Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) ist eine der häufigeren und therapeutisch eine der mehr herausfordernden im DSM-IV/V aufgelisteten Persönlichkeitsstörungen.
Konzeptionell kann man die Aufmerksamkeit auf jedes der Kriterien richten, da die Patienten mit einer NPS, denen wir in der Klinik begegnen, zu einer stärkeren Ausprägung eines Persönlichkeitszuges als zu den anderen Zügen neigen. Man kann das Augenmerk auch auf den Schweregrad richten, da Personen mit NPS (ob sie Patienten
werden oder nicht) eingeordnet werden können entlang einem Spektrum von mild bis extrem.

Wenn man sich den Extremen nähert, wird man Personen finden mit antisozialen Tendenzen, „maligne“ Narzissten und Terroristen und schließlich Antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Normalerweise wird die NPS für nichtpsychotische Personen gebraucht, obwohl ausgeprägte und oft bizarre Formen des Narzissmus routinemäßig
bei manischen Patienten gesehen werden (wo Grandiosität ein übliches Merkmal ist) und auch bei gewissen schizophrenen Patienten, die sich selbst als grandiose Figuren vorstellen. Der Bindungsstil bei der NPS ist gewöhnlich „dismissive” (herablassend).
Übliche Abwehrmechanismen sind Omnipotenz und Abwertung, der Letztere spiegelt den herablassenden Stil wider mit der Tendenz der Narzissten, Geringschätzung und Verachtung anderen gegenüber zu zeigen Einige Personen mit NPS scheinen entweder auf diese oder andere Weise auf die Welt gekommen zu sein oder verzogen von ihren Eltern mit der Vorstellung, großartig zu sein. Andere mit NPS scheinen ihre grandiose Selbstrepräsentanz adoptiert zu haben, um die darunterliegenden Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren. Klinische Vignetten, basierend auf jedem der neun Kriterien,
werden mit Nachuntersuchungen präsentiert.

Alle glücklichen Familien gleichen einander;
jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art.
(Lev Tolstoy: Anna Karenina, 1. Teil, S. 1)
Narzisstische Züge sind verständlicherweise verbreitet, weil sie gesehen werden können als Ausdehnung oder Übertreibung von etwas, was andererseits als eine akzeptable Selbstliebe oder Selbstbezogenheit angesehen wird, nämlich als Teil einer normalen Ausstattung der Persönlichkeit. Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), beschrieben in dem Diagnostischen Manual für Psychiatrische Störungen (DSM-IV oder V), ist aus
neun verschiedenen Kriterien zusammengesetzt – von welchen das Vorhandensein von fünf der neun Kriterien (oder mehr) die Diagnose rechtfertigt.

Das erlaubt allein schon 126 Kombinationen [n!/ (5!) x [n – 5)!], wobei einige vermutlich häufiger sind als andere.
Man kann also auf die Verschiedenheit sehen vom Standpunkt der neun Kriterien selbst: einige Personen (unsere Patienten eingeschlossen) zeigen eines dieser neun Kriterien in einer bestimmten auffälligen Weise: Wir können zum Beispiel klinische Fallvignetten von neun Patienten geben, von denen jeder ein Beispiel für eines dieser Kriterien abgibt.
Ein anderer sinnvoller Weg, um die NPS abzubilden, ist, sie gemäß dem Schweregrad zu ordnen: in welchem Grad die Person sozial benachteiligt ist oder etwa der Grad, in dem für die narzisstische Person das Leben leidvoll ist oder die Person das Leben anderer leidvoll macht. Otto Kernberg hat vorgeschlagen, dass wir von einem Spektrum von narzisstischer Psychopathologie ausgehen, welches von der NPS, beschrieben im DSM, über die „Antisoziale PS” und den „malignem Narzissmus“ bis hin zu dem Extrem der Soziopathie im engeren Sinne reicht (Kernberg, 1992, S. 77 ff.).

Dieses Spektrum weist auf den wichtigen Aspekt des Schweregrades der Persönlichkeitspathologie hin. Wir können diese Vorgehensweisen integrieren, indem wir eine Karte oder ein Netz bilden – mit der Horizontalen als Schweregradachse, von links (mild) bis ganz rechts (extrem) reichend, und einer vertikalen Achse, wo wichtige Subtypen aufgelistet sind.

In den meisten klinischen und psychoanalytischen Arbeiten würden die narzisstischen Personen, denen wir in der Regel begegnen, im mittleren Teil des Netzes liegen.
Wenige von uns, mit Ausnahme der in der Forensik arbeitenden Kollegen, sehen überhaupt solche Extreme (alleingelassen mit dem der Versuch zu behandeln): die Soziopathen, die schwere
(einschließlich) Gewaltverbrechen begehen. Unnötig zu erwähnen, dass es viele schwer psychotische (manisch-depressive) Patienten gibt, deren narzisstische Züge so weit jenseits der „Norm“ der normalen Psychopathologie sind, dass sie eher Karikaturen solcher
Züge zeigen.

So begegnete ich in meiner forensischen Tätigkeit neulich einem Mann (hospitalisiert, nachdem er seine Familie umgebracht hatte), der darauf bestand, dass er als ein islamischer Mahdi dazu auserwählt sei, uns alle am Tage des Jüngsten Gerichtes zu richten, und er war auch „der Präsident der Milchstraße“. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass das in Anbetracht der Größe der Milchstraße ein anstrengender Job sei, da es mehr als ein Lebenswerk bedürfe, allein die Rückseite der Milchstraße zu erkunden. Aber dies beeindruckte ihn nicht. In diesem Artikel werde ich mich auf die narzisstischen
Patienten beschränken, die einem in der normalen Praxis begegnen.
Wir sollten am Beginn im Auge behalten, dass eine spezielle Qualität existiert, die wir bei der Mehrzahl der narzisstischen Patienten bemerken, die aber im DSM nicht aufgeführt ist, nämlich ihren „Bindungsstil“ – der ein charakteristischer ist: Herablassung
(dismissiveness). Viele narzisstische Patienten weisen unsere auf der Hand liegenden Interpretationen und Beobachtungen zurück, weisen jegliche Notwendigkeit unserer therapeutischen Bemühungen überhaupt zurück – bedingt durch, wie es scheint, ihr Gefühl der Überlegenheit, Hochmütigkeit und ihr Beharren darauf, dass nur eine „spezielle“ Person gerade beginnen könnte, sie zu verstehen (und wir sind gerade nicht die „spezielle“ Person!) – abgesehen davon, dass sie sowieso o. k. sind und in erster Linie keine Therapie brauchen. Diese Haltung hat Anteil an drei oder vier der DSM-Persönlichkeitszüge – hat aber größeren Erklärungswert, warum narzisstische Patienten so schwer zu behandeln sind: sie behandeln uns ziemlich häufig herablassend und brechen die Behandlung ab,
kaum dass sie begonnen hat.
In meiner eigenen Arbeit hatte ich über Jahre hinweg mit mehreren Dutzend von narzisstischen Patienten zu tun: einige brachen die Behandlung schon nach gerade wenigen Sitzungen ab, einige blieben in Behandlung für relativ lange Zeit – ohne deutliche Veränderungen zum Besseren, und einige wenige andere blieben für eine lange Zeit und machten letztendlich substanzielle Fortschritte. Obwohl es zumindest ein bis zwei Patienten gab, die als Beispiele einer der neun DSM-Kriterien angesehen werden können, gab es eine Ungleichverteilung. Diejenigen mit übermäßiger Beschäftigung mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe (DSM Item #2) waren vergleichsweise selten (mit Ausnahme von einigen psychotischen Patienten): diejenigen mit ausgeprägter Arroganz (DSM Item #9) oder Herablassung stellten die größte Gruppe dar. Die folgenden klinischen Vignetten illustrieren die verschiedenen Subtypen.

Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit: erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden.
(Grandiose sense of self-importance; expects to be recognized as superior
without commensurate achievements.)
Als ich begann, diesen Patienten zu behandeln, war er Chirurg in Ausbildung in seinen späten zwanziger Jahren. Er war unzufrieden mit seinem Leben, wenn auch nicht nachweisbar depressiv. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er noch jung war, und er lebte danach bei seiner Mutter. Sie war fordernd, überkritisch und forderte ihn immer wieder auf, sich anzustrengen und ihr diesen oder jenen Gefallen zu erweisen. Selten sah er seinen Vater (auch ein Arzt), sein Vater war jedoch noch mehr entwertend. Er genoss
es, seinen Sohn im Tennis zu schlagen, und drehte jeden Penny um, den er seiner Ex-Frau zur Unterstützung des Kindes zu zahlen hatte. Der Patient, der keine Geschwister hatte, hatte sonst alles, stellte aber gänzlich den Kontakt zu seinem Vater ein. Er brüstete sich
mit seinem Tennisspiel, spielte viel, da er seinen Selbstwert daran maß, wie viele Gegner er besiegen konnte – was die Mehrzahl war. Seine Ehe war unbefriedigend; sie hatten wenige Gemeinsamkeiten. Das sexuelle Leben litt darunter, dass sie nur im Dunkeln und
nachts Sex miteinander haben wollte, wohingegen er Sex am Morgen, wo er sie anschauen konnte, bevorzugte. Die Folge war, dass sie nur selten Sex miteinander hatten. Während unserer Therapiesitzungen (dreimal wöchentlich und psychoanalytisch orientiert) war er sehr kritisch mit mir und machte abwertende Kommentare: Meine Ohren standen zu weit ab; meine Jacketts hatten nur drei anstelle von vier Knöpfen – so dass ihm meine
Kleidung schäbig und billig erschien. Er schien beeindruckt von der Anzahl der Artikel, die ich geschrieben hatte – welche nichtsdestotrotz erheblichen Neid hervorriefen. Seine Kritik an meiner Person und Kleidung wuchsen zu einer Art von Antidot gegen seinen Neid. Schließlich begann er die Übertragungsaspekte seines Gefühls zu realisieren: als ob er wieder mit einer Vaterfigur zusammen war – die er niedermachen musste, um sich überlegen fühlen zu können. Er hatte nur eine maßlose Verachtung für den Chef der Chirurgie an der medizinischen Hochschule übrig, wo er in Ausbildung war. Er beharrte darauf, dass er ein viel besserer Chirurg als dieser Mann sei – obgleich er noch in Ausbildung war, niemals etwas publiziert hatte und nichts aufzuweisen hatte für seine
behauptete Überlegenheit. Nach eineinhalb Jahren schloss er das Trainingsprogramm ab und nahm einen Job in einer anderen Klinik an, wo er wieder den Eindruck hatte, dass der „Chirurgie-Boss” nur ein Mann zweiter Klasse sei, der den Posten nicht verdiente. Ich
bekam den Eindruck, dass wir die Wurzeln und Quellen seines Neides zurück zu ihren ältesten Vorläufern mit seinem Vater und seiner Mutter analysieren könnten und dass sein Neid trotzdem genauso stark bleiben würde. Ich wählte eine andere Vorgehensweise und bildete eine andere überzeugende Hypothese, dass die einzige „Kur” gegen Neid, soweit ich es sehen konnte, in Nacheifern und Leistung bestehen würde. Ich riet ihm, darüber
nachzudenken, welche Vorgehensweise er am besten beherrschte und ihm am meisten Spaß machte – und dass er sich auf diese konzentrieren sollte, um eine neue Methode für einige Operationen zu entwickeln, versuchen sollte, einige Artikel zu schreiben über
diese neuen Techniken und zu Ringvorlesungen zu gehen (was ich in meinem eigenen Gebiet oft getan habe). Nach meiner Erfahrung geschieht es nicht häufig, dass Patienten einen solchen Rat befolgen, aber dieser Patient tat es. Innerhalb eines Jahres hielt er 10
Vorträge in verschiedenen Städten über seine neuen Techniken und schrieb Artikel in einem halben Dutzend chirurgischer Fachzeitschriften. Kollegen nahmen seine Erfolge wahr. Er wurde eingeladen, der Fakultät einer HNO-Abteilung beizutreten. Innerhalb
eines Jahres stieg er auf zur Nummer zwei in einer chirurgischen Fakultät einer anderen Klinik. Noch in seinen frühen Dreißigern war er sehr zufrieden mit dem, was er erreicht hat, und hatte Respekt vor dem (viel älteren) Chef der Abteilung. Auch seine Haltung mir gegenüber schwächte sich ab, und er fühlte sich wohl mit mir; er war nun ein „Peer” und hatte es nicht mehr nötig, irgendwelche Unzulänglichkeiten in meiner Erscheinung zu suchen, die nur geringe Facetten meines Aussehens betrafen. Er beendete die Therapie in dem Augenblick, als er in eine private Praxis überwechselte, und durchlief eine erfolgreiche Karriere als Ohrenchirurg. Er ließ sich von seiner Frau scheiden und, wie ich später erfuhr, heiratete wieder und hatte mehrere Kinder. Dreißig Jahre sind seit dem Ende der Therapie vergangen; er ist nun teilberentet und ein angesehener Chirurg seiner Kommune. Der narzisstische Zug, sich selbst als überlegen gegenüber anderen zu sehen, ohne selbst irgendwelche Erfolge vorzuweisen, das war die anfängliche Selbstdarstellung – verging mit der Zeit und mit der Behandlung. Einige narzisstische Patienten dieses Typus vergeuden ihr Leben mit endlosen Klagen über die Unfairness der Welt – und gelangen nirgendwohin. Andere sind fähig, ihre Ambitionen und ihre Fähigkeit, hart zu arbeiten, nutzbar zu machen, so etwa zu der Position im Leben zu kommen, die sie als
„ihnen zustehend“ ansehen”. Ich hatte zu Beginn der Behandlung dieses Mannes keine Idee, welche Linie ich einschlagen sollte. Glücklicherweise endete es in einem Erfolg anstelle eines missvergnügten Nichts, das wenig in seinem Leben zu zeigen hat außer einer hohlen Grandiosität.

Ist stark eingenommen von Fantasien grenzlosen Erfolgs, Macht, Glanz Schönheit oder idealer Liebe
(Preoccupation with fantasies of unlimited success, power,brilliance, beauty, or ideal love)
Meine Arbeit mit einer Frau im Alter von 21 Jahren begann, als ich in einer psychiatrischen Klinik mitten in meiner Ausbildung war. Sie war vorher aus dem College geflogen wegen einer schweren Depression im Zusammenhang mit Suiziddrohungen und Ritzen der Handgelenke. Sie war außergewöhnlich schön und kam aus einer, was in Amerika unter „aristokratischer“ Familie verstanden wird; d. h. einer Familie mit großem Reichtum über mehrere Generationen hinweg, aber natürlich ohne „Titel“. Das einzige Kind von Eltern, die sich scheiden ließen, als sie vier Jahre alt war, und zwar unter bitteren
Umständen, sah ihren Vater niemals wieder – weil ihre Mutter alle Versuche von seiner Seite, den Scheidungsvertrag zu etablieren, blockierte. Ihre Mutter war herrisch, feindselig und ohne echte Sorge um ihre Tochter – die ihre Mutter letztendlich hasste, aber auch
ihren Vater, da sie annahm, er würde niemals versuchen, sie zu sehen.

Als ich graduierte und in private Praxis wechselte, verließ sie die Klinik und wurde Privatpatientin von mir. Sie war nicht mehr offen selbstdestruktiv, als ich begann, sie am Ende ihres stationären
Aufenthaltes kurz vor der Entlassung zu behandeln. Sie bildete sich ein, eine begabte Künstlerin zu sein und eine talentierte Choreographin, obwohl ohne einen Hauch von Talent auf diesem Gebiet. Sie hatte Fantasien, große Fortschritte als Ballettchoreographin zu machen, so dass ihr Name auf der Theatermarquise stand, und ihr Vater, jetzt demütig und bewundernd, würde vor ihr niederknien und um Verzeihung betteln, dass er sie all diese Jahre ignoriert habe. Sie sah mich als ganz viele Stufen niedriger auf einer sozialen Skala an als ihre Leute, aber in ihren Träumen gab es Hinweise für beides: Neid und Verzweiflung. Als ich zum Beispiel heiratete, hatte sie einen Traum, dass sie von
grünen Monstern gejagt werde (grün als Farbe des Neides). In anderen Träumen sah sie sich selbst gefangen und eingeschlossen in einer Plastikblase, unfähig zu entkommen, wohingegen alle Leute außerhalb der Plastikblase (mich eingeschlossen) ein vibrierendes,
glückliches Leben führten. Sie neigte dazu, ihre Gefühle gegen mich „auszuagieren”, indem sie in Bars ging und sich von Motorradfahrern und anderen rauen oder (älteren) Männern aufreißen ließ – ihre Attraktivität machte das leicht –, die mit ihr Sex hatten und sie körperlich missbrauchten. Einmal organisierte ich ein Treffen mit ihr und ihrem Vater, aber anstatt Dankbarkeit auszudrücken für seinen Besuch und ihm zu zeigen, dass sie nun verstanden hat, dass ihre Mutter zwischen ihnen stand, kränkte sie ihn. Sie sah sich weiterhin als eine große Künstlerin und Choreographin, unternahm aber keinen Versuch, in diesen Bereichen Fortschritte zu machen. Das Beste, was sie tun konnte, war, einen Job für Schaufensterdekoration in einem Geschäft zu machen. Sie war sich sicher, dass Andy Warhol so seine Karriere begann, Aber sie war nicht Andy Warhol. Nach
einigen Monaten beendete sie die Therapie und zog in einen anderen Staat um. Sie war immer zu hochnäsig, um mit mir eine Bindung einzugehen; ihr „Bindungsstil“ (obwohl der Terrminus in den sechziger Jahren nicht en vogue war, als ich sie kennenlernte) war
herablassend (dismissive). Aber ich erfuhr ungefähr 20 Jahre später, dass ihr Leben eine deutliche Wendung zum Besseren genommen hatte. Sie traf einen älteren geschiedenen Mann (von ihrer sozialen Klasse), als sie 38 Jahre alt war. Sie heiratete, hatte aber keine
Kinder. Ich glaube, instinktiv realisierte sie, dass ihr die Mutterrolle nicht leicht von der Hand gehen würde. Spät heiraten, beinahe jenseits der fruchtbaren Jahre einer Frau, war ihr Weg, einer Aufgabe auszuweichen, die sie nicht gut bewältigen könnte – ohne
anerkennen zu müssen, dass sie keine gute Mutter sein würde. Sie war nun eher bereit, ihrem Vater zu vergeben, und konnte letztendlich ihrem Vater vergeben und mit ihm eine Beziehung aufnehmen, die nun herzlich und frei von Frostigkeit war, mit der sie ihn viele Jahre früher begrüßt hatte. Schaufensterdekoration war das Gebiet, auf dem sie Erfolg hatte: sie arbeitete sich hoch zu einer Schaufensterdekorateurin und Dekorateurin für Appartements und ist jetzt (in den späten Sechzigern) eine hoch angesehene Praktikerin
auf diesem Gebiet. Wie sie fähig war, zunehmend ihren anfänglichen Narzissmus mit ihren Größenfantasien zu überwinden, ist mir nicht klar. Die eineinhalb Jahre, die sie bei mir in Therapie verbrachte, waren nicht gekrönt von irgendeinem Erfolg. Aber sie wurde
konfrontiert mit Kunst und Antiquitäten, entwickelte eine Begabung für Dekoration und schwächte ihre von früher her verachtende Haltung gegenüber anderen Menschen ab. Ich denke, ihre Schönheit gab ihr Sicherheit, es würde irgendwo immer ein Mann sein, der ihr eine weitere Chance sozusagen für die Bildung einer guten Beziehung geben würde. Sie war nicht mehr offen selbstdestruktiv, als ich begann, sie zu behandeln am Ende ihres stationären Aufenthaltes kurz vor der Entlassung. Sie war über Jahrzehnte
hinweg nicht depressiv und viel weniger selbstdestruktiv. Am Ende (der Therapie) ging es ihr wesentlich besser als zu Beginn.

Glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können
(Belief in being special and can only be understood by other special or high-status people)
Ein Mann in seinen späten 20er Jahren suchte Hilfe wegen einer Depression und eines tiefen Gefühls von Unerfülltsein. Er arbeitet in einer Firma als ein Investmentberater. Er war homosexuell, fand jedoch keine Freunde in der Schwulengemeinschaft und hatte
niemals eine längerdauernde Beziehung gehabt. In Wahrheit hatte er überhaupt keine Freunde. In der Arbeit kam er gut mit seinem Chef zurecht, zu dem er immer herzlich und höflich war. Mit seinen Untergebenen ging er dagegen ruppig und verächtlich um. Politisch war er extrem konservativ, was irgendwie paradox war, da die Republikaner der „ganz Rechten” intolerant gegenüber Schwulen sind. Er wuchs auf in einer Familie, wo die Eltern sich scheiden ließen, als er drei Jahre alt war, und er und sein älterer Bruder von der Mutter aufgezogen wurden – in einfachen Verhältnissen, da der wohlhabende Vater sich weigerte, den erforderlichen Unterhalt zu zahlen. Der Patient verachtete seinen Vater und sah ihn selten. Überzeugt, dass nur ein Psychiater von Ruf ihn als „einzigartige” Person, wie er sich sah, verstehen könne, hatte er meinen Namen bekommen als Arzt, der sich auf Persönlichkeitsstörungen spezialisiert und auf diesem Gebiet publiziert hatte. Aber er war sehr in Konflikt geraten mit der Wahl, da er bald begann, mich als eine „vollendete” Person zu sehen, die akademische Weihen erreicht hatte, die er niemals anstreben könne. Sein Neid verbitterte ihn, und er versuchte, Schwächen in meinem Charakter oder in meinen Schriften herauszufinden, um mich auf sein Niveau zu ziehen. Aber dann – falls ich kaum besser als er war, von welchem Nutzen könnte ich für ihn sein: Ich könnte dann nicht so eine komplizierte und spezielle Person verstehen. So würde er oszillieren zwischen diesen Polen: entweder ich bin perfekt genug, ihm zu helfen, und deshalb bestünde ein zu großer Abstand zwischen uns beiden, oder ich war
aus demselben Holz geschnitzt wie er – und konnte deshalb ein „Freund” sein, der ihm aus diesem Grund verständlicherweise nicht helfen kann. Es gab ihm keinen Trost, dass ich mehr als doppelt so alt wie er war, was hätte bedeuten können, dass er viele Jahre haben würde, durch harte Arbeit und Ehrgeiz das Niveau zu erreichen, das ich seiner Meinung nach erlangt hatte. Es gab eine „negative Vaterübertragung“ in der Behandlung: Ich wurde gesehen als der „bessere“ Vater, der wie sein eigener Vater sich nicht wirklich um ihn kümmern konnte. Herablassung war sein primärer Bindungsstil, und das war nicht nur durchgehend in unserer Beziehung, sondern auch mit den meisten anderen, außer seinem Boss und wenigen anderen, bei denen er sich erlauben konnte, sie zu bewundern. Das Thema sexuelle Unterschiede war kein großer Faktor. Er wuchs in den
90ern auf, als Schwulsein mehr als jemals zuvor akzeptiert war. Er hatte eine exzellente Beziehung in der Arbeit zu seinem heterosexuellen Boss. Das Problem war: sein Vater verunglimpfte Schwule und zog sportliche Männer vor, die intellektuell durchschnittlich waren, wohingegen der Patient hochintelligent und überhaupt nicht sportlich war. Nach einigen Monaten einer zweimal wöchentlichen Therapie fühlte der Patient, dass die Distanz zwischen uns unüberbrückbar ist, und brach die Therapie ab. Ich erfuhr nach
und nach, dass sich dieser Mann nun für einen hohen Posten in der Regierung bewarb, viel reiste und hohe Offizielle in verschiedenen Ländern in Zusammenhang mit seiner Kampagne traf. Er blieb stark identifiziert mit der Republikanischen Partei, trotz der Opposition gegen die Schwulenehe, weil die Partei für ihn wohlhabende, erfolgreiche (und vornehmlich weiße) Menschen mit konservativen Ansichten über Familie, Zusammengehörigkeitsgefühl, Steuerwesen, Religion und Standhaftsein gegen unsere Feinde repräsentierte – also auch seine Ansichten.
Ich wusste nicht, ob er ähnliche Fortschritte in seinem Privatleben machte, obgleich er nun viele Freunde und politische Unterstützer hatte – gegenüber denen er, vermute ich, akzeptierend und weniger „herablassend” war, als er es mit mir oder seinen Untergebenen in der Arbeit gewesen war. Sicherlich war er erfolgreicher und selbstbewusster geworden, als er es gewesen war, wie ich ihn kennen lernte.

Verlangt nach übermäßiger Bewunderung
(Requires excessive admiration)
Eine Frau in ihren frühen 30ern war zur Therapie überwiesen worden, kurz nachdem sie von einer psychiatrischen Klinik entlassen worden war, wo sie nach einer suizidalen Geste für wenige Tage aufgenommen worden war. Sie hatte eine geringe Überdosis von Benzodiazepinen eingenommen, verbunden mit mehreren Gläsern Wodka, was sie kurzfristig bewusstlos machte. Das war im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung erfolgt: Sie hatte herausgefunden, dass ihr Ehemann sie während einer Geschäftsreise
betrogen hatte. Ihr früheres Leben war tumultuös gewesen: Ihr Vater hatte eine inzestuöse Beziehung zu ihr im Alter von neun bis fünfzehn Jahren. Im Alter von fünfzehn Jahren schnitt sie sich die Handgelenke auf, war verzweifelt und erzählte alles der Mutter – die
sich schnell scheiden ließ. Ihr Vater war wohlhabend; so wuchs sie in Umständen auf, die für sie ökonomisch komfortabel waren, obgleich interpersonell zerstörerisch. Sie war von ihren Mitschülerinnen in der Schule gemobbt worden, weil sie sie wegen ihres Aussehens
beneideten. Für einige Zeit wurde sie Model und heiratete später einen Mann – der auch aus einer wohlhabenden Familie stammte, aber ein Schürzenjäger war. Sie war krankhaft eifersüchtig, da alle wichtigen Männer in ihrem Leben sie mit Partnerinnen betrogen hatten. Ihre Einstellung zu ihrer Schönheit war konflikthaft: Die Bewunderung der Männer war der psychische Boden, auf dem sie gedieh; jedoch neigte sie dazu, ihre Attraktivität zu entwerten, da sie ihr nur Probleme einbrachte. Immer noch verbrachte sie mehrere
Stunden jeden Morgen am Schminktisch, klebte sich falsche Wimpern an und versicherte sich, dass alles von ihrer Erscheinung „gerade so“ war. Sie war immer auf der Höhe der Mode gekleidet, selbst wenn sie zum Supermarkt ging – wo es vorhersehbar war, dass
sie die bewundernden Blicke von Männern auf sich zog. Sie war künstlerisch talentiert: kompetent als Malerin mit Wasserfarben, aber begabt als Bildhauerin. Es gab nur ihre Hobbys, sie machte nichts Professionelles im Bereich der Künste. Ihr Bindungsstil war
eher „verwickelt“ („entangled”) als herablassend. Sie wurde abhängig von mir als Therapeuten, aber auch misstrauisch, und befürchtete, dass ich sie irgendwann genau wie ihre Mutter, auf die sie zwar immer als liebenden Elternteil zählen konnte, die sie aber jahrelang nicht vor ihrem Vater zu beschützen vermochte, enttäuschen würde.
Sie arbeitete gut mit Träumen in unserer dreimal in der Woche stattfindenden Therapie und machte es möglich, die ausbeuterische Seite ihrer Natur zu explorieren. Nachdem sie die Vorteile der Beziehung zu ihren Vater genutzt hatte, lernte sie bald zu geben, so
gut sie es konnte, indem sie ihre Attraktivität dazu benutzte, die Männer in ihrem Leben zu kontrollieren. Das war nach ihrer Scheidung das Muster in mehreren jahrelangen Beziehungen zu verschiedenen Männern. Die Männer waren wohlhabend und großzügig zu ihr, kauften ihr teure Geschenke – aber die Beziehungen waren stürmisch. Es gab Zyklen von leidenschaftlichen Momenten, gefolgt von eifersüchtigen Anklagen (den Partner für eine Weile zurückweisend) und dann Versöhnungen. In der Therapie fokussierten wir auf ihre Unfähigkeit, Männern zu vertrauen, gemeint war, dass dieser Zyklus mit all diesen emotionalen Ausbrüchen notwendig war, um ihr immer wieder die Versicherung zu geben, dass die Männer immer bereit sein werden, sie zurückzunehmen – und dass sie die Männer durch ihre Attraktivität wieder zurückbekommt. Es dauerte mehrere Jahre, bevor sie einem Mann in beständiger Weise trauen konnte. Nach dem Ende der Therapie blieb sie bei einem Mann, der deutlich älter als sie war (ein wiederkehrendes Muster ihrer Partnerschaften), mit dem sie ein weniger stürmisch-aufgewühltes Leben führte bis zu seinem Tode. Zurzeit, 30 Jahre später, lebt sie allein, kann enge Beziehungen
aufrechterhalten und besucht häufig ihre Tochter.

Legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. übertriebene Erwartung einer besonders bevorzugten Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen
(Has a sense of entitlement: unreasonable expectations of especially favorable treatment or automatic compliance with such expectations)
Ein Single von 27 Jahren wurde zur Therapie an mich überwiesen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung auf einer Suchtstation, bedingt durch exzessiven Gebrauch von dem Opiat Oxycodone. Er hatte vor Kurzem sein Geschichtsstudium abgeschlossen, aber noch nicht eine Stelle als Lehrer gefunden. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er sieben Jahre alt war. Sein Vater war Arzt, der dann eine Krankenschwester heiratete. Zur Scheidung kam es, als seine Mutter eine Affäre mit einem anderen Mann hatte als Reaktion, wie es schien, auf extremes Unglücklichsein wegen ihrer Affäre und eheliche Spannungen zwischen den Eltern. Aber der Patient reagierte mit Hohn auf die Mutter und war äußerst verachtend gegenüber dem Vater wegen „seiner Heirat unter
seinem Niveau mit einer Krankenschwester“. Er fühlte sich auch von seiner Schwester entfremdet, so dass es keinen Weg zur Familie gab. Er hatte wenige Freunde, er selbst distanzierte sich von den meisten anderen Freunden, fühlte sich überlegen gegenüber dem Großteil der Menschheit. Er hatte das Gefühl, dass er durch sein überlegenes Wissen über alte und neue Geschichte bei verschiedenen Universitäten besonders geschätzt sein sollte, an denen er sich bewarb, und sie sollten ihn mit „offenen Armen“ empfangen für
einen guten professionellen Platz in der Fakultät. Trotz seiner herablassenden und hochnäsigen Haltung gegenüber seinem Vater – von dem er finanziell abhängig war, erwartete er weiterhin, dass sein Vater seine kritischen und verletzenden Bemerkungen über seine
neue Frau ertragen würde – und dass er sogar noch großzügiger seinen Sohn fördern würde. Er schien sich wohlzufühlen mit mir in den zweimal wöchentlich stattfindenden Sitzungen, teilweise, vermute ich – weil er wusste, dass ich ein Hintergrundwissen in alter Geschichte und in Latein und Griechisch hatte, was ihm erlaubte „in derselben Sprache zu sprechen“. Ich war sehr besorgt wegen seiner Opiatabhängigkeit und insistierte, dass er an einem ambulanten Drogen-Rehabilitationsprogramm teilnahm in der Hoffnung, dass das Personal ihn zunehmend von den Opiaten entziehen könnte, wobei ich ihm in der Zwischenzeit die Drogen nach Bedarf verschreiben würde. Er sah mich als einen Alliierten. Aber wahrscheinlich, weil er es tat, wurde er noch verletzender und fordernder gegenüber seinem Vater. Sein Vater schickte ihm ein großes Paket mit alten Büchern – welche mein Patient nicht annehmen wollte und seinem Vater zurücksandte. Ich fand es
sehr bedauernswert, da er so alle Bindungen zu seinem Vater abbrechen wollte, womit er allein blieb, da er ja schon Schwester und Mutter aus seinem Leben ausgeschlossen hatte. Das kam mir vor wie ein Vorspiel zum Suizid, da er die letzte Tür für eine mögliche
Quelle von Zuneigung und Hilfe zugeschlagen hatte. Ich war daher sehr betrübt, aber nicht überrascht, von seiner Mutter zu hören, dass er sich, als ich über die Neujahrstage vor acht Jahren verreist war, das Leben genommen hatte, indem er aus dem Fenster eines 20 Stockwerke hohen Appartementhauses sprang.