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Promovierte in Psychologie an der Universität Heidelberg: Juliane Burghardt - Sex macht im Idealfall Spaß, ein Trick der Evolution, erklärt Psychologin Juliane Burghardt, damit man gerne macht, was notwendig und sinnvoll ist

Warum Menschen immer weniger Sex haben – und was dagegen helfen könnte

In vielen Betten herrscht Flaute. Ein wichtiger Faktor, um den weniger werdenden Sex zu erklären, ist auf jeden Fall die Frau. Aber nicht nur: Auch das Smartphone und ein Druckwellenvibrator tragen dazu bei. Ein Lösungsvorschlag für mehr Sex.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass in immer mehr Betten Flaute herrscht. Und das ist bereits seit 2016 zu beobachten. Eine Untersuchung von Juliane Burghardt, Forscherin an der Karl-Landsteiner-Privatuniversität, ergab etwa, dass knapp die Hälfte aller Befragten gern mehr Sex hätte. Vor allem die jungen Menschen hätten weniger davon als früher, sie blieben auch länger Jungfrau, sagt die Wissenschaftlerin. Wo hakt es also?

Wie so oft gibt es auf so eine Frage nicht nur eine Antwort. Und gerade beim Sex herrscht ein enormer Druck. An kaum eine Handlung werden so viele Erwartungen geknüpft. Im Vergleich zur Bedeutung, die Sex im Leben der meisten Menschen einnimmt, sind wissenschaftliche Beiträge zum Thema aber eher rar. Denn obwohl Sex omnipräsent ist, reden wir kaum wirklich darüber. In Juliane Burghardts neuem Buch „Alles kann, nichts muss“ (erschienen bei S. Hirze) schreibt die Wissenschaftlerin, dass Sexualität noch immer mit starken Tabus belegt ist, sodass auch die Forschung an ihre Grenzen stößt.

Sicher ist: Die Zahl der Singles steigt, Menschen legen sich immer später, wenn überhaupt, auf einen Partner fest. Und Singles haben weniger Sex als Menschen in einer Partnerschaft. Doch die Gründe für das längere Singledasein sind bisher nicht ausreichend geklärt. Sicher konnte aber festgestellt werden, dass Frauen tendenziell glücklicher alleine sind als Männer.

In den vergangenen Jahren hat aber „nicht nur die Anzahl der sexuellen Akte – also Penis-In-Vagina – abgenommen, sondern auch der Oral- und Analverkehr. Sogar Masturbation wurde weniger“, so die promovierte Psychologin.

Um herauszubekommen, warum das sexuelle Vergnügen nun weniger geworden ist, muss man sich zunächst der Frage widmen, warum wir eigentlich Sex haben. Denn die Gründe dafür sind vielfältig – Fortpflanzung, Stressabbau, Vergnügen, Mittel zum Zweck und viele mehr; in einer Studie wurden ganze 237 Gründe angegeben, weshalb Menschen Sex haben.

„Zufriedenheit im Sexleben steigert auch die Zufriedenheit in der Partnerschaft“, sagt Juliane Burghardt, was sich wiederum positiv auf die gesamte Lebensqualität auswirkt. Doch nicht jeder hat das gleiche sexuelle Verlangen, das hänge auch mit der sexuellen Erregbarkeit zusammen. Und warum die heutzutage scheinbar häufiger gehemmt ist, hat viele Gründe. Einer könnte die Ablenkung vom ständig nach Aufmerksamkeit fordernden Smartphone sein. Das, auch wenn es für die Interaktion mit anderen Menschen genutzt wird, dazu führt, dass man das Gegenüber weniger zuverlässig verstehen kann.

Starke Handynutzung führt auch vermehrt zu Schlafstörungen, haben verschiedene Untersuchungen herausgefunden, erzählt die Psychologin. Da liegt die Vermutung nahe, dass auch das auf die Unlust einzahlt. „Wir wissen zwar nicht, ob der Schlafmangel mit der Flaute im Bett zusammenhängt, aber Müdigkeit ist ein klassischer Grund für das Zurückweisen sexueller Avancen“, so die Wissenschaftlerin. Eines ist auf jeden Fall klar: „Müde Menschen sind schlechtere Zuhörer – verführerisch ist das in einer Partnerschaft nicht“. Wie sich der Handykonsum tatsächlich auf die Sexualität eines Paares auswirkt, müsse aber noch weiter erforscht werden. Dafür suchen die Wissenschaftlerin und ihr Team aktuell Probanden (mehr dazu hier).

Einen weiteren Faktor sieht die Psychologin in der Nutzung von sozialen Medien, die dazu führen kann, dass Menschen ihre echten sozialen Beziehungen vernachlässigen. „Es mag überraschen, aber der persönliche Kontakt zu Freunden hängt eng mit der Sexualität zusammen“, sagt die Autorin. „Unsere Daten zeigen, dass Menschen, die ihre Freunde seltener oder kürzer treffen, weniger Sex haben“.

Ein wichtiger Faktor, um den weniger werdenden Sex zu erklären, ist auf jeden Fall die Frau. Es sei nicht auszuschließen, dass wir weniger Sex haben, weil Frauen heute seltener akzeptieren, zum Sex „verpflichtet“ zu sein. Denn Sex kann zwar einvernehmlich, aber dennoch ungewollt sein.

Denn es fällt vor allem eins auf: Männer wollen im Durchschnitt mehr Sex als Frauen. Und Studien legen nahe, dass es eher die Frauen sind, die die Verfügbarkeit von Sex steuern. „Das bedeutet, dass das Erleben und Verhalten von Frauen eher für den Rückgang des Sexlebens in den vergangenen Jahren verantwortlich sein dürfte als das von Männern“, erklärt Burghardt.

Und bei Frauen ist es oft nicht Verlangen oder Erregung, das den Akt in die Wege leitet, sondern der Wunsch nach Nähe. Verschiedene Studien zeigen, dass Frauen Lust meist erst als Reaktion auf den Partner entwickeln – etwa durch äußere Reize wie Küsse. Was schon mal die Abnahme von spontaner Lust bei Frauen in Langzeitbeziehungen erklärt. „Aber das ist ein ganz normaler Prozess, der kein Hinweis darauf ist, dass etwas nicht stimmt.“

Generell haben Menschen häufiger Sex, wenn er ihnen Spaß macht, und dazu trägt der Orgasmus einen entscheidenden Teil bei. Die Forschung habe aber festgestellt, dass Frauen eher zum Orgasmus kämen, erzählt die Psychologin, wenn sie masturbieren oder Sex mit Frauen haben, als wenn sie Sex mit Männern haben. Denn die wenigsten kommen durch Penetration zum Orgasmus.

Vor einigen Jahren meldete ein deutscher Erfinder eine neue Generation Vibratoren zum Patent an, die seitdem den Markt erobert haben, der Druckwellenvibrator, der die Klitoris von außen stimuliert. Nicht ganz auszuschließen, dass Menschen weniger Sex haben, weil sich Frauen selbst zu helfen wissen. Aber Burghardt schränkt ein: „Sexspielzeuge werden sogar häufiger mit Partnern eingesetzt als bei der Selbstbefriedigung.“

Was allerdings einen großen Einfluss auf die weibliche Sexualität hat, sind die sozialen Medien. Ständige Vergleiche mit scheinbar makellosen Personen im Internet wirken auf die psychische Zufriedenheit. Das hat sich besonders negativ auf die Sexualität von Frauen ausgewirkt, weil laut Evolutionspsychologie das Äußere von Frauen entscheidender für die Partnerwahl ist als das von Männern.

Ein weiteres Phänomen, das beide Geschlechter betrifft, sind die Bindungstypen. „Es gibt Hinweise darauf, dass die Bindungsstile in den vergangenen Jahrzehnten unsicherer geworden sind“, weiß Burghardt. Der Grundstein dafür wird, wie so oft, in der Kindheit gelegt. Und die jeweiligen Bindungsstile – nämlich vermeidend, sicher, ängstlich – haben erheblichen Einfluss; nicht nur auf die Art der Beziehung, sondern auch auf die Sexualität. Vereinfacht gesagt: Während vermeidende Bindungen gut ohne Sex auskommen, brauchen ängstliche sehr viel mehr Sex, denn oftmals setzten sie diesen mit Liebe gleich.

Und dann ist natürlich der berühmte Stress auch ein Grund, wenn es im Bett nicht mehr so läuft. „Wer Stress hat, hat meist weniger Sex und erlebt weniger sexuelle Befriedigung – abgesehen von den wenigen Menschen, die Sex gezielt zum Stressabbau nutzen“, so die Sex-Expertin.

Außerdem sei in den vergangenen Jahren die Zahl psychischer Erkrankungen gestiegen, auch das könne zur Abnahme der Sexualität beigetragen haben, meint die Autorin. Denn dann nehme das „sexuelle Verlangen genauso ab wie die sexuelle Erregung und die Wahrscheinlichkeit, einen Orgasmus zu erleben“. Auch Medikamente, die zur Behandlung psychischer Erkrankungen verschrieben werden, wirken sich negativ auf die Libido aus.

Juliane Burghardts Lösungsvorschlag: Zunächst erst mal das Handy weglegen und dafür sorgen, dass Frauen mehr Orgasmen beim Sex erleben. Dafür müsste deren Sexualität aber so ernst genommen werden wie die der Männer. „Das wäre einerseits schön für viele Frauen, weil sie dann mehr Spaß hätten, es wäre aber auch schön für viele Männer, weil sie dann wahrscheinlich mehr Sex bekämen“. Aber da Sex in seinem Kern ein zwischenmenschlicher Akt bleibt, so die Psychologin, würde kein Trick funktionieren, „solange die Beziehung zu der Person, mit der man Sex hat, nicht funktioniert“.

Soll eine Beziehung funktionieren, müssen die Partner sich einander verbunden fühlen. „Um das zu erreichen, sollten sie positiv auf Kontaktversuche des anderen reagieren.“ Das müssen keine großen Gesten sein, sagt die Psychologin, die Interaktion sei schon dann erfolgreich, wenn der Andere Interesse daran zeige.

Und in der Wissenschaft ist man sich zumindest darüber einig, dass Paare reden müssen: über sich, über die Beziehung, über Sex – damit er gut wird oder es im besten Falle bleibt. „Das Reden über Sex ist deshalb so wichtig, weil das Tabu rund um Sex uns dazu verleitet, dass wir glauben, dass alle anderen Sex auch so erleben wie wir selbst“ – was eben oft nicht der Fall ist. Dafür müsse man sich natürlich zunächst selbst kennen und Dinge ausprobiert haben.

Aber ist es wirklich das höchste Ziel, mehr Sex zu haben? Für Burghardt ist die Frequenz gar nicht so problematisch, sie sehe die Flaute eher als Symptom, dass wir weniger gute Beziehungen haben. Und das sei etwas, sagt sie, dass sie viel mehr sorge. Denn wir brauchen gesunde Beziehungen, sie machen uns glücklicher.

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