„Ich sterbe – aber es geht mir dabei besser denn je“
Vor Kurzem hieß es, die 68er-Ikone Rainer Langhans liege im Sterben. Tatsächlich? Ein Gespräch über seine Haltung zum Tod, seinen letzten Sex, seine vielen Kinder – und, natürlich, Uschi Obermaier.

Herr Langhans, ich muss Ihnen direkt etwas gestehen. Der Anlass, warum ich da bin, ist ein Bericht der „Bild am Sonntag“, wonach Sie im Sterben liegen. In der Frankfurter Zentrale hieß es dazu: Schnell noch zu Langhans, bevor es zu spät ist. Finden Sie das pietätlos?
Nein, gar nicht. Übers Sterben zu reden, ist ja nun schon länger mein Ding. Jede Gelegenheit ist mir dafür willkommen.
Sie wirken allerdings gar nicht wie einer, der im Sterben liegt. Wurde da etwas falsch verstanden? Oder haben Sie ein bisschen dramatisiert?
Ich sterbe, das stimmt. Aber es geht mir besser denn je dabei und dadurch. Die meisten verstehen das nicht. Sie denken, wenn einer stirbt, dann muss er auf dem letzten Loch pfeifen. Falsch. Ich übe das Sterben seit Jahrzehnten und lebe so immer mehr auf.
Sie haben die Diagnose Prostatakrebs. Ging es Ihnen denn wenigstens vor gut drei Wochen schlechter, als der alarmistische Bericht über Sie erschien?
Überhaupt nicht. Da hat nur die „Bild“ mal wieder angerufen und gefragt, wie geht es Ihnen denn so? Da sagte ich, nun, ich sterbe so vor mich hin. Und es geht mir bestens dabei. Da hat die Journalistin dann natürlich nur den ersten Satz genommen. Kein Problem. Aber es kann durchaus sein, dass ich noch Jahre lebe.

„Die meisten Philosophen drücken sich ums Thema Sterben herum“: Rainer Langhans im Gespräch
Es wäre natürlich trotzdem schön, wenn wir Sie, so wie Sie jetzt in Ihrem Bett liegen, fotografieren könnten, quasi auf Ihrem Sterbebett.
Klar, gerne. Das ist ein gutes Sterbezimmer, oder? Was ich hier jeden Tag übe, kann ich hier ja irgendwann auch zum letzten Mal machen.
Die alte Proust-Frage: Wie möchten Sie sterben?
So, wie ich gelebt habe. Das heißt, ich werde das wahrscheinlich in irgendeinem Zusammenhang mit meinen drei Frauen tun, die ganz nah bei mir leben, jede in ihrer eigenen Wohnung. Sie wollen vor mir sterben – ich soll sie ja begleiten in ihren Tod, sagen sie. Insofern werde ich am Ende vielleicht sogar der Letzte sein. Schmerzen will ich nicht haben, werde ich wohl auch nicht. Wegen der Übung. Das ist wie bei gut trainierten Turnern. Die haben auch keine Schmerzen mehr, wenn sie in den Spagat gehen.
Ihr Ziel ist es, Kampf und Krieg aus Ihrem Leben zu eliminieren. Wenn man in Frieden lebt, stirbt man dann auch in Frieden?
Aber ja! Wenn du den Tod lieben lernst, wird der natürlich zurücklieben. So ist es auch mit meinem Krebs. Weil ich mich nicht gegen ihn sträube, keine Chemotherapie mache, sondern ihn umarme, hat er sich als das entpuppt, was er ist: eine Liebesgabe, ein weiteres Instrument, um im Sterbenüben größere Meisterschaft zu erlangen.
Von Montaigne – oder Platon – stammt angeblich der Satz: „Philosophieren heißt sterben lernen.“
Nicht schlecht, aber falsch. Denn die meisten Philosophen drücken sich ums Thema Sterben herum. Wenn die sich wirklich damit beschäftigen würden, dann würden sie nicht mehr so viel denken. Denn im Tod geht es um das Jenseits des Denkens. Nur weiß das im Westen kaum einer. Ich selbst habe es durch die Spiritualität sehr konkret erfahren und lebe danach.

Rainer Langhans Ende März
Bazon Brock sagt, durchaus wertschätzend, Sie seien „ein Philosoph ohne Einsatzauftrag“.
Philosophen verstehen sich als Aufklärer. Ich gehe über die Aufklärung hinaus.
Geht das zusammen mit der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer?
Die beiden sind wie so viele auf halbem Weg stehen geblieben. Als wir Achtundsechziger das richtige Leben, die große Liebe nicht bloß ein bisschen visionär gesehen, sondern wirklich gelebt haben, da behaupteten sie, es gebe kein richtiges Leben im falschen. Was für ein Irrtum!
Warum ging das richtige Leben wieder verloren?
Wir waren noch zu sehr dem Materiellen verhaftet, zu wenig im Sterben geübt, um dieses neue, unsterbliche Leben wirklich annehmen zu können. 1968 war eine phantastische spirituelle Erfahrung, die uns über den Körper hinausgehoben und, als sie nach einem knappen Jahr vorbei war, umso grausiger wieder in den Körper zurückgeworfen hat. Ich dachte, ich würde das nicht überleben. Wenn du einmal das Licht gesehen hast, willst du nicht mehr zurück. Für mich war es dann doch der Anstoß, mich auf die Suche zu machen, nach innen zu gehen, mit dem Ergebnis, dass ich heute sogar umfassender liebend bin als damals. Viele andere Achtundsechziger haben leider resigniert.
Oder sind in die Radikalität abgeglitten. Die RAF-Leute zum Beispiel.
Das sind für mich keine Radikalen, sondern Feiglinge, die aus Angst vor der Liebe den alten Scheißkrieg weitergemacht haben. Wirklich radikal sind die, die lieben.

Uschi Obermaier und Rainer Langhans in einer Wohngemeinschaft in München im Jahr 1969
Horst Mahler oder Bernd Rabehl sind ganz weit nach rechts gedriftet. Manchmal werden auch Sie zu den Renegaten gezählt, etwa weil Sie einem rechtsextremen Magazin ein Interview gegeben haben.
Ich rede mit allen, die mit mir reden wollen. Zum Beispiel mit Ihnen.
Wie bewerten Sie Leute wie Mahler und Rabehl?
Auch sie haben gesehen, dass es das richtige Leben gibt. Und sie suchen, wo es hingegangen ist. Zwar in den falschen Ecken, aber immerhin. Als Horst vor ein paar Jahren noch in der JVA Bernau saß, wollte ich ihn besuchen. Er lehnte ab. Ich persönlich fühle mich ihm nach wie vor verbunden, ich liebe ihn. Wenn man so will, bin zumindest ich mit ihm befreundet, mit Bernd auch. Aber sie wollen keinen Kontakt haben, weil sie sehen, dass ich etwas tue, was sie nicht verstehen.
Ihr Ziel beim Sterbenüben ist ja, sich vom Materiellen, vom Körperlichen, vom Konsum zu lösen. In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde mal angedeutet, dass Ihre Kommune, die Sie mit den erwähnten Frauen bilden, womöglich recht vermögend sei, zumal eine der Frauen viele Jahre mit John Paul Getty III., dem Enkel des legendären Tycoons Jean Paul Getty, verheiratet war.
Ich habe von diesem Blutgeld nie etwas genommen. Geld stinkt und macht hässlich. Deswegen lebe ich bewusst unterhalb der Armutsgrenze.

Im Jahr 2011 machte Rainer Langhans bei der RTL-Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ mit.
Für Ihre Teilnahme am Dschungelcamp haben Sie 2011 50.000 Euro gekriegt.
Und das meiste davon gespendet. Ich habe nur ein bisschen was für den materiellen Sockel genommen, den ich brauche, um einigermaßen überleben zu können. Ich zahle zum Beispiel Miete für mein Zimmer. Die haben sie gerade auf gut 500 Euro erhöht.
2018 vergab der Kunstverein Ahlen an die Künstler Evelyn Möcking und Daniel Nehring einen mit 1968 Euro dotierten Kunstpreis für ein vergoldetes Schamhaar von Ihnen. Titel: „Searching for the Revolution“. Haben Sie von dem Geld etwas abbekommen?
Nein. Ich fand das einfach eine lustige Idee.
Wie kamen die an Ihr Schamhaar?
Ich habe mir, als sie mich fragten, eins ausgerissen und es ihnen gegeben.

30. September 1967: Rainer Langhans wird während einer Demonstration in Berlin für den in Untersuchunghaft sitzenden FU-Studenten Fritz Teufel festgenommen.
Es ist also nicht beim Geschlechtsakt passiert?
Nein – ich hab ja seit Langem keinen Akt mehr.
Können Sie sagen, wann Sie zum letzten Mal Geschlechtsverkehr hatten?
Vor 40 Jahren oder so. Das gilt für alle Frauen in der Kommune außer für eine. Die kam vor etwa 20 Jahren auf mich zu und sagte: Kannst du mich da rausholen aus dem Sex? Sie wisse zwar keine Alternative dazu, aber eigentlich langweile er sie. Das hieß aber nach ihrer Aussage, dass ich, um sie rauszuholen, in sie reingehen musste. In Indien nennt man das tantrisch. Ich wollte eigentlich nicht mehr zurück in den Sex. Und doch hab ich mich dann dieser Fron unterzogen. Damals hatte ich dann noch mal sehr viel Sex, quasi zur Desensibilisierung. Also in den Sex reingehen und sich darin entkörpern, aus dem Körper rausgehen. Hat funktioniert.

Rainer Langhans und Uschi Obermaier im Jahr 2007
Uschi Obermaier soll mit Ihnen als Liebhaber unzufrieden gewesen sein. Wie kam Sie zu diesem Urteil?
Genau weiß ich das nicht. Wir hatten uns 1973 bewusst und im Guten getrennt. Ich sagte zu ihr, ich will nach innen gehen, und du willst im Außen bleiben und weiter mit den schönsten Männern der Welt Sex haben, das ist offensichtlich deine Bestimmung. Sie sagte dann: Du willst sterben, ich will leben. Hatte sie recht. Ich habe da schon erkennbar für sie dieses Sterbenüben begonnen. Das ging ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte ganz gut, wir waren, wenn man so will, locker befreundet, ich hab sie nicht mehr gesehen, aber es war okay. Und dann wurde es immer schlimmer, und sie sagte, das ist alles scheiße, was du machst. Sie konnte das nicht ertragen, dass ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung einen ganz anderen Weg abgeleitet habe als den, den sie gehen musste oder wollte.
Als Sie im Dschungelcamp waren, warf sie Ihnen vor, „mediengeil“ zu sein, und kommentierte Ihr dortiges Fastenexperiment mit den Worten: „Wenn er sterben will: von mir aus. Der kann ruhig tot sein.“
Da wurde mir klar, dass mein Verlassen des Sex, was in ihren Augen wohl auch die Abwertung desselbigen mit ihr war, dass sie das mit der Zeit erbittert und geradezu zu einem Hass auf mich geführt hat. Ich liebte sie weiter. Warum nicht? Aber Liebe war für mich eben nicht mehr Sex, sondern das Gegenteil. Und dann waren wir wohl, wie sie sagen würde: zerstritten. Ich habe ja nie mit ihr gestritten. Jetzt macht sie wohl einen Film über sich, versucht es, und deswegen hat sie mich kontaktiert. Wir sind dann spazieren gegangen in München, vor zwei, drei Jahren. Ich hab natürlich gesagt, klar, mach ich mit. Vielleicht kommt sie ja noch mal auf mich zu, weil sie mich gewinnen will, zumindest für den Film.
Ich habe mal mit Peter Gauweiler über Sie gesprochen. Er war 1968 RCDS-Vorsitzender in München.
Ich kenne ihn und mag ihn auch. Er hat mal sehr richtig gesagt, dass seine Auseinandersetzung mit den Achtundsechzigern ihm viel gebracht hat in der CSU.
Er sagte über Sie: „Er wurde glühend beneidet, weil er immer mit zwei Frauen kam, schönen Frauen.“ Ist Ihnen das damals bewusst gewesen?
Logisch! Als die ganzen Rechten, die ja immer mit ihrem Geld die Frauen kaufen konnten, plötzlich sahen, dass ihnen die schönsten Frauen weggenommen wurden von den armen Linken, fanden die das natürlich bemerkenswert und versuchten, uns schlechtzumachen. Denn eigentlich gehen die Frauen ja nach dem Geld, gerade die schönen.
Wollte nie eine Frau ein Kind von Ihnen, Uschi Obermaier oder eine andere?
Uschi wollte nie Kinder, andere schon. Die haben mir das auch gesagt, und ich hab mir das dann sehr genau angehört und bin immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass ihr Interesse an einem gemeinsamen Kind nicht wirklich durchdacht und inhaltlich begründet war. Außerdem hab ich ja massenhaft Kinder. Zum Teil im näheren Umfeld in der Kommune, etwa die Kinder von Jutta, die zwar nicht mit mir gezeugt wurden, aber mit mir aufgewachsen sind, das sind meine Kinder. Und die ganzen anderen, die irgendwo von mir etwas gehört haben, die vielleicht leben und lieben wollen wie ich und mich dann auf der Straße ansprechen oder beim Tischtennisspielen im Park, umso freundlicher übrigens, je älter ich werde: Das sind alles meine Kinder.
Kinder können einen über die eigene Sterblichkeit hinwegtrösten, Bücher womöglich auch. Sind Sie traurig, dass sich für Ihre durchaus interessanten Werke zum Teil nicht mal ein Verlag finden ließ?
Das hat mir nur gezeigt, dass das, was ich da schreibe, nichts für den Verstand ist. Das heißt, es geht für mich nur auf anderen Wegen, zum Beispiel über die „Bild“-Zeitung. Alle Übrigen können damit nichts anfangen.
Ihr natürliches Sterben steht also nicht unmittelbar bevor. Ich hoffe, auch der Suizid ist keine Option für Sie . . .
Man könnte natürlich sagen, du willst doch raus aus deinem Körper, dann stirb doch endlich, bring dich um! Aber spirituell gesprochen wäre das nun wirklich das Allerletzte. Ich habe mir das Leben nicht gegeben, also kann ich es mir auch nicht nehmen.