenwart“. Über Entgrenzung, Subkulturen und Bewusstseinsindustrie. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 351 S., geb., 28,– €.

Thomas Metzinger: „Bewusstseinskultur“. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise. Berlin Verlag, Berlin/München 2023. 208 S., geb., 22,– €.

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