Um glücklich zu sein, brauchen wir das Gefühl von Verbundenheit. Fehlt es in der eigenen Partnerschaft, kann das besonders schmerzhaft sein, wissen Sabine und Roland Bösel
Viel schlimmer als das Alleinsein sei, mit Menschen zusammen zu sein, die einem das Gefühl geben, alleine zu sein. Das soll der verstorbene Schauspieler Robin Williams einmal gesagt haben. Und tatsächlich ist Einsamkeit nicht nur ein Thema derjenigen, die niemanden haben, an den sie sich an kalten Februartagen schmiegen können. Es ist auch eines derer, die zu zweit sind. In Umfragen sagt mehr als ein Drittel der Befragten, dass sie sich in ihrer Beziehung hin und wieder oder häufig einsam fühlen. Das US-Magazin „The New Yorker“ hat dafür sogar einen eigenen Begriff geprägt: „marital loneliness„, also eheliche Einsamkeit.
Die Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel beobachten dieses Phänomen häufiger in ihrer Praxis. Zu ihnen kommen Paare aus den unterschiedlichsten Gründen: weil sie oft streiten, einer fremdgegangen ist oder es Uneinigkeit bei der Kindererziehung gibt. Sehr oft stecke hinter diesen Problemen in Wahrheit Einsamkeit. „Es hängt sich nur woanders auf, hat einen Nebenschauplatz“, sagen die Paarexperten. Was sind die Gründe und wie kann es gelingen, die Nähe wiederherzustellen?
STANDARD: Jemand sitzt auf dem Sofa, neben einem liest der Partner ein Buch, die zwei Kinder schlafen friedvoll. Trotzdem ist da dieses Gefühl der Einsamkeit. Wieso?
R. Bösel: Einsamkeit bedeutet nicht nur, alleine zu sein und sich auch so zu fühlen. Es kann auch ein Ausdruck davon sein, sich nicht mit anderen verbinden zu können. Manche Paare sitzen einfach nur still nebeneinander, halten Händchen und fühlen sich miteinander verbunden. Andere reden ununterbrochen, sind jedoch in zwei getrennten Welten unterwegs. Es kann sehr hart sein, wenn man so nebeneinander verdorrt. Wir Menschen brauchen ja diese Verbindung! Also ja, Einsamkeit ist auch in Beziehungen ein großes Problem …
STANDARD: Von dem verstorbenen Schauspieler Robin Williams ist ein sehr interessantes Zitat bekannt: Früher habe er gedacht, dass es das Schlimmste sei, am Ende des Lebens alleine zu sein. Dann habe er erkannt, dass es viel schlimmer sei, mit Menschen zusammen zu sein, die einem das Gefühl geben, alleine zu sein.
R. Bösel: Wir wissen, wie es bei Robin Williams weitergegangen ist: Er wurde schwer depressiv. Einsame Menschen können sehr krank werden. Manche Menschen schaffen es aber nicht, klare Worte für ihr Gefühl zu finden. Für ihre Beziehung ist das natürlich fatal, denn entweder man leidet dann stillschweigend vor sich hin, bis ans Ende seiner Tage. Oder aber man explodiert irgendwann – und verlässt den Partner oder die Partnerin.
In dem Film „Crazy, Stupid, Love“ wird dieses Phänomen ganz ausgezeichnet dargestellt. Ich habe schon einmal in einem Interview davon erzählt, weil der Film viele Beziehungsmuster sehr gut zeigt. So auch die Einsamkeit in der Ehe. In einer Szene sind Steve Carell und seine Frau – gespielt von Julianne Moore – in einem Restaurant, und er fragt sie, welche Nachspeise sie möchte. Sie antwortet: Ich will keine Nachspeise – ich will die Scheidung! Er ist vollkommen fertig, reagiert aber nicht, bringt nichts raus. Sie legt dann noch eins drauf und sagt, sie habe mit einem Arbeitskollegen geschlafen. Warum sie das tut? Weil sie irgendeine Reaktion von ihm will. Der Film treibt es natürlich auf die Spitze, aber das Problem ist real.
S. Bösel: Mit Sticheleien versuchen manche, doch noch an den Partner oder die Partnerin heranzukommen. Bei einem Streit spüren sie den anderen wieder. Er ist ganz da.
Übrigens wählen auch viele Kinder diese Methode, wenn sie ihre Eltern erreichen wollen. Wenn sie keine Aufmerksamkeit von ihnen bekommen, machen sie Blödsinn. Die Logik dahinter: Besser Mama und Papa sind böse und schimpfen mit mir, als sie ignorieren mich.
STANDARD: Es geht bei der Einsamkeit also darum, den anderen emotional nicht mehr erreichen zu können?
R. Bösel: Genau. Aber es ist auch keine Schuldfrage in dem Sinn, dass einer die Bedürfnisse des anderen nicht erkennt. Denn er erfährt ja vielleicht gar nicht davon und ist auch nicht in der Lage, sie zu erkennen. Wie in „Crazy, Stupid, Love“: Carells Frau erreicht ihn nicht, das stimmt schon – gleichzeitig hat sie wohl auch nicht das Vermögen, ihrer Einsamkeit Ausdruck zu verleihen. Aus dem Nichts heraus zu sagen, dass man die Scheidung will, ist ungefähr so, als würde man den Nächstbesten auf der Straße anreden und fragen, ob er einen heiraten will.
STANDARD: Vielleicht hat die Frau in dem Film aber auch schon vieles andere versucht, bevor sie sagt, dass sie sich scheiden lassen will …
S. Bösel: Vielleicht. Nun erhöht sie die Dosis, wodurch eine Krise entsteht – die wiederum eine Chance sein könnte.
STANDARD: Wenn Paare mit einem Problem zu Ihnen in die Praxis kommen. Wie oft steckt Einsamkeit dahinter?
R. Bösel: Sehr oft. Ich würde sagen, bei ungefähr jedem zweiten Paar. Aber nur jedes zehnte kann so klar benennen, worum es eigentlich geht. Die Paare kommen aus anderen Gründen – weil sie andauernd streiten, einer fremdgegangen ist oder sie sich bei der Kindererziehung nicht einig sind. Es hängt sich also woanders auf, hat einen Nebenschauplatz. Im ersten Moment ist das, worum es wirklich geht, nicht sichtbar.
Vor ein paar Monaten war eine Frau bei uns, die starke Migräne hatte. Sie hatte bereits die leise Ahnung, dass es etwas mit der Beziehung zu tun haben könnte. Nach der sechsten oder siebten Sitzung kam heraus, dass sie sich einsam fühlte neben ihrem Partner.
STANDARD: Gibt es Menschen, die eher zur Einsamkeit verdammt sind als andere?
S. Bösel: Es gibt Menschen, die dieses Gefühl der Einsamkeit schon in ihrer Kindheit erfahren haben. Sie sind dann auch als Erwachsene in ihren Liebesbeziehungen öfter einsam. Typischerweise finden sie sich auch viel schneller damit ab. Anders als andere klopfen sie nicht energisch beim Partner oder bei der Partnerin an und sagen: „Hey, ich kann dich nicht erreichen!“ Wer sich als Kind schon so gefühlt hat, hat sich oft mit dem Gefühl abgefunden und leidet still vor sich hin. Und der andere glaubt, er sei eh zufrieden …
R. Bösel: Um in einer Metapher zu sprechen: Es ist wie Hunger zu haben, aber zu fasten. Diese Menschen sind verstummt und können ihre Bedürfnisse weder spüren noch äußern.
STANDARD: Weil sie es vielleicht auch nicht gelernt haben?
R. Bösel: Das kann ein Grund sein – oder es ist eine Art Strategie, die sie sich in der Kindheit angeeignet haben. Wir hatten einmal ein Paar bei uns in der Praxis, bei dem der Mann als Kind mitbekam, wie sich seine Eltern regelrecht geprügelt haben. Er ist in seinem Zimmer gesessen, hat die weiße Wand angestarrt und versucht, sich zu beruhigen. Genauso macht er es jetzt im Streit mit seiner Frau: Er zieht sich zurück. Seine Frau machte das lange verrückt. Sie fragte sich, was bloß mit ihm los war. Irgendwann begann sie zu verstehen, dass ihm diese Einsamkeit Sicherheit gibt. Wäre er als Kind aus seinem Kinderzimmer rausgegangen, hätte er Gewalt erlebt. Die weiße Wand war seine Rettung. Deswegen ist es so wichtig, sich als Paar richtig kennenzulernen.
STANDARD: In welcher Phase einer Beziehung kommt es denn am häufigsten zu so einer Einsamkeit?
R. Bösel: Wenn die Kinder kommen. Das Schlimme ist, dass das oft erst Jahre später an die Oberfläche kommt. Wir hatten unlängst so einen Fall: Eine Frau sagte 20 Jahre später zu ihrem Mann, dass sie nie überwunden habe, dass sie so viel allein mit den Kindern war und er so viel gearbeitet hat.
S. Bösel: Schwierig ist das deshalb, weil beide Partner ein anderes Bedürfnis nach Austausch haben. Bei uns war das auch eine Zeitlang so: Wir haben abwechselnd gearbeitet und uns um die Kinder gekümmert. Der, der gerade gearbeitet hat, war den ganzen Tag über im Austausch mit anderen und war einfach nur müde. Während sich der andere nach einem Gespräch mit einem Erwachsenen sehnte. Wir haben das dann mit einem Ritual gelöst: Derjenige, der der zu Hause war, durfte erst mal von seinem Tag erzählen. Der andere hörte nur zu. Dann wurde gewechselt.
R. Bösel: Ein zweiter Punkt im Leben, wo es auch oft zur Einsamkeit kommt, ist, wenn die Kinder ausziehen. Denn Kinder bringen eine Beziehung zwar zuerst durcheinander, aber später können sie sie auch stabilisieren. Sie sind eine Aufgabe, ein Verbindungsglied. Sind sie weg, müssen die Eltern plötzlich wieder ein Paar sein, was oft nicht ganz so leichtfällt.
S. Bösel: Manchmal ist es aber auch der Fall, wenn man zusammen ein großes Projekt hat, zum Beispiel ein Haus baut. Ein Hausbau ist aufwendig und anstrengend. Manchmal geht es dann gar nicht mehr um die Beziehung, sondern nur noch um das Haus. Und ist es fertig, trennt man sich.
STANDARD: Dabei denkt man, es wäre ein Projekt FÜR die Beziehung …
S. Bösel: Ich habe über Jahre ein Paar begleitet, das in so einer Situation war. Das Haus, das sie gebaut haben, muss wirklich ein Schmuckstück gewesen sein! Aber der Frau ist es immer schlechter gegangen. Der Mann hat das nicht verstanden, er dachte: Jetzt habe ich diese teure Küche einbauen lassen und den Marmor-Boden verlegt – warum ist sie nicht zufrieden? Der Grund war, dass sie sich nicht mehr mit ihm verbunden gefühlt hat, weil er nonstop mit dem Haus beschäftigt war. Auch die Sexualität hat gelitten. Das Haus wurde also immer größer und die Verbindung zwischen den beiden immer weniger. Sie haben verloren, was sie glücklich machte, nämlich jemanden zum Reden. Und dafür braucht man keinen Palast.
STANDARD: Kann es auch passieren, dass Paare sich auseinanderleben? Sie spüren keine Missgunst, aber haben andere Hobbys und Werte entwickelt.
S. Bösel: Diese Entfremdung passiert, wenn man sich lange nicht mehr für die Welt des anderen interessiert hat. Es geht dann wahrscheinlich darum, sich wieder aktiv für den anderen zu begeistern. Eine Möglichkeit wäre, ihn einmal pro Woche bei etwas zu begleiten, das er gerne macht. Vielleicht wird es ja ein gemeinsames Hobby? Vielleicht kann man dem Schachspielen doch etwas abgewinnen oder dem Töpfern? Es muss auch nicht jeder Funke überspringen, aber es ist schon wichtig, dass es Dinge gibt, die man gemeinsam machen kann.
R. Bösel: Einer der besten Sätze zur Liebe, die ich kenne, stammt vom Psychoanalytiker Erich Fromm, der meinte: „Liebe ist eine Aktivität.“ Die Menschen wissen das, irgendwo tief drin. Aber sie wissen auch, dass viel Bewegung und Sport wichtig ist – beherzigen das jedoch im Alltag auch nicht.
STANDARD: Was ist, wenn sich jemand regelrecht in ein Hobby verabschiedet?
R. Bösel: Vielleicht ist das ganz harmlos und es macht ihm schlichtweg Spaß. Oder aber es ist eine Art „Ausweg“ aus der Beziehung. Er ist nicht zufrieden und flüchtet sich in ein Hobby oder in die Arbeit. Ein Beispiel: Eine Frau hat lange ihr letztes Hemd für Flüchtlinge gegeben. Ihr Mann beklagte, dass für die Beziehung nichts mehr da war. Der Grat ist schmal: Ist das noch im Rahmen oder schon ein Ausweg?
STANDARD: Einsamkeit, mangelnde emotionale Verbundenheit: Wie gelingt es als Paar, die Nähe wiederherzustellen?
S: Bösel: Indem man abklärt, was jedem wichtig ist und was fehlt.
R. Bösel: Sie kennen ja sicher die fünf Sprachen der Liebe: Lob und Anerkennung, Zweisamkeit, Geschenke, Hilfsbereitschaft und Zärtlichkeit. Das sind die fünf Pfeiler laut dem US-amerikanischen Paarexperten Gary Chapman. Für jeden und jede ist etwas anderes wichtig. Jeder braucht etwas anderes vom Partner, der Partnerin, damit er sich gesehen und geliebt fühlt. Es wäre also sicher lohnend, sich zusammenzusetzen und zu besprechen: Wie sieht es derzeit aus in unserer Beziehung? Vielleicht kommt man dann drauf, dass der andere sich mehr Hilfestellung wünschen würde. Obwohl man dachte, dass er lieber in Ruhe gelassen werden möchte.
S. Bösel: Ich habe meinem Mann zum Beispiel beigebracht, mich zu bemitleiden, wenn mir was wehtut. Gestern hat mir die Schulter wehgetan und er sagte: Du Arme! Mir tut das gut.
Wir legen bei unserer Arbeit mit Paaren sehr viel Wert darauf herauszufinden, was jeder braucht und will. Die eine will nach der Arbeit einfach nur ihre Ruhe, der andere will ordentlich begrüßt werden und eine halbe Stunde zusammen Kaffee trinken.
STANDARD: Wie können sich einsame Menschen besser fühlen?
S. Bösel: Der erste Schritt ist, sich selbst einzugestehen, dass man sich einsam fühlt. Der zweite ist, das mitzuteilen – auch wenn man sich vielleicht dafür schämt. Denn in dem Moment, in dem ich es laut ausspreche, in dem ich es mit anderen teile, entsteht automatisch Verbindung. Das gilt für Paarbeziehungen wie überhaupt in der Gesellschaft. Also anstatt anderen Vorwürfe zu machen und einen Schuldigen oder eine Schuldige für meine Einsamkeit zu suchen: lieber ehrlich über Gefühle sprechen und so die Beziehung wieder aufbauen.
Sabine und Roland Bösel sind Psychotherapeuten mit dem Schwerpunkt Paar- und Imagotherapie. Sie beraten seit mehr als 30 Jahren Paare, sind seit 40 Jahren zusammen und haben drei erwachsene Kinder. Die Bösels haben mehrere Sachbücher veröffentlicht, unter anderem „Leih mir dein Ohr und ich schenk dir mein Herz“, „Warum bist du immer so?“ (Goldmann) oder „Liebe, wie geht’s? 52 Impulse für gelingende Beziehungen“ (Orac-Verlag).
Dieses Interview ist Teil einer Serie zu den drängendsten Fragen der Liebe. Weitere Teile zum Nachlesen:
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