Liebe um Dein Leben. Es ist Deine einzige Zeit.
Sylvia Plaths Wut auf ihren verlassenen Ehemann und auf ihren verstorbenen geliebten Vater war teilweise eine Verschiebung der Wut auf ihre liebevolle, aber erdrückende Mutter. Ihre aus der Symbiose resultierende schizoide Pathologie (zusammen mit ihrer Bipolarität) trug dazu bei, dass sie Selbstmord beging. Gleichzeitig stellte ihre Wut auf die Männer einen Kampf dar, dies zu verhindern. Im Kontext ihres Lebens ist zu untersuchen, wie der Stil und der Inhalt ihres letzten Buches, Ariel, zu einem einzigen langen Abschiedsbrief führten – wenn auch zu einem wunderschön geschriebenen Kunstwerk. In den zugänglichsten ihrer Gedichte, wie „Daddy“, „Lady Lazarus“ und „Edge“, überwiegt ihre Gesundheit ihre Pathologie. Bei anderen dominiert ihre Pathologie. In Ariel versuchte Plath, sich in eine tragische, mythische Heldin zu verwandeln, und es gelang ihr auch, schließlich ertränkte sie sich in einem Gasofen, so wie sie es im Meer getan hätte – eine Schlüsselmetapher für ihre Mutter.
Lady Lazarus. Mehr Liebe gibt es nicht auf dieser Welt.
Die Leiden der Sylvia Plath an der Psychiatrie
Bald schon hatte ich nur noch eine Frage im Kopf: wann genau und wie ich Selbstmord machen sollte. Die einzige Alternative, die ich sehen konnte, war die Irrenanstalt – unendliche Hölle für den Rest meines Lebens –, und so wollte ich von dem letzten Stückchen meines freien Willens Gebrauch machen und ein schnelles sauberes Ende wählen. Auf Dauer gesehen, fand ich, war das für meine Familie gnädiger und billiger; statt ihnen die unabsehbar lange, teure Einkerkerung der Lieblingstochter in die Zelle eines staatlichen Irrenhauses zuzumuten.“
Am 24. August 1953 ist ihr Entschluss gefasst. Vom ihm wird die damals zwanzig Jahre junge amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath, die erst nach ihrem Suizid im Februar 1963 mit ihrem Leben und literarischem Werk weltbekannt wurde, später als „meine letzte Liebestat“ sprechen. Sie bricht das Sicherheitsschloss einer Kassette auf, in der ihre Mutter das hochdosierte Schlafmittel aufbewahrt, das ein Arzt der Zwanzigjährigen gegen ihre schweren Schlafstörungen verschrieben hat. Mit den Tabletten und einem Wasserkanister zieht Sylvia Plath sich in den Verschlag unter die Treppe des Elternhauses zurück. Dort verbringt sie länger als zwei Tage im Schlafkoma, bis sie gefunden wird.
„Mehr tot als lebendig“ wird sie von einer Krankenschwester der städtischen Klinik in Empfang genommen, dann in eine psychiatrische Abteilung in Boston überstellt, die, ohne eine Psychose oder Schizophrenie diagnostiziert zu haben, eine Insulinschockbehandlung einleitet. Als Sylvia Mitte Oktober mit finanzieller Unterstützung ihrer Gönnerin Olive Prouty in ein Privatsanatorium wechseln kann, ist sie nicht mehr fähig, Buchstaben zu erkennen, geschweige denn zu schreiben. Durch den Langmut ihres Englischlehrers von der High School, der sie regelmäßig besucht, erwirbt sie die Fähigkeit langsam wieder.
Sylvia hat panische Angst vor der Fortsetzung einer Elektroschockbehandlung, die sie vor ihrem Selbstmordversuch ambulant erhalten hatte. Nachdem sie aber der behandelnden Ärztin Ruth Beuscher mehr und mehr vertraut, sich zwischen der Patientin und der Ärztin eine fast freundschaftliche Beziehung entwickelt, lässt Sylvia sich auf eine weitere Behandlung ein.
Als dann von Dr. Beuscher noch zusätzlich die Insulinschocktherapie verordnet wird – damals eine übliche Kombination –, verändert sich auch Sylvias Körpererscheinung. „Sie war in dem Alptraum ihres Körpers gefangen, ohne Verstand, ohne irgend etwas, nur das seelenlose Fleisch, das vom Insulin immer fetter und mit der verblassenden Bräune immer gelber wurde“, heißt es in ihrer Erzählung Zungen aus Stein aus dem gleichnamigen Erzählungsband.
In vielen Biographien über Plath ist zu lesen, dass die Elektroschocktherapie unter Dr. Beuscher nun „richtig“ durchgeführt wurde, im Gegensatz zu der ersten ambulanten. Eine Biographin spricht sogar davon, dass „Beuscher und ihre Behandlung ein Wunder bewirkt“ hätten. Als Beweis führt sie an, Sylvia habe schon nach einem halbjährigen Klinikaufenthalt wieder zurück ins College gehen können und in allen drei Seminaren, die sie belegte, die bestmöglichen Noten, ihre „üblichen A‘s“ erbracht. An den hohen Leistungen meint die Biographin Sylvias seelische Gesundheit ablesen zu können.
Eine andere Biographin bezweifelt eine wirkliche Heilung; sie zieht sogar in Erwägung, ob die Therapie „zu einer permanenten Veränderung“ ihrer „Persönlichkeit führte; möglich ist auch, dass sie so etwas wie eine psychologische ‚Haut‘ verlor, deren Verlust sie kaum verkraften konnte“. Die Biographin glaubt, dass Plath erst nach der Therapie in der Welt „eine gefährliche Feindseligkeit“ gespürt habe, „die sich besonders gegen sie“ richte – dass sie also eine besondere Art der Paranoia entwickelt habe.
Wie viele Therapieeinheiten Sylvia Plath erhielt, ist nicht bekannt, auch nicht, wie lange das künstliche Koma andauerte, in das sie jeden Tag durch eine Überdosis Insulin versetzt wurde und bei dem sie einen gefährlichen Abfall des Blutzuckers erlitt. In den fünfziger und sechziger Jahren war es üblich, diese Therapie sechs Mal die Woche über zwei Monate hin durchzuführen, das Koma selbst sollte eine Stunde anhalten, bevor Glucose zugeführt wurde und der Patient aufwachte, wobei er später noch oft ein ‚Nachbeben‘ weiterer Gehirnkrämpfe erlebte. Man benötigte für diese Therapie eigens ausgebildetes Personal, weil im Zusammenhang mit der Behandlung das Risiko einer schweren Hirnschädigung oder sogar des Todes bestand.
Sylvia Plath wird nach der halbjährigen stationären Behandlung als ‚geheilt‘ entlassen. Aber die Angst vor einer Therapie mit Elektroschocks bleibt bis zu ihrer letzten Krise bestehen, und schlimmer noch: die tiefe Verunsicherung, sich selbst nicht beschützen zu können. Zerstört ist das Vertrauen in die Übereinstimmung von Körper und Geist, für Sylvia eine nicht hinnehmbare Kränkung. Als sie 1963 in den Tod geht, hat sie zahlreiche gescheiterte Selbstheilungs- und Selbstmordversuche hinter sich. Abermals eine Psychiatrie aufzusuchen, ist für sie keine Option mehr. Nicht allein der erlittene Schmerz hält sie davon ab, viel mehr steht auf dem Spiel: Sie weiß, dass an diesem Ort das Werk der Zerstörung weiter geführt und sie Zug um Zug ihrer Identität beraubt würde. Elektro- und Insulinschocks haben ihr das Gegenteil einer Heilung gebracht: Sie haben Sylvia Plath zur Zeugin ihrer eigenen Zerstörung gemacht und ihr vor Augen gehalten, dass ihre eigenen Fähigkeiten nicht ausreichten, ein angstfreies, selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Therapie hat Sylvias Rolle als ewig Hilfe- und Behandlungsbedürftige festgeschrieben; dieser Bestimmung ist sie durch den selbst gewählten Tod entronnen.
Ted Hughes, der in der Entstehungszeit der Glasglocke Seite an Seite neben seiner Frau gearbeitet hat, äußert sich über ihren Roman in seinem Essay Über Sylvia Plath von 1994: „In dieser Erzählung hat sich die Stimme vollkommen ausgebildet. Sie hatte die psychische Autobiographie der Autorin zu erzählen, den Schöpfungsmythos der Person, die in Gedicht für einen Geburtstag erschienen war und laut schreiend weitermachen würde bis hin zu Ariel und darüber hinaus.“