Küssen ist ein besonderer körperlicher Austausch – nicht nur, weil alle fünf Sinne beteiligt sind. Es stärkt das Immunsystem, senkt Stress und macht glücklich. Psychotherapeut Wolfgang Krüger erklärt, was ein Kuss über uns verrät – und wie die Kusskultur entstand.
Das Küssen wird häufig unterschätzt, dabei ist es gewissermaßen die „kleine Schwester“ der Sexualität – oft sogar intimer und intensiver. Das liegt daran, dass beim Küssen alle fünf Sinne angesprochen werden: Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken. In unseren Lippen befinden sich pro Quadratzentimeter besonders viele Sinnesrezeptoren, weshalb wir beim Küssen besonders starke Empfindungen erleben. Unsere Lippen gelten somit als Lustzentrum für intensive Nähe. Am 6. Juli ist Internationaler Tag des Kusses – ein Anlass, der daran erinnert, wie zentral und bedeutsam diese Geste für zwischenmenschliche Beziehungen ist.
Typischerweise ist das Küssen der erste Bereich von Intimität, der eingestellt wird, wenn sich Partner innerlich voneinander entfernen. Oft bleibt dann nur noch der Abschieds- oder Begrüßungskuss, während der erotische Kuss vermieden wird. Dies ist meist der Beginn eines Entfremdungsprozesses, der dazu führen kann, dass Paare am Ende nur noch wie in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Ein Mangel an Küssen gilt daher als eines der wichtigsten Frühwarnzeichen für gravierende Probleme in einer Partnerschaft.
Küssen kann viel über die Persönlichkeit eines Menschen aussagen. Viele Frauen legen nach eigenen Angaben Wert darauf, dass ihr Partner gut küssen kann. Häufig wird dabei angenommen, dass die Art zu küssen, Rückschlüsse auf Eigenschaften wie Temperament, Kooperationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken, zulässt. Insofern sehen manche Menschen im Küssen – ähnlich wie beim Tanzen – einen Hinweis darauf, wie eine spätere Partnerschaft verlaufen könnte.
Einen Partner zu finden, mit dem das Küssen besonders harmoniert, gilt dabei als Glücksfall. Denn Küssen setzt verschiedene Fähigkeiten voraus: Es erfordert Aufmerksamkeit, das richtige Gespür für Tempo und Intensität sowie nonverbale Kommunikation.
Küssen setzt also Einfühlungsvermögen und Sensibilität voraus. Dabei gilt es, auf die Reaktionen des Gegenübers zu achten und sinnliche Signale aufzunehmen. Gleichzeitig ist es wichtig, eigene Wünsche und Leidenschaft auszudrücken. Küsse werden oft als intensive nonverbale Kommunikation beschrieben – ein Dialog von Lippen und Zunge. Viele empfinden das Küssen als die sinnlichste und intimste Form körperlicher Nähe. Während Sexualität zwischen Menschen auch distanziert erlebt werden kann, gelten intensive Küsse meist als besonders innige Annäherung.
Leidenschaftliches Küssen ist jedoch nicht in allen Kulturen verbreitet. Studien zufolge praktiziert nur etwa die Hälfte aller Kulturen den sogenannten romantischen Kuss – also einen Kuss auf den Mund im Kontext von Liebe oder Sexualität. In Europa ist der romantische Kuss weitverbreitet, während er in einigen südamerikanischen Kulturen weniger große Bedeutung hat. In manchen Ländern, wie etwa Japan, wird Küssen in der Öffentlichkeit oft als unangemessen oder peinlich empfunden. Solche Unterschiede im Umgang mit dem Küssen hängen mit der jeweiligen Einstellung zur Intimität zusammen – also damit, wie offen Gefühle gezeigt werden und was als schamhaft gilt.
Fakten, Zahlen und Kurioses zum Lippenakt
Beim Küssen werden unter anderem Endorphine und das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, die Stress reduzieren und das soziale Bindungsgefühl stärken können. Gleichzeitig steigen Pulsfrequenz und Stoffwechselrate an. Studien deuten darauf hin, dass häufiges Küssen mit einem geringeren Risiko für Bluthochdruck und Depressionen verbunden sein könnte. Außerdem kann Speichel, der beim Küssen ausgetauscht wird, antimikrobielle Enzyme enthalten, die einen positiven Effekt auf das Immunsystem und die Mundgesundheit haben – potenziell werden Karies und Parodontose vorgebeugt.
Leidenschaftliches Küssen beansprucht zudem zahlreiche Gesichtsmuskeln und könnte so die Durchblutung sowie die Hautspannung fördern. Einigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge kann Küssen sogar das Wohlbefinden steigern, ähnlich wie der Genuss von Schokolade – allerdings ohne Kalorienzufuhr.
Immer wieder wird in populärwissenschaftlichen Beiträgen berichtet, dass Menschen, die sich morgens mit einem Kuss verabschieden, sich am Arbeitsplatz leistungsfähiger zeigen und seltener in Unfälle verwickelt sein sollen. Eine entsprechende wissenschaftliche Primärstudie ist allerdings nicht eindeutig belegbar. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass leidenschaftliches Küssen mit einer höheren Lebenserwartung in Verbindung stehen könnte – allerdings ist auch dieser Zusammenhang wissenschaftlich bislang nicht ganz eindeutig belegt.
Laut Umfragen küssen Menschen im Durchschnitt etwa dreimal täglich. Populäre Hochrechnungen kommen so auf rund 76 Tage Küssen über eine Lebensspanne von 70 Jahren. Der längste dokumentierte Kuss dauerte 58 Stunden, 5 Minuten und 58 Sekunden und wurde in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Diesen Rekord stellte ein thailändisches Paar auf.
Es existieren zwei Haupttheorien zur Entstehung des Kusses. Die eine besagt, der Kuss habe sich aus dem mütterlichen Ritual entwickelt, ihrem Baby vorgekaute Nahrung zu geben. Daraus sei im Laufe der Zeit eine Geste der Zuneigung geworden, die Geborgenheit vermitteln soll. Eine andere Theorie geht davon aus, dass der Kuss ursprünglich ein Begrüßungsritual war, das soziale Nähe schaffen sollte. Die früheste bekannte schriftliche Erwähnung des Kusses findet sich in den indischen Veden, einer rund 3500 Jahre alten Sammlung religiöser Texte. Daher wird das Küssen als bewusste, sozial-kulturelle Handlung oft auf diesen Zeitraum datiert.
Die kulturelle Faszination am Kuss zeigt sich durch die Jahrhunderte hinweg: Im Hohelied Salomons sowie in den Werken des römischen Dichters Ovid spielt das Küssen eine zentrale Rolle. Auch Bildhauer wie Auguste Rodin oder Maler wie Gustav Klimt thematisierten den Kuss in ihrer Kunst. Die Bedeutung des Kusses zeigt sich auch daran, dass fast jede Sprache ein eigenes Wort dafür kennt, wie etwa im Albanischen „puthje“ oder im Vietnamesischen „danh to“. In wenigen Kulturen, in denen der Kuss kaum eine Rolle spielt, fehlt mitunter ein spezifischer Begriff.

Küssen als Sprache der Liebe
Küssen ist die Sprache der Liebe. Es ist der intensivste körperliche Austausch, da hier alle fünf Sinne beteiligt sind. Diese sinnliche Begegnung der Lippen ist immer ein Ausdruck der Nähe. Deshalb ist es ein Warnsignal, dass in den meisten Partnerschaften im Laufe der Jahre das Küssen verflacht. In diesem lebensnahen Buch wird daher vermittelt: Was ist das Geheimnis guter Küsse? Inwiefern erkennen wir im Küssen die Persönlichkeit des Anderen? Wie kann in einer langen Beziehung das Küssen belebt werden?
Die Art zu küssen hat sich im Laufe der Geschichte verändert. Während sich in westlichen Ländern der Mundkuss etablierte, war etwa um 1900 in einigen Kulturen das Aneinanderreiben der Nasen – auch als „Schnüffelkunst“ bekannt – als Ausdruck von Zuneigung verbreitet. Heute sind Mundküsse weiter verbreitet; auch das Wangenküssen gewinnt im deutschen Alltag unter Freunden an Bedeutung. Insgesamt ist die Gesellschaft körperlicher Nähe gegenüber aufgeschlossener geworden, und Zärtlichkeiten gelten als selbstverständlicher Bestandteil sozialer Beziehungen.
Küssen ist jedoch nicht allein auf den Menschen beschränkt. Auch bei verschiedenen Tieren, etwa Affen oder manchen Fischarten, lässt sich kussähnliches Verhalten beobachten. Dabei ist jedoch unklar, ob es sich um eine Form von Liebesritual oder um Fütterungsverhalten handelt.