Die Isolierung Einzelner wirkt sich auf das gesamte Umfeld aus, so das Ergebnis einer neuen US-Studie. Die „Ansteckungsgefahr“ hat selbst noch Auswirkungen auf die Freunde des besten Freundes.
Jean-Paul Sartre schrieb einmal: „Wer einsam lebt, hat selten Grund zum Lachen.“ Was er noch nicht wusste: Einsamkeit kann ansteckend sein wie eine Grippe. Die Isolierung Einzelner wirkt sich auf das gesamte Umfeld aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Studie unter Leitung des Psychologen John T. Cacioppo von der University of Chicago. Seine These: Einsame Menschen landen nach und nach am Rande sozialer Gruppen und haben „mehr negative Interaktionen als Nicht-Einsame“. Die Folge: Andere Menschen, die nicht vereinsamt sind, werden von dieser Negativität angesteckt, sie geraten in eine Art „Einsamkeitsstrudel“. Die Untersuchung, die Cacioppo zusammen mit Kollegen der University of California in San Diego und der Harvard University erarbeitete, wurde im „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlicht. Sie basiert auf Daten, die seit 60 Jahren in Framingham im Bundesstaat Massachusetts erhoben werden.
1948 hatten sich erstmals mehr als 5100 Einwohner der Kleinstadt bereit erklärt, in regelmäßigen Abständen Fragen nach ihrem Wohlbefinden und ihren Lebensgewohnheiten zu beantworten. Damals wollten Mediziner den Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei älteren Menschen auf die Spur kommen.
Doch die Studie war so intensiv, dass sie Forschern nicht nur reichhaltig Daten zum Gesundheitsverhalten der Beteiligten lieferte, sondern auch den Zugang zu einem weitverzweigten Netzwerk mit Familienmitgliedern und Freunden der Probanden. 1983 konzentrierten sich die Forscher auf die Kinder der ersten Beteiligten. Sie wurden gefragt, an wie vielen Tagen der Woche sie sich einsam fühlten. Zusammen mit den Daten der ersten Gruppe entstand ein faszinierendes Bild sozialer Netze und Verbindungen, aber auch der Isolation und des Ausgegrenztseins.
Ein Resultat: Wenn eine Person sich einsam fühlte, dann passierte es in 52 Prozent der Fälle, dass ein Familienmitglied oder ein enger Freund zwei Jahre später ebenfalls Gefühle der Einsamkeit verspürte. Die „Ansteckungsgefahr“ war am größten in engen Beziehungen, hatte aber selbst noch Auswirkungen auf die Freunde des besten Freundes. Erst danach, also bei Freunden dritten Grades, verliert sich die Wirksamkeit.
Einsam werden Menschen vor allem, wenn sich ihre Beziehungen zu Freunden verändern, nicht so sehr, wenn es familiäre Bande betrifft. Was den Spruch „Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie nicht“ unterstreicht. Auch sind Frauen eher geneigt als Männer, die Einsamkeit anderer zu übernehmen.
Nicht verwechseln dürfe man Einsamkeit und Alleinsein, warnt Daniel Russell von der Iowa State University. „Manche Menschen sind selbst einsam mit einem großen Freundeskreis, und andere haben kaum Freunde und sind dennoch nicht vereinsamt.“ Während Forscher gelegentliches Einsamkeitsempfinden als völlig normal werten, könne sich jedoch das Gefühl von Einsamkeit in einer Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür fortsetzen. Letztendlich kann eine einstmals vitale Gemeinschaft von der emotionalen Zersetzung betroffen werden.
Doch was ist der Keim? Gegenseitiges Misstrauen und negative Gedanken, sagt Cacioppo. „Menschen, die sich einsam fühlen, empfinden die Welt als bedrohlich. Sie sind sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber sie hegen negative Gedanken über andere Personen. Sie verbreiten diese Gedanken durch ihren Gesichtsausdruck, ihre Gebärden, ihre Körpersprache oder Kommentare.“
Als Folge finden sie sich nicht nur nach und nach an den Rand gedrängt. Je größer ihre Zahl, desto mehr franst auch die Gesellschaft um die einsamen Menschen aus. Es ist ein Teufelskreis. Denn Menschen mit wenigen sozialen Kontakten treiben sich selbst immer weiter ins Alleinsein. Ihr Misstrauen macht es schwierig, neue Freundschaften zu knüpfen und der Isolationsfalle zu entfliehen.
Eine Gegenstrategie sei jedoch nicht nur individuelle Hilfe anzubieten. Man müsse auf beide, die Einzelnen und die Gemeinschaft, einen Blick werfen, sagt Richard Suzman, der Direktor für Verhaltens- und Sozialstudien am National Institute on Aging, das die Studie finanzierte. Auch sei nicht die Anzahl der Sozialkontakte ausschlaggebend sondern die Qualität derselben.
Die Studie schlägt deshalb vor, rechtzeitig „Barrieren gegen Einsamkeit“ aufzubauen, zwischenmenschliche Beziehungen zu reparieren, bevor aus wenigen „Problemfällen“ am Rande der Gesellschaft zu viele werden.