Sechs Schritte, um glücklich zu werden

Katharina Mühl (38) schreibt auch einen Blog

Wut, Trauer, Schwermut: „Wir Menschen sind genetisch auf das Unglück programmiert“, sagt Buchautorin Katharina Mühl. Im Interview erklärt sie sechs einfache Wege für eine persönliche Aufwärtsspirale – und wie man die richtigen Ziele im Leben findet.

Katharina Mühl sagt: „Glück ist nichts, das uns zufliegt.“ Es brauche Planung, Achtsamkeit – und manchmal einfach orange markierte Termine im Kalender. Mühl war früher Produktmarketing-Expertin und nennt sich heute „Glückstrainerin“. In ihrem Buch „Glückskompetenz“ erklärt sie, wie sich Glück systematisch trainieren lässt.

WELT: Frau Mühl, Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie orientieren sich an dem „Perma“-Modell von Psychologieprofessor Martin Seligman für ein gelingendes Leben?

Katharina Mühl: Das „Perma“-Modell ist ein Akronym aus fünf Dimensionen, die laut positiver Psychologie zum Aufblühen führen: P steht für positive Gefühle, E für Engagement, also den Flow, den Zustand völliger Vertiefungund den Einsatz von meinen Stärken. R steht für Relationships – gelingende Beziehungen, M für Meaning, also Sinn. Und A für Accomplishment – Zielverfolgung und das Erleben von Erfolgen.

WELT: Warum ist es überhaupt so schwer, sich auf das Positive zu konzentrieren?

Mühl: Wir Menschen sind genetisch auf das Unglück programmiert. Wir merken uns negative Ereignisse intensiver als positive – das war für unsere Vorfahren überlebenswichtig. Doch heute führt diese sogenannte Negativitätsverzerrung dazu, dass wir beim Abendessen eher über das Ärgerliche sprechen als über das Schöne. Aber: Wir können das trainieren. Eine klassische Übung ist der positive Tagesrückblick. Ich frage mich abends: Was war heute schön? Und – wenn ich etwas fortgeschrittener bin: Was habe ich dazu beigetragen, dass es schön war? So stärkt man nicht nur seine Dankbarkeit, sondern auch seine Selbstwirksamkeit.

WELT: In Ihrem Buch gehen Sie auf die einzelnen fünf Punkte des „Perma“-Models ausführlich ein. Sie nennen zu Beginn aber auch erst einmal sechs Wege zu mehr guten Gefühlen, die Abkürzung sozusagen.

Mühl: Genau. Neben dem positiven Rückblick gehören dazu ganz banale Dinge: körperliche Grundbedürfnisse wie Schlaf, Essen, Trinken, Bewegung. Viele sind da in einem Mangelzustand und wundern sich dann, warum sie sich nicht gut fühlen. Ein anderer, dritter wichtiger Weg ist die Achtsamkeit in der Gegenwart. Duschen zum Beispiel kann ein Glücksmoment sein – oder ein Moment, in dem man ins Grübeln kommt. Entscheidend ist, ob ich wirklich da bin. Ich setze mir sogenannte Gegenwartsanker, etwa wenn ich ein Glas Wasser trinke, achte ich darauf, im Hier und Jetzt zu sein.

WELT: Und als vierten Punkt nennen Sie die Körpersprache?

Mühl: Auch unsere Haltung beeinflusst unser Befinden. Wenn ich mich aufrichte, die Schultern zurücknehme, hat das eine Wirkung. Manchmal kommt das Glück nicht vom Gefühl, sondern vom Körper.

WELT: Dann empfehlen Sie Mini-Urlaube.

Mühl: Kleine, geplante Freuden. Ich frage mich morgens: Was mache ich heute für meine Freude? Ich plane sie konkret ein. In meinem Kalender markiere ich sie orange – wie Höhepunkte der Woche. Das kann eine Yogastunde sein, ein Spaziergang, ein Mittagessen mit einer Freundin. Glücksmomente brauchen Raum – und dürfen auch bewusst geplant werden. Am besten plant man täglich eine schöne Aktivität, dann habe ich etwas, worauf ich mich freuen kann.

WELT: Sie empfehlen auch, als sechsten Schritt, auf Sprache zu achten. Was meinen Sie damit?

Mühl: Oft sagen wir: „Ich muss noch Yoga machen“ oder „Ich muss meine Freundin treffen“. Das sind Dinge, die wir hoffentlich gerne tun! Das Wort „muss“ macht aus allem eine Pflicht. Ich sage stattdessen: „Ich will“, „Ich kann“, „Ich entscheide mich“. Das bringt mich in die Selbstverantwortung. Und es hilft auch bei unangenehmen Dingen: Ich „entscheide mich“ zum Zahnarzt zu gehen, weil mir meine Zahngesundheit wichtig ist.

WELT: Und wenn es mir schlecht geht?

Mühl: Dann ist es wichtig zu wissen: Glück bedeutet nicht, keine negativen Gedanken mehr zu haben. Im Gegenteil. Negative Gefühle zeigen uns, dass ein Bedürfnis verletzt ist. Wut zum Beispiel weist auf ein verletztes Gerechtigkeitsgefühl hin, Neid auf ein unerfülltes Ziel. Ich empfehle, diese Gefühle zu benennen. Das macht es leichter, sie zu bearbeiten. Diese Technik heißt „name it to tame it“ – benenne es, um es zu zähmen.

WELT: Sie schreiben, dass Glück so wichtig ist, weil es eine Aufwärtsspirale auslösen kann.

Mühl: Das nennt sich die „Broaden-and-Build“-Theorie von Barbara Fredrickson. Positive Gefühle weiten unseren Denkraum („Broaden“) – wir werden kreativer, offener, optimistischer. Und sie bauen Ressourcen auf („Build“) – Beziehungen, Kompetenzen, Energie. Eine gute Tat führt zur nächsten, ein Kompliment erzeugt Nähe, Nähe gibt Kraft, Kraft erzeugt mehr Engagement – so schaukelt sich Glück über die Zeit hoch.

WELT: In Ihrem Buch geht es viel um die eigenen Stärken. Warum sind sie so wichtig und welche Rolle spielen sie?

Mühl: Eine zentrale. Viele Menschen kennen ihre eigenen Stärken gar nicht. Wir wurden mit Sprüchen wie „Eigenlob stinkt“ groß. Aber: Wenn ich meine sogenannten Signaturstärken kenne – also Stärken, die sich wie meine persönliche Handschrift anfühlen – dann kann ich gezielt Flow erleben. Flow ist dieser Zustand, in dem wir ganz im Zustand höchster Konzentration in einer Tätigkeit aufgehen.

Ich liebe zum Beispiel das Lernen und das Lehren. Das gibt mir Energie. In der Schule hingegen wird meist an Schwächen herumgedoktert. Stattdessen sollten Kinder, und wir alle, in ihren und unseren Talenten gefördert werden und diese mehr ausleben.

WELT: Beziehungen sind laut Forschung der größte Glücksfaktor. Warum?

Mühl: Weil wir soziale Wesen sind. In Beziehungen können viele Bedürfnisse gleichzeitig erfüllt werden: Zugehörigkeit, Wertschätzung, Austausch, Humor. Und auch die Beziehung zu uns selbst ist zentral. Ich bin der einzige Mensch, der bis zu meinem Lebensende immer bei mir ist. Wenn ich mich innerlich ständig fertig mache, wird es schwer mit der Zufriedenheit.

WELT: Wie lernt man, freundlich mit sich zu sprechen?

Mühl: Eine gute Frage. Viele Menschen glauben, sie müssten sich antreiben durch innere Härte. Aber stellen Sie sich vor, Ihre Freundin sagt: „Ich habe die Präsentation total versaut.“ Und Sie sagen: „Stimmt. Du bist halt eine Versagerin.“ Das würden Sie niemals tun. Aber viele sprechen so mit sich selbst – gedanklich. Ich empfehle das Dreischrittmodell des Selbstmitgefühls von Kristin Neff: 1. Anerkennen, dass es gerade schwer ist. 2. Sich mit anderen verbunden fühlen – „viele erleben das gerade auch“. 3. Mit sich selbst mitfühlend umgehen – „Ich darf geduldig mit mir sein.“

WELT: Und wie gelingt eine gute Beziehung zu anderen?

Mühl: Ein zentraler Punkt sind die sogenannten „Love oder Friendship Maps“ – also das genaue Wissen über das Innenleben des anderen. Was beschäftigt ihn oder sie? Was sind seine Wünsche, Träume, Ängste? Das sollte man erfragen und sich daran erinnern. Das hat Vorteile für beide Seiten. Achtung, Menschen verändern sich aber auch, und viele hören auf, sich für den anderen zu interessieren. Dabei brauchen Beziehungen genau das: Neugier und Wissen. Man sollte diese innere Karte, sein Wissen über den anderen, also regelmäßig mit Fragen auffrischen.

WELT: Und dann gibt es die berühmte 5:1-Regel …

Mühl: Ja! Für jede kritische Bemerkung in einer Beziehung braucht es fünf positive, um das Gleichgewicht zu halten. Die Forscher John und Julie Gottman konnten mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob ein Paar zusammenbleibt – allein anhand dieser Balance in der Kommunikation.

WELT: Was stört Beziehungen am meisten?

Mühl: Die vier apokalyptischen Reiter: Destruktive Kritik („immer machst du…“), Rechtfertigung, Verachtung, Mauern. Das sind Kommunikations-Todeszonen. Besser ist: Ich-Botschaften senden, Verhalten sachlich benennen, eigene Bedürfnisse klar äußern.

WELT: Viele tun sich schwer, Bedürfnisse überhaupt auszusprechen.

Mühl: Wir hoffen oft, andere müssten unsere Wünsche von den Augen ablesen. Aber: Niemand ist ein Hellseher. Wenn ich will, dass mein Partner mir zum Geburtstag einen selbst gebackenen Kuchen bringt, darf ich es sagen. Und ich kann anfangen, Vorwürfe in Wünsche zu verwandeln: Aus „Nie hast du Zeit für mich“ wird: „Ich wünsche mir zwei Stunden nur für uns.“

WELT: Auch auf Positives reagieren will gelernt sein.

Mühl: Unbedingt! Wenn mir jemand erzählt, dass er eine Reise gemacht hat, reicht ein „Schön für dich“ nicht. Besser ist: „Wie war es? Zeig mal die Fotos! Was war dein schönstes Erlebnis?“ Das ist aktives, konstruktives Kommunizieren. Es lässt das gute Gefühl wachsen – und vertieft die Beziehung.

WELT: Was gibt dem eigenen Leben Sinn?

Mühl: Für mich: das Leben im Einklang mit den eigenen Werten. Viele kennen ihre Werte gar nicht – oder leben nicht danach. Die Frage sollte sein: Welcher Mensch möchtest du sein? Das ist der Unterschied zwischen Haben-Zielen („Ich will ein Haus, ein Auto …“) und Sein-Zielen („Ich will empathisch, mutig, klar sein“).

WELT: Viele glauben, Sinn sei etwas Großes, fast Unerreichbares.

Mühl: Dabei entsteht Sinn im Alltag – beim Helfen, im Tun, im Handeln. Nicht durch Grübeln. Ich sage immer: Glück ist aktiv. Nur wenn ich handle, erfahre ich mich. Nur dann kann ich wachsen. Sinn hat viel mit Stärken, Beiträgen und Beziehungen zu tun.

WELT: Welche Ziele machen glücklich – und welche nicht?

Mühl: Ziele machen dann glücklich, wenn sie intrinsisch motiviert sind: Wenn ich etwas tue, weil es mir wichtig ist – nicht, weil es andere von mir erwarten. Es gibt Ziele, die laut Forschung sogar unglücklich machen: Reiner Wohlstand, Status, Anerkennung, äußere Attraktivität. Denn sie alle beruhen auf äußeren Bewertungen.

WELT: Was ist Ihrer Meinung nach stattdessen sinnvoll?

Mühl: Beitragsziele, zum Beispiel anderen zu helfen, Beziehungsziele, also gute Verbindungen zu pflegen, und Sinnziele, also einen inneren Kompass entwickeln. Und auch hier: Es kommt nicht auf den perfekten Plan an – sondern darauf, dass ich ins Handeln komme. Glück ist trainierbar. Glück ist kein weit entferntes Ziel, es ist das Ergebnis von Handeln.

WELT: Was ist Ihnen noch wichtig, was fällt Ihnen oft auf?

Mühl: Wir alle brauchen ein Wachstums-Mindset. Viele glauben: Entweder ich kann etwas, oder ich kann es nicht. Aber wir können alles lernen – mit Ausdauer, Neugier und Unterstützung. Und genau das wird in der Zukunft entscheidend sein. Wir müssen nicht alles wissen – aber wir müssen wissen, dass wir lernen können.

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