Meike Stoverock: „Sexuell hat die Frau das Sagen“
Meike Stoverock ist die Autorin des Buchs „Female Choice“. Im Interview erklärt sie, warum Frauen die sexuellen Bestimmer sind – und warum sexuell frustrierte Männer zur Gefahr werden können.
Im Tierreich gilt Damenwahl. Ob Kranich, Riesenkänguru oder Paradiesvogel: Die Männchen fast aller Arten strengen sich an, um die Weibchen zur Paarung zu bewegen. Die promovierte Biologin Meike Stoverock beschreibt das so: „Attraktive Männchen mit Hörnern, Geweihen, Schmuckfedern oder leuchtenden Farben machen ein Riesentamtam: Sie singen, schenken, bauen, drohen, sammeln, tanzen und imitieren Stimmen, dass den armen Weibchen ganz schwindelig wird vor Erotik.“
Frau Stoverock, haben Sie bei Ihren Beziehungen immer den ersten Schritt gemacht?
Das ist eine spannende Frage (lacht). Ich lerne Männer seit Jahren fast nur auf Social-Media-Kanälen wie Twitter und Instagram kennen, da ergibt sich der Kontakt durch die Threads meist von selbst. Meinen Ex-Mann habe ich auch online kennengelernt. Weil ich ihn so interessant fand, wollte ich unbedingt seine Körpergröße wissen und recherchierte sie im Netz. Wir haben in unserer Beziehung immer wieder darüber gescherzt, dass ich mich nicht in ihn verliebt hätte, wenn er kleiner als ich gewesen wäre.
War das „Female Choice“: Das wählerische Weibchen wählt ein bestimmtes Männchen aus, weil es seine Kriterien erfüllt? Sie bestimmt, er macht mit?
Es war der erste Schritt dahin. „Female Choice“ bedeutet in der Biologie, dass das Weibchen sich erst einmal zeigen lässt, was das Männchen zu bieten hat. Danach entscheidet sie, ob sie sich mit ihm fortpflanzen will. Sie hat nur eine begrenzte Menge an Eizellen zur Verfügung und wenn sie sich falsch entscheidet, verliert sie mehr als er. Männchen produzieren lebenslang Samenzellen – und nach dem Sex ist für sie die Fortpflanzung abgeschlossen. Das Weibchen trägt das Junge aus, muss es säugen und oft lange versorgen.
Und dieses simpel gestrickte Prinzip gilt auch für Menschen?
Natürlich haben wir das geistige Bewusstsein und die Freiheit zu entscheiden, ob wir zum Beispiel ein Kind wollen oder in einer Beziehung fremdgehen. Aber auf der sexuellen Ebene ist es so: Männer haben stets ein grundsätzliches Interesse an einer Frau, die sie attraktiv und begehrenswert finden. Frauen sind sehr viel wählerischer.
Tatsächlich wählen die Frauen, und wir Männer glauben nur zu wählen. Wir finden jede attraktiv, die uns attraktiv findet. Darauf beruht die Wirkung der Belladonna (schöne Frau)-Tollkirsche, deren Extrakt sich Frauen in der Renaissance in die Augen tröpfelten, was die Pupillen weitete, um dadurch attraktiv zu wirken. Denn geweitete Pupillen bei ihr signalisieren uns, dass sie uns attraktiv findet. Und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als sie attraktiv, als bella donna zu finden.
Sie vertreten die These, dass das Patriarchat die „Female Choice“ unterbunden hat. Erklären Sie das doch bitte.
Mit der der Entstehung des Patriachats kam das zivilisatorische Konstrukt Ehe hinzu. Dieses entzog Frauen viele Rechte und Wahlmöglichkeiten. Staat, Kirche und Politik bestimmten von da an, wie Frauen zu leben hatten. Junge Mädchen wurden von ihren Vätern zwangsverheiratet und konnten sexuell nicht frei wählen. Heute ist die Ehe natürlich eine freie Entscheidung – aber noch immer stecken dahinter wirtschaftliche Strukturen, die für den Mann vorteilhafter sind als für die Frau.
Die Ehe garantierte den Männern einst Sex?
Ja. Für die Männer lag der Vorteil darin, dass jeder eine abkriegte. Auch diejenigen, die sonst keine Chance gehabt hätten. Die „Female Choice“ ist jedoch ein Fortpflanzungsmuster, bei dem die Frau aus einem Bewerberpool den Mann auswählen kann, der ihr am besten gefällt. Das ist das evolutionsbiologische Erbe in uns.
Was passiert mit den Männern, die sie links liegen lässt? Hüpfen die in andere Pools und kommen dort zum Zug?
Eben nicht. 80 Prozent der Frauen wählen aus nur 20 Prozent der Männer aus, um sich fortzupflanzen. 80 Prozent der Männer gehen mehr oder weniger leer aus. Sexuell hat die Frau das Sagen.
Und die übriggebliebenen Männer nehmen es einfach so hin, dass sie kaum oder gar keinen Sex haben?
Oft greifen sie zu alternativen Strategien wie der Rolle des besten Freundes, mit der sie manchmal tatsächlich erfolgreich sind. Andere tauschen begehrenswerte Güter gegen Sex. Das kann auch eine Weile gutgehen.
Verliebt sich eine Frau und aus der Affäre wird keine Beziehung, hat sie oft großen Liebeskummer. Nach dem Female-Choice-Prinzip müsste sie doch mit sich und der Welt zufrieden sein: Sie hat den Typen bekommen, den sie sexy fand.
Kommt die Liebe ins Spiel, lässt sich das Prinzip nicht eins zu eins übertragen. Manchmal ist es auch so, dass die ganz tollen Männchen viele Weibchen haben, die sich mit ihnen paaren wollen – und das nutzen manche aus.
Eine Freundin von mir hat zwei Kindern von zwei Ehemännern, mit dem dritten Ehemann ist sie glücklich verheiratet. Aus biologischer Sicht hat sie alles richtig gemacht, oder?
Es gibt kein Richtig oder Falsch. Aber es klingt, als hätte sie sich über das patriarchalische Prinzip der lebenslangen monogamen Beziehung hinweggesetzt und sich beim dritten Mann gesagt: So, und jetzt tue ich mich mit einem zusammen, der mir guttut. Aus meiner Sicht: super, gut gemacht.
Seit Pille und weiblicher Emanzipation ist aus biologischer Sicht die „Female Choice“ wieder auf dem Vormarsch. Müssen sich Männer jetzt bei uns als einfühlsame, windelwechselnde Alphamännchen präsentieren, damit sie Erfolg haben?
Der Ansatz ist falsch. Die Frage suggeriert, dass Männer nur ordentlich an sich schrauben oder sich neu erfinden müssen, um eine Partnerin zu gewinnen. Von diesem Narrativ müssen wir weg. Viele Männer müssen eher lernen, dass sie einen Großteil des Partnerschaftszirkus nicht in der Hand haben. Das kann den Druck rausnehmen und sehr befreiend sein. Etliche männliche Leser schrieben mir, dass sie immer wieder in die Rolle des besten Freundes geraten und durch mein Buch verstanden hätten, warum es nie klappt mit dem Sex.
Diese Männer werden auch „Incels“ genannt, involuntary celebates. Sie leben unfreiwillig zölibatär. Sie beschreiben Incels als eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden. Warum ist das so?
Incels sind die Spitze unverpartneter Männer, die oft einen Hass auf Frauen entwickeln und ihn ins Netz tragen oder Verbrechen begehen. Das ist eine extreme Form, die meist mit einer psychischen Störung einhergeht. Sie wollen Frauen am liebsten wieder in das Joch der Ehe zwingen. Natürlich finden sich Männer mit dieser Haltung auch anderswo, etwa in der Alt-Right-Bewegung. Aber auf die große Gruppe der Incels sollte die Gesellschaft besonders achten, weil einzelne von ihnen nicht nur Amok laufen, wie der Attentäter von Halle, sondern viele auch durch ihre Wahlentscheidungen gefährlich werden können. Gerade Incels wählen oft rechte Parteien.
Weil sie die Ehe als das einzig richtige Modell propagieren, Abtreibung verbieten wollen und so weiter?
Ja. Wenn man so will, treffen rechte Parteien den Nerv der sexuell Frustrierten. Aber auch den von Männern mit geringem Selbstwertgefühl, die sich durch patriarchalische Strukturen versprechen, sexuell zum Zuge zu kommen. Am Ende geht es um die Deutungshoheit über die Sexualität der Frau.
Wie sieht eine moderne und sozial verträgliche Lösung für beide Geschlechter aus?
Wenn in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet, können diese Männer ihre sexuellen Bedürfnisse anders befriedigen, etwa durch professionelle Sexbegleiter als Krankenkassenleistung. Natürlich muss man Kriterien definieren, damit dies nicht ausgenutzt wird. Auch Sexpuppen und Sexroboter sind eine Möglichkeit. Viele Männer führen bereits eine Beziehung zu einer Sexpuppe und sind zufrieden damit. Wichtig ist, dass die Gesellschaft dies als normal akzeptiert statt zu propagieren, dass die lebenslange monogame Beziehung das einzig Wahre sei. Frauen wiederum dürfen für sich die Idee zulassen, dass sie die serielle Monogamie leben und nur so lange in einer Beziehung bleiben, wie sie sich richtig anfühlt. Das alles fängt idealerweise bei der frühkindlichen Erziehung an.
Biologie ist ziemlich kühl und nüchtern. Was ist mit unseren Grundbedürfnissen nach Nähe, Geborgenheit und Sicherheit?
Man muss schauen, woher dieser Wunsch nach der Urverschmelzung kommt. Ich sehe seinen Ursprung auch im Patriarchat. Früher wurde das Kind von allen Stammesmitgliedern versorgt, hatte mehrere Bezugspersonen und man fühlte sich in der Gemeinschaft geborgen und sicher. Erst durch das Patriarchat entstand die extrem enge Bindung zwischen dem Kind und einer Mutter und einem Vater – das prägt.
Gabriele Uhlmann ist ebenfalls Expertin für female choice und setzt sich kritisch mit dem Buch auseinander.