Wenn wir verreisen, wollen wir etwas erleben. Der Neurobiologe Marcus Täuber erklärt, was das Gehirn für wirkliche Erholung braucht, wie man dafür den Urlaub optimal plant – und warum Langeweile so wichtig ist.
ICONIST: Viele freuen sich in diesen Tagen auf ihren lang ersehnten Urlaub – und nicht wenige erleben erst mal eine Ernüchterung. Denn sobald sie im Hotel die Koffer ausgepackt haben, werden sie krank. Einer Untersuchung der Internationalen Hochschule Bad Honnef Bonn (IU) zufolge geht das mehr als 20 Prozent der Beschäftigten so. Woran liegt das?
Marcus Täuber: Viele merken erst, wenn sie zur Ruhe kommen, wie sehr sie sich davor körperlich und geistig angestrengt haben. Der Dauerstress aber schwächt unser Immunsystem. Wenn wir im Urlaub dann abrupt zur Ruhe kommen, kann das den Körper so aus der Bahn werfen, dass er mit Migräne oder einem grippalen Infekt reagiert.
Wenn man einem Herrscher des Mittelalters, er hat gerade eine gute Amtsperiode vollbracht, 2 neue Steuern erfunden, neue Ländereien erobert, einen Aufstand niedergeschlagen und 14 Aufrührer und Rebellen hinrichten lassen, und der jetzt den Wunsch nach Erholung und etwas Abwechslung verspürt, vorschlagen würde, er soll doch etwas weg in Urlaub fahren, würde der antworten: „Hast Du einen Knall? Soll ich mir noch mehr Stress aufladen? Ich mache es mir jetzt hier, wo alles so schön geregelt ist, gemütlich und kümmere mich um meine Konkubinen.“
ICONIST: Wie lässt sich das vermeiden?
Täuber: Indem wir verinnerlichen, dass wir eigentlich immer beziehungsweise regelmäßig Urlaub brauchen. Urlaub ist für mich kein Ort, sondern ein mentaler Zustand. Wir benötigen nach einer anstrengenden Tätigkeit möglichst bald eine Möglichkeit, zu regenerieren, beispielsweise in Form von gutem Schlaf. Wenn ich ins Fitnessstudio gehe und die Muskeln stark belaste, brauche ich anschließend Erholungsphasen. Dass wir auch auf der mentalen Ebene entspannen müssen, ist noch viel zu wenig in unserem Bewusstsein. Stattdessen legen wir uns vor den Fernseher und schauen Serien, die mit ihren negativen Inhalten wie Kriminalität den Geist auch wieder anstrengen.
ICONIST: Wie entspannen wir denn richtig?
Urlaub beginnt ja im allgemeinen auch immer sehr entspannend und endet auch so. In der Zeit dazwischen entspannt man sich mit Sonnenbränden oder lokalen Waldbränden.
Täuber: Im Prinzip geht es darum, aktiv zu sein, ohne in Anstrengung zu verfallen. Hochleistungssportler regenerieren, indem sie leichte Schwimmeinheiten absolvieren oder traben, statt zu rennen. Für einen Menschen, der nach einem anstrengenden Tag im Büro runterkommen will, wäre zum Beispiel ein Spaziergang im Wald optimal. Zu der lockeren Bewegung kommt der Entspannungseffekt durch die Natur hinzu.
ICONIST: Warum ist der so besonders?
Täuber: Das Gehirn reagiert auf Natur, speziell auf die Farben Grün und Blau, automatisch mit Entspannung. Das hat vermutlich damit zu tun, dass Wasser- und Grünflächen schon immer signalisiert haben: Hier wird man mit Nahrung versorgt. Ein Park vor der Haustür ist eine gute Sache. Im Prinzip kann man Natur aber auch mit einer Zimmerpflanze simulieren.
ICONIST: Müssen wir dann überhaupt verreisen?
Täuber: Theoretisch kann man natürlich auch zu Hause Urlaub machen. Es ist aber deutlich schwieriger, in der gewohnten Umgebung abzuschalten, wo wir so schnell in unsere alten Verhaltensmuster verfallen. In einer anderen Umgebung mit einer anderen Kultur können wir uns von Gewohnheiten viel leichter lösen.
ICONIST: Sie werben immer wieder für die positiven Effekte der Meditation. Wären die freien Tage ein guter Anlass, es einmal zu probieren?
Täuber: Unbedingt. Genauso, wie ich bei einem Surfkurs eine lockere Körperhaltung lerne oder beim Joggen am Strand meine generelle Leidenschaft am Laufen entdecke, kann der Urlaub auch ein guter Anlass sein, mit Meditation zu beginnen. Dafür muss ich aber nicht verreisen. Meditation heißt, den Geist zur Ruhe zu bringen, indem ich mich entspannt auf eine Sache konzentriere. Das kann ich auch vor meinem Aquarium.
Wir bringen den Geist zur Ruhe und konzentrieren uns, und warten bis unsere Zeit kommt und wir gerufen werden.
ICONIST: Wie das?
Täuber: Wenn ich einen Fisch beobachte und schaue, was er so macht, blende ich für einen Moment alle anderen Gedanken aus, auch sorgenvolle. Auch beim Klettern geht das wunderbar. Wenn ich mich beim Bouldern nicht auf jeden Griff konzentriere und die Gedanken zu meinen Alltagsproblemen schweifen lasse, falle ich herunter.
ICONIST: Haben Sie auch noch einen weniger gefährlichen Meditationstipp?
Täuber: Ich nehme mir alle zwei Tage 25 Minuten Zeit für Zenmeditation. Dafür setze ich mich an einen ruhigen Ort und mache gar nichts, außer mit halb geöffneten Augen auf eine leere Wand zu schauen und zu versuchen, im Moment zu bleiben. Es ist wirklich spannend, wie es in dieser Zeit gelingen kann, Ängste und Sorgen loszulassen und den Gedanken zu mehr Klarheit zu verhelfen.
ICONIST: Wer es schon mal probiert hat, fünf Minuten lang an nichts zu denken, weiß, wie schwer das ist.
Täuber: Das hat auch seinen guten Grund. Unser Gehirn sucht ständig nach Reizen, nach Problemen und Lösungen, weil das für unser Überleben wichtig ist. Wenn die Steinzeitmenschen am Lagerfeuer saßen und nicht achtsam waren, dann hatte der Feind, beispielsweise in Gestalt des Säbelzahntigers, leichtes Spiel.
ICONIST: Heute lenkt uns nicht mehr der drohende Angriff eines Raubtiers ab, sondern der Gedanke an unerledigte Aufgaben oder die Angst vor der Nebenkostenabrechnung. Wie schaffen wir es, im Urlaub trotzdem abzuschalten?
Täuber: Mein Tipp wäre, zu Beginn des Urlaubs erst mal ganz bewusst auf Langeweile zu setzen und in den ersten zwei bis drei Tagen auf größere Unternehmungen zu verzichten. Dafür würde ich das Handy wie alle anderen technischen Verlockungen so oft wie möglich außerhalb meiner Reichweite, möglichst in einem anderen Raum ablegen. Es ist wichtig, sich auch mal zu langweilen. Nur so geben wir dem Gehirn die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und für eine Zeit seine Sorgen einfach mal nicht zu Wort kommen zu lassen.
Wie der britische Popstar Katie Price kann man sein Handy an einem anderen Ort ablegen, der in diesem Fall allerdings noch innerhalb der Reichweite ist.
ICONIST: Langeweile hat in unserer auf Effektivität ausgerichteten Gesellschaft keine große Lobby. Und wir haben uns ja auch daran gewöhnt, den Urlaub mit Besichtigungen und sportlichen Aktivitäten so gut wie möglich zu nutzen.
Täuber: Wenn wir unseren Urlaub so gestalten, dass wir von Anfang an alles durchplanen, vielleicht auch aus der Angst heraus, etwas zu verpassen, machen wir uns Stress. Wenn wir es aber schaffen, zunächst einmal nur vor dem Ferienhaus zu liegen und den Himmel über den Bergen zu betrachten, richten wir unseren Fokus auf unser Inneres. Dann werden möglicherweise Bilder aus der Vergangenheit wach, kommen Dinge hoch, die lange verschüttet waren, die sich vermischen und aus denen neue Ideen entstehen. Die können dann auch für unser Berufsleben nützlich sein.
ICONIST: Sollten wir uns einen Urlaubsort mit wenig Ablenkung suchen?
Täuber: Das ist auch eine Typsache. Es gibt sicher Menschen, die es für längere Zeit gut auf einer abgeschiedenen Almhütte aushalten. Aber für die meisten gilt: Genauso, wie man darauf achten sollte, dass der Urlaub nicht zu hektisch ist, sollte er auch nicht öde werden. Besser ist es, schrittweise mehr zu erleben.
ICONIST: Wie mache ich das am besten?
Täuber: Zwei Wochen haben etwa 400.000 Momente für unser Gehirn. Im Nachhinein können wir uns aber nur an einen Bruchteil dieser Augenblicke erinnern. Aus der Langeweile heraus aber kann ich mir aktiv überlegen, wie ich mir in Maßen schöne Momente schaffe, von denen ich über den Urlaub hinaus zehren kann. Wenn ich mich in einer Phase der inneren Leere für eine Wanderung entscheide oder einen Museumsbesuch, habe ich nicht nur gute Chancen, diese Aktivitäten wirklich als Entspannung zu genießen, sondern sie auch so bewusst zu erleben, dass ich sie als bleibende Erinnerungen speichern kann.
ICONIST: Brauchen wir solche Erinnerungen? Ist es nicht viel wichtiger im Hier und Jetzt zu leben?
Täuber: Wir unterschätzen die Kraft der Gedanken, zu denen schöne Erinnerungen ebenso gehören wie die Vorfreude auf etwas Schönes. Jeder kennt es, dass allein bei der Vorstellung der Lieblingsspeise das Wasser im Mund zusammenlaufen kann. Diesen Mechanismus kann man nutzen, indem man zum Beispiel ganz bewusst in Gedanken in eine Situation reist, in der man glücklich war. Wenn man sich den Moment intensiv vorstellt, sich vor das innere Auge führt, was man alles gesehen und gehört hat, gerochen und geschmeckt, dann kommt man wieder in den Zustand hinein. Wenn ich mir meine schönen Urlaubserlebnisse in den Alltag zurückrufe, bin ich auch wieder für einen Moment in dem entspannten Zustand, den ich erlebt habe, als ich von den Wellen getragen wurde oder mit netten Leuten einen Abend in einer Bar verbracht habe.
ICONIST: Wie erklärt sich das aus neurobiologischer Sicht?
Täuber: Vereinfacht gesagt, verbindet das Gehirn Bilder mit Emotionen. Und wenn die Bilder abgerufen werden, sind auch die Emotionen wieder da. Die guten wie die schlechten.
ICONIST: Zu den belastenden Ferienerinnerungen kann eine misslungene Urlaubsbekanntschaft gehören. Ist ein Urlaubsflirt empfehlenswert?
Täuber: Ein Urlaubsflirt ist voll in Ordnung! Er hat ja etwas Spielerisches und ist ein idealer Anlass, Leichtigkeit zu üben. Sobald dahinter allerdings größere Absichten und Pläne stecken, baue ich schon wieder Druck auf. Da sollte man schon genau hinschauen, wie das Gegenüber die Begegnung einschätzt, damit kein Ungleichgewicht der Erwartungen entsteht.