Sport und Gehirn

Wie der Sport das Gehirn fit hält: Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius hat Antworten.

Was macht uns stark? Die Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius spricht im Interview über die Kraft der Gedanken, den Wert ausreichenden Schlafs und verschwendete Arbeitszeit.

Frau Fabritius, ein trainierter Körper oder ein gesunder Geist – worauf kommt es Ihrer Meinung nach vor allem an?

Der Mensch braucht beides. Denn wer eines von beiden nicht hat, hat nichts. Wer den Körper stärkt, stärkt auch das Gehirn. Wer das Gehirn stärkt, stärkt zugleich den Körper.

Wie funktioniert dieses Wechselspiel zwischen Körper und Kopf ganz genau?

Vom Gehirn laufen Nerven in den Körper, vom Körper laufen Nerven zurück ins Gehirn. Beides steht permanent im Austausch miteinander. Wenn wir beispielsweise Sport treiben, wird im Gehirn Dopamin ausgeschüttet. Das fördert unsere Laune, macht uns leistungsfähiger – auch im Denken – , macht uns mental flexibler, schlauer, lernfähiger. Durch Sport wird auch die Sauerstoffversorgung im Gehirn optimiert. Sport stärkt deshalb nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn.

Welche Art von Sport ist besonders gut?

Der Sport, der einem Spaß macht. Erstens hält man ihn dann vermutlich dauerhaft durch, und zweitens ist die Wirkung auf das Gehirn eine ganz andere, wenn man mental die richtige Einstellung hat. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Erhöhung des Dopaminspiegels, die durch Sport erzielt wird, nur stattfindet, wenn einem der Sport auch Spaß macht. Wer sich also ins Fitnessstudio quält, obwohl er es hasst, wird nicht den gleichen Effekt erzielen wie jemand, dem sein Sport Spaß bereitet. Das Gehirn ist da wirklich phänomenal. Wer sich nur regelmäßig vorstellt, dass er Krafttraining macht, stärkt dadurch sogar seine Muskeln.

Das ist verblüffend.

Allein durch die Vorstellung werden Gehirnareale gestärkt, die für diese Bewegungen zuständig sind. Zudem gehen Signale in die Muskeln hinein, wodurch die Verbindung zwischen Körper und Geist gestärkt wird. Und wenn Sie dann tatsächlich trainieren, sind die Bewegungen bereits so kalibriert, dass es leichter geht. Deshalb machen so viele Spitzensportler Mentaltraining. Das hat einen nachweislichen Effekt.

Aber der Körper muss nach wie vor aktiv werden, oder?

Ja, Gedanken allein machen uns nicht fitter. Aber wir unterschätzen zwei Dinge: Wie wichtig Bewegung für unser Gehirn ist. Und wie wichtig mentale Arbeit für unseren Körper ist. Allein durch unsere Einstellung, durch Freude, Motivation, durch ein positives Denken können wir auch den Körper stärken. Wir wissen, dass viele Krankheiten durch Stress verursacht werden oder durch negative Einstellungen. Da besteht eine Wechselwirkung – und wenn man die für sich nutzt, kann man sowohl mental als auch körperlich viel stärker werden.

Wodurch können wir unsere Gehirnleistung steigern?

Es geht vor allem darum, den optimalen Cocktail aus Botenstoffen im Gehirn herzustellen. Ich habe dafür ein Modell entwickelt, dass ich funfear and focus nenne.

Was verbirgt sich dahinter?

Wenn wir diesen fun-Faktor haben, also Freude an dem, was wir tun, dann wird Dopamin ausgeschüttet, was wie ein Brainbooster wirkt. Viele Menschen denken nun, klingt schön, aber wie erreiche ist das? Ich hasse meinen Job, bin unglücklich in meinen Privatleben – und nun soll ich mehr Freude haben? Es gibt eine relativ einfache Formel dafür: Verbringe deine Zeit vor allem mit Dingen und Menschen, die gut für dich sind, die sinnstiftend sind. Wir brauchen auch mehr Humor. Überall. Im Arbeitsleben, im Privatleben. Es gibt Studien, die zeigen, dass jemand, der für zwei Minuten ein lustiges Youtube-Video schaut, hinterher fünfzig Prozent motivierter ist. Im Arbeitsleben aber sind sehr viele Menschen konstant gelangweilt. Sie verbringen oft sehr viel Zeit in sinnlosen Meetings. Unser Gehirn versinkt dann in einer Art Schlafmodus, weil das Dopamin fehlt.

Den zweiten Faktor nennen Sie fear.

Ich will es nicht Angst nennen, aber im Grunde geht es darum, einen leichten Zustand der Überforderung zu erreichen. In dem Moment schüttet das Gehirn Noradrenalin aus – und ist plötzlich hellwach. Langfristiger, chronischer Stress ist schlecht für das Gehirn. Aber diese kurzen energetisierenden Momente einer leichten Herausforderung geben uns diesen Energiekick. Menschen haben unterschiedliche Neurosignaturen, sie brauchen verschiedene Stresslevel, um in ihre optimale Leistungsfähigkeit zu kommen. Es gibt sensation seeker, die brauchen ständig was Neues, die fliegen um die Welt, die haben ständig neue Hobbys, gründen neue Firmen, die brauchen einfach diesen Kick. Sie sind optimal leistungsfähig, wenn sie ständig leichten Stress empfinden. Sie brauchen diese Stimulanz, dass immer etwas Neues passiert. Andere Menschen arbeiten am besten unter niedrigem Stressniveau. Ich glaube, das wird in der Arbeitswelt nicht ausreichend gesehen. Wir haben immer die Vorstellung, dass alle unter gleichen Arbeitsbedingungen ihre Arbeit gut leisten können. Aber man muss schauen, dass man den richtigen Zustand findet zwischen Langeweile und Stress, dass man in den Flow kommt. Wer das schafft, ist in einem beinahe magischen Zustand.

Focus ist der dritte Faktor – was hat es damit auf sich?

Wenn wir uns auf etwas fokussieren, dann wird Acetylcholin ausgeschüttet. Kaum eine Bevölkerungsgruppe beherrscht diese Fähigkeit so gut wie Babys, sie gehören zu den aufmerksamsten Menschen auf diesem Planeten. Sie haben einen Vorteil: Nagelneue Gehirne sind extrem empfänglich für neue Informationen, weil sie Acetylcholin noch automatisch produzieren. Erwachsene müssen die Produktion selbst übernehmen, und das geht nur, wenn wir die Fähigkeit haben oder wieder erlernen, uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren – ohne Ablenkung. Erst dann wirkt Acetylcholin auf uns wie ein Objektiv, das unseren Blick schärft.

Wie lange dauert es, bis sich die ersten Fortschritte in meinem Gehirn bemerkbar machen?

Erfolg können Sie direkt haben. Gehen Sie nur zehn Minuten spazieren, dann hat dies einen unmittelbaren Einfluss auf ihr Gehirn. Die Arbeit mit dem Körper ist die einfachste Möglichkeit, den Kopf zu kontrollieren. Das ist das Schöne an körperbasierten Techniken. Andere Dinge dauern länger: Meditationstechniken oder Achtsamkeitstraining.

Welche Wirkung hat der Sport neurochemisch betrachtet genau auf unser Gehirn?

Sport aktiviert die Neurotransmitterausschüttung. Wir haben diesen positiven Kick von den Endorphinen. Sport wirkt motivierend, und es zeigt sich, dass direkt danach die Konzentrationsleistung steigt. In Stanford gab es zuletzt eine Studie mit zwei Arten von Mäusen. Die einen haben den ganzen Tag nur rumgesessen, die anderen haben sich bewegt. Und die hatten dann deutlich geringere Entzündungswerte im Gehirn. Diese Entzündungen sind nicht nur schlecht für die kognitive Leistung, sie steigern auch das Risiko von Demenz. Es gibt nichts Besseres, was man für sein Gehirn machen kann, als Sport.

Gibt es noch etwas, das ähnlich wirkt?

Schlaf – er ist wie eine Waschmaschine für unser Gehirn. Während des Schlafs werden Toxine aus dem Gehirn beseitigt, negative Stresshormone abgebaut. Während des Schlafs lernen wir, da werden die Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gespielt. Das darf man nicht unterschätzen. Viele Manager, mit denen ich zu tun habe, stehen eine Stunde früher auf, wenn ich denen sage, wie wichtig Sport für das Gehirn ist. Das ist wenig sinnvoll, denn dadurch wird der Schlaf gekürzt. Das ist ein Problem. Der Anteil jener Menschen, die nicht genug Schlaf bekommen, ist erheblich angestiegen. In den sechziger Jahren waren es zwei Prozent der Menschen, die weniger als sechs Stunden pro Nacht geschlafen haben. Aktuell sind es über 30 Prozent.

Aber für viele ist das doch eine Auszeichnung: Um 5 Uhr joggen, danach 14 Stunden im Büro – und trotzdem fühlen sie sich großartig!

Sie fühlen sich vielleicht großartig. Aber die Frage ist, ob sie ihre beste Leistung bringen – und das wage ich zu bezweifeln. Es gibt viele Studien, die einen direkten Zusammenhang zeigen zwischen Schlaflänge, Schlafqualität und geistiger Leistungsfähigkeit. Wer wirklich seine Bestleistung bringen möchte, sollte lieber eine Stunde länger schlafen und später Sport treiben. Ich bin sowieso der Meinung, dass diese sehr langen Arbeitszeiten im Topmanagement nicht wirklich korrelieren mit guter Leistung. Studien zeigen ja, dass Menschen bei einem Achtstundentag nur drei Stunden wirklich produktiv arbeiten. Und wenn wir das nun übersetzen auf eine 80- oder sogar 100-Stunden-Woche eines Managers, dann ist klar, auch aus eigener Erfahrung, dass die Zeit nicht wirklich produktiv genutzt wird. Ich glaube, da sollte man lieber mal einige Meetings kürzen, ein paar sinnlose Tätigkeiten weglassen und stattdessen länger schlafen und mehr Sport treiben.

Sie haben ein Gehirnprogramm entwickelt, das sich speziell an Führungskräfte richtet.

Wir lernen dabei mentale Fähigkeiten, um das Gehirn zu beeinflussen. Da geht es zum einen um die Leistungsfähigkeit, aber auch um Entscheidungskompetenz und Emotionsregulierung. Denn auch zwischen unseren Emotionen und unserem rationalen Denken entstehen viele Verbindungen in unserem Gehirn. Es ist wichtig, dass man seine Emotionen steuern und regulieren kann. Menschen, die eine gute Kontrolle über ihre Emotionen haben, sind in der Regel auch geistig leistungsfähiger. Wir müssen lernen, wie man sein limbisches System, wie man sein autonomes Nervensystem optimal im Griff hat. Wir müssen quasi die Kontrolle haben über unsere Gefühle.

Stress ist eine Art Killer für das Gehirn. Was macht Stress mit uns?

Evolutionär bedingt ist unser Stresssystem für kurzfristigen Stress ausgelegt. Aber was wir heutzutage erleben, ist chronischer Stress. Und durch diesen Dauerstress, der quasi nie aufhört, wird die Stressachse, die vom Gehirn zum Körper und vom Körper zum Gehirn läuft, quasi ständig aktiviert. Das führt etwa zu zu hoher Cortisolausschüttung, einem Stresshormon.

Was passiert dann?

Die Amygdala vergrößert sich. Die Amygdala ist das Zentrum im Gehirn für Stress, für negative Emotionen, für Angst. Wenn die sich vergrößert und aktiver wird, werden wir noch sensibler für negative Emotionen. Sie kennen das: Wenn Sie gestresst sind und Sie dann noch jemand ärgert, explodieren sie. Wenn Sie schon nervös sind und dann jemand etwas Kritisches zu Ihnen sagt, nehmen Sie das viel negativer wahr als wenn sie vorher ausgeruht und gut gelaunt waren. Man gerät in eine Negativspirale, wird immer sensibler für Stressoren und immer schneller gereizt. Der Serotoninspiegel sinkt. Serotonin ist ein Neurotransmitter, der für unsere emotionale Balance wichtig ist, also für Ausgeglichenheit, dafür, dass man sich wohlfühlt, gute Laune hat, mental stabil ist. Das ist ein Teufelskreis. Man muss verstehen, dass kurzfristiger Stress gut ist, dass aber alles, was länger als eine Stunde anhält, unseren Körper schädigt. Gehirnareale schrumpfen, wenn wir Dauerstress ausgesetzt sind. Dieser Effekt ist übrigens bei Frauen stärker als bei Männern. Also muss man den Stress stoppen.

Welche Techniken helfen da beispielsweise?

Gut ist, wenn man lernt, sich nach einer stressigen Situation aktiv zu entspannen. Mithilfe von Atemtechniken zum Beispiel. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Sympathikus, dem Stresssystem, dem Parasympathikus, dem Entspannungssystem, und unserem Atem. Durch unsere Atemfrequenz und Atemtiefe können wir direkt Einfluss darauf nehmen, wie gestresst wir uns fühlen. Wenn Sie für zwei, drei Minuten auf vier einatmen und auf acht ausatmen, also kürzer einatmen als ausatmen, nimmt ihr Stressniveau ab. Das wirkt sofort. Das kann man sogar in einem Meeting machen, ohne dass das jemand merkt. Eine andere Sache ist mal wieder Sport. Sport beseitigt die Stresshormone. Genau wie der Schlaf. Und man kann sein Stresssystem trainieren, indem man sich kurzfristigen Stressreizen aussetzt. Das ist ein bisschen so wie eine Immunisierung, wie eine Stressimpfung. Sie können kurze Eisbäder nehmen oder kalt duschen. Dadurch wird das Stresssystem aktiviert, und der Körper lernt, mit Stress besser umzugehen. Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen, die zuvor in einem Eisbad waren, 530 Prozent mehr Noradrenalin, also eine sehr starke Erhöhung des positiven Stresshormons hatten, als andere. Und sie hatten etwa 250 Prozent mehr Dopamin. Hinzu kommt noch etwas anderes. Wenn Sie den Kälteschock am Morgen überstanden haben, überstehen Sie auch alle anderen Probleme am Tag. Ihre Willenskraft nimmt dadurch zu.

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