Die schnelle und die langsame Liebe

Ein Kauf für den Harem von Giulio Rosati

Wie eine Partnerschaft dauerhaft gelingen kann, weiß der bekannte Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer. Und stellt klar: die romantische Liebe gibt es kaum, Humor ist wichtiger als man denkt, Verzeihen hingegen ist destruktiv. Ein Gespräch, das Beziehung neu erklärt.

Im Harem, nach Jules Joseph Lefebvre (1874).

Viele wünschen sie sich, aber nicht alle erleben sie: eine funktionierende Beziehung. Doch wovon hängt es ab, ob die Liebe hält? Der bekannte Psychoanalytiker, Bestsellerautor und Kolumnist Wolfgang Schmidbauer weiß aus weitreichender Praxiserfahrung als Paartherapeut, dass es eigentlich gar nicht so viel für das Gelingen braucht. „Nicht die krisenfreie Liebe ist stabil, sondern die krisenerprobte; nicht Streit führt zu bleibenden Störungen, sondern ein Mangel an erotischer Versöhnung“, schreibt er so auch in seinem neuen Buch „Die schnelle und die langsame Liebe“ (Gräfe und Unzer). Wie sich aus einem Begehren eine stabile Partnerschaft entwickeln kann und wo Fallstricke lauern, erklärt der 81-Jährige hier.

„Haremsszene“ von Maurice Bompard (um 1900).

ICONIST: In Ihrem Buch sprechen Sie von der „schnellen Liebe“, meinen Sie damit eine, die schnell vorbeigeht?

Wolfgang Schmidbauer: Auch, ja. (lacht) Aber erst einmal entsteht sie sehr schnell. Die Sehnsucht ist groß, dass daraus etwas Dauerhaftes wird. Die Paare ziehen zusammen, bekommen Kinder, aber das ist ein riskantes Unterfangen – es muss viel Realität verarbeitet werden. Denn durch die berühmte rosarote Brille überschätzt man den Partner. Zu erkennen, dass er die eigenen Vorstellungen über den Umgang mit Zeit, Geld oder Sauberkeit nicht teilt, kann Partnerschaften zerbrechen lassen.

„Im Harem“ von Amandus Faure (1918).

ICONIST: Sollte man also nicht gleich von Liebe sprechen, wenn man jemanden kennenlernt?

Schmidbauer: Der Beginn wird schon als Liebe erlebt. Wenn auch viele moderne Paare sich am Anfang mit Konstruktionen wie friends with benefits oder situationship davor schützen. Aber ich denke, dass die romantische Liebe ein unsterbliches Ideal ist.

ICONIST: Es gibt ja unterschiedlichste Beziehungsformen heutzutage. Wie definieren Sie dieses Ideal?

Schmidbauer: Zwei Menschen, die denken, auf exklusive, einzigartige und großartige Weise miteinander verbunden zu sein, und sich gegenseitig stärken. Das ist eine unzerstörbare Illusion. Das sieht man auch daran, dass alle Versuche, sie als bürgerlich abzuwerten oder kollektive Lösungen zu finden – wie etwa die Kommune mit wechselnden Partnern –, die romantische Liebe nicht abschaffen konnten. (lacht) Sie ist unsterblich.

ICONIST: Warum?

Schmidbauer: Ich denke, sie ist deshalb so begehrenswert, weil Dinge, die selten gelingen, viel attraktiver sind als welche, die immer gelingen.

„Auf den Terrassen – Laghouat bei Mondenschein“ von Alphonse Étienne Dinet (1897).

ICONIST: Jede Beziehung zehrt erst mal von den berauschenden Gefühlen des Anfangs. Wie lange kann das vorhalten?

Schmidbauer: Man kann mit vernünftigen Maßnahmen kein irrationales Geschehen aufrechterhalten. Natürlich kann man versuchen, das Destruktive zu vermindern. Liebe wächst und gedeiht, wenn sie nicht kaputt gemacht wird. Man muss nichts tun, um ihr Wachstum zu fördern – das wäre sogar eher gefährlich. Paare, die nicht versuchen, ihre Liebe und sich selbst zu verbessern, haben bessere Chancen, ihre Liebesbeziehung zu stabilisieren. Sehr wichtig ist die Fähigkeit zum Humor. Er hilft, die Unvollkommenheiten des Partners, die einem bald auffallen, eher spielerisch zu sehen – und auch mit ihnen zu spielen, statt sie als Gefahr zu verbannen.

„Eifersucht im Serail“ von Fernand Cormon (1874)

ICONIST: Kann also mangelnder Humor eine erfüllte Partnerschaft verhindern?

Schmidbauer: Wenn Paare wenig Humor entwickeln können, brauchen sie sehr viele Regeln und feste Strukturen. Wenn es aber in der erotischen Anziehung liegt, viele Unterschiede zu überbrücken, dann ist Humor unentbehrlich.

ICONIST: Klingt, als sei die langsame Liebe sehr viel anspruchsvoller. Was tun, wenn die anfängliche Euphorie nachlässt?

Schmidbauer: Nun ja, es ist die Liebe, die immer wieder zurückkehrt. Während es zur Verliebtheit gehört, dass man sich gegenseitig nicht loslassen kann. Von John Lennon und Yoko Ono wird ja erzählt, dass sie am Anfang nicht mal allein aufs Klo gehen konnten. (lacht) Irgendwann will jeder wieder seine Privatsphäre. Und in einer guten Liebesbeziehung kann jeder ein Individuum bleiben, mit seinen Eigenheiten. Das Langsame an dieser Liebe ist nun, dass man sich Zeit lässt, den anderen loslässt – und sich freut, wenn er wiederkommt. Es braucht die Fähigkeit, zu vertrauen, dass dadurch die Liebesbeziehung nicht verloren geht, sondern die Bindung bestehen bleibt. Alles andere entspräche der Käfighaltung. Versucht man, seinen Partner zu kontrollieren, führt das nur dazu, dass die Angst nie verschwindet. Und je mehr Angst in der Beziehung ist, desto weniger kann sie sich liebevoll entfalten.

„Das türkische Bad“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres (1862).

ICONIST: Sehen Sie es kritisch, sich von seinem Partner zu wünschen, bewundert zu werden?

Schmidbauer: Eine liebevolle Beziehung besteht auch darin, dass man die Wünsche, bewundert zu werden und für vollkommen gehalten zu werden, nicht allzu ernst nimmt. Denn die kann man nur spielerisch erfüllen, da niemand perfekt ist. Wichtiger ist es, dass sich ein Partner für den anderen interessiert, für dessen Wohlergehen und letztlich auch für dessen seelischen Zustand und seine Entwicklungsmöglichkeiten. Interesse ist das wirkliche Vitamin für langfristige Beziehungen. Allerdings ist Interesse auch etwas, das man der romantischen Überschätzung abringen muss. Denn im romantischen Ideal bin ich gekränkt, wenn mein Partner nicht glücklich ist, denn er müsste doch glücklich sein, weil ich ihn liebe.

ICONIST: Was folgt daraus?

Schmidbauer: Enttäuschung. Und die verhindert, dass ich mich für das interessieren kann, was mit dem anderen ist. Häufig bekommt ein Partner, der heimkommt und ein berufliches Problem hat, kein Interesse, sondern ein Rezept, damit er Ruhe gibt, um als Partner wieder zu funktionieren. Das ist nicht gesund für die Beziehung. Gesund ist das Interesse an dem persönlichen Wohlergehen des anderen. Aber um dieses wahrnehmen zu können, muss man sich auch für die negativen Seiten, also für die Depressionen und Ängste des Partners interessieren. Natürlich kann Interesse nicht alles heilen. Wenn Paare gar nicht mehr miteinander reden oder einer fremdgegangen ist, dann stehen sie vor der essenziellen Entscheidung: Kompensiert man diese Niederlage durch vermehrtes Interesse füreinander und klärt gemeinsam, warum das passiert ist? Oder gibt man das Ganze auf?

„Die Massage“ von Edouard-Bernard Debat-Ponsan (1883).

ICONIST: Bis zu welchem Punkt sollte man verzeihen?

Schmidbauer: Die Geschichte mit dem Verzeihen finde ich überschätzt und oft auch destruktiv. Man kann dem Partner manches nicht verzeihen.

ICONIST: Treibt das Nichtverzeihen keinen Keil in die Beziehung?

Schmidbauer: Man muss weitermachen und wieder eine liebevolle Normalität herstellen. Das bedeutet aber nicht, dass Kränkungen nicht mehr existieren. Im Gegenteil, man kann daraus lernen. Menschen muten sich, wenn Verzeihen angestrebt wird, immer sehr viel zu, wodurch oft vergeblicher Streit entsteht. Viele Menschen erleben es als unvollständige Lösung, wenn sie danach versuchen, wieder ein normales Verhältnis zu finden. Doch es ist wichtig, dass man genau das zulässt und nicht immer wieder die Konflikte anspricht oder versucht, Einigung zu finden.

„Die Pforte des Serails – Erinnerung an Kairo“ von Jean-Jules-Antoine Lecomte du Noüy (1876).

ICONIST: Sie sehen als Ursache für das Scheitern von Beziehungen ein Grundproblem: Wir vergleichen und rechnen auf – „Du liebst mich weniger als ich dich“, „Ich tue mehr für die Beziehung als du“. Dieses Leistungsdenken ist ein gesellschaftliches Phänomen, das man nicht leicht loswerden kann.

Schmidbauer: Nein, das kann man nicht, aber man kann sich distanzieren. Es ist eine wichtige Qualität einer Liebesbeziehung, dass man zufrieden miteinander ist. Und Zufriedenheit ist das Gegenteil von Ehrgeiz. In der Leistungsgesellschaft wird Leistung idealisiert – nur derjenige, der mehr leistet, ist auch mehr wert. In einer Liebesbeziehung ist das aber disruptiv. In Beziehungen ist nicht derjenige, der mehr Geld verdient oder häufiger abspült, der Bessere.

ICONIST: Sie sagen, dass man sich bei Kindern viel abschauen kann, wie meinen Sie das?

Schmidbauer: Vor allem in der Kränkungsverarbeitung kann man sich viel bei ihnen abschauen. Ebenso wichtig ist die Beständigkeit im Wünschen – Kinder und Tiere sind da sehr viel beständiger. Wenn Erwachsen ihrem Liebsten vermitteln, dass sie keine Lust auf Sex haben, kann es natürlich passieren, dass das nächste Mal, wenn Sie Lust haben, der andere sagt: Nee, du hast neulich nicht gemocht, ich mag jetzt nicht. Diese Kränkungsreaktion auf Zurückweisung ist mit dem Stolz der Erwachsenen verbunden – aber in Liebesbeziehungen einfach unglaublich dumm, denn es nimmt viel weg. Gerade in der Erotik beobachte ich oft, wie schädlich es ist, wenn ein Paar anfängt, darüber zu konkurrieren, wer der Coolere ist, also wer weniger Bedürfnisse hat.

„Harem“ von Lovis Corinth (1904).

ICONIST: Und wie vermittelt man dem Partner die Unlust, ohne ihn zu kränken?

Schmidbauer: Es ist wichtig, dass sich ein Paar darauf einigt, nicht lange beleidigt zu sein. Weder sollte man sich selbst beleidigt zurückziehen noch es beim anderen dulden. Natürlich lässt sich eine solche Regel nicht perfekt befolgen, aber Beziehungen sind immer auch Kooperation. Wenn ein Paar darin zusammenarbeitet, nicht beleidigt zu sein, hat es sehr viel bessere Entwicklungschancen.

ICONIST: Die langsame Liebe zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus, beim ersten Streit nicht gleich hinzuschmeißen.

Schmidbauer: Menschen in der hoch entwickelten Gesellschaft wird schon früh beigebracht, Aggressionen zu unterdrücken, konstruktiv zu bleiben – anders würde es in einer technischen Welt wie der unseren nicht funktionieren. Doch in Liebesbeziehungen sollten Affekte und Gefühle da sein, denn sie machen den Menschen erst interessant. Da dazu auch die Aggression gehört, ist der konstruktive Umgang mit ihr auch ein wichtiger Teil von Liebesbeziehung. Eine wichtige Qualität ist daher, dass man sich auseinandersetzt, die Schwächen des anderen aufgreift, statt runterzuschlucken. Streit führt nicht etwa zum Bruch der Beziehung, sondern belebt sie. Nicht der Streit ist das Problem, sondern die verzögerte Versöhnung.

Eugène Delacroix „Odalisque“

ICONIST: Ist das ein Plädoyer für Versöhnungssex?

Schmidbauer: Auch erotische Versöhnung spielt eine wichtige Rolle in der Wiederherstellung von Nähe nach einer Auseinandersetzung. Sexueller Rückzug sollte kein Mittel sein, um seine Aggression gegen den Partner auszudrücken. Doch genau das geschieht häufig, vor allem bei aggressionsgehemmten, verdrucksten Personen. So versuchen sie, ihre Aggressionen indirekt loszuwerden. Oft ist es gar nicht böse gemeint. Doch Ärger, der runtergeschluckt wird, ist nicht weg, sondern führt zu einer generellen Freudlosigkeit. Solange ein Paar sich nach einem Streit wieder versöhnt und das Selbstwertgefühl nicht bleibend verletzt wird, ist gegen Streit nichts einzuwenden. Heute wird vielfach jede Form von Aggressionen dämonisiert, als gäbe es eine komplett harmonische Beziehung ohne Verluste an Kreativität und Gefühlsausdruck.

Zur Person:

Eigentlich wollte Wolfgang Schmidbauer, 1941 in München geboren, Schriftsteller werden. Und hatte, wie er sagt, „schon viel Papier beschrieben“, ehe er sich, auf Anraten seiner Familie (denn man kann doch von der „Kunst“ nicht leben), entschloss, Psychologie zu studieren. 1970 promovierte er. Heute ist er einer der bekanntesten Paartherapeuten Deutschlands und Autor zahlreicher Bücher, von denen einige Bestseller wurden (etwa „Die hilflosen Helfer“). Er lebt in München und Dießen am Ammersee.

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