Aus Angst um seine Lehre gründete Sigmund Freud 1912 einen Geheimbund.
Auf den ersten Ring stieß Morag Wilhelm, als sie in einem Lagerraum des Israel-Museums in Jerusalem Bestände durchsah und digitalisierte. Zwischen Skulpturen, Bildern und alten Schriften fand sie eine Box mit einem Ring aus Gold und einem ovalen Stein mit dem Bild von Victoria darauf, der Siegesgöttin.
Der Ring war ein bisschen uneben und abgenutzt, aber gerade deswegen besonders auffällig und schön. Morag, damals 27, eine der jüngsten Kuratorinnen des Museums, las in der Objektbeschreibung, dass eine Frau namens Eva Rosenfeld im Jahr 1977 dem Museum den Ring geschickt hatte mit dem Hinweis, er sei ein Geschenk von Sigmund Freud gewesen, dem Begründer der Psychoanalyse. Vor 40 Jahren war Freuds Ring mal anlässlich eines Kongresses in Jerusalem ausgestellt worden, seitdem nie wieder.
Bemerkenswert ist, dass in die in die Ringe eingesetzten Steine griechische oder römische Götter/Göttinnen eingraviert sind, während der Begründer der Psychoanalyse ein völlig gottloser Jude war, wie er sich selbst nannte („Warum hat keiner der Gläubigen die Psychoanalyse geschaffen? Warum hat sie das getan?“) „Müssen wir auf einen völlig gottlosen Juden warten?“, fragte Freud einmal. Einer der Ringe, die Freud selbst trug, ist mit einem grünen Edelstein eingelegt, der ein Porträt des Zeus trägt.
Wilhelm wollte mehr wissen. Wer war diese Frau namens Rosenfeld? Warum hatte Freud ihr einen Ring geschenkt? Statt den Ring im Lager zu verstauen, begann sie nach Antworten zu suchen, die nun, fünf Jahre später, in ihrem Museum zu finden sind: eine Ausstellung über den Meister der Psychoanalyse, der zwischen 1913 und 1927 einem Geheimbund vorstand, zu dem nur auserwählte Schüler Zugang hatten und deren Mitgliedschaft und Treue mit einem Ring besiegelt wurde.
Die Geschichte des Geheimbundes führt zurück in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, als sich Freuds Theorien in der ganzen Welt verbreiten, aber auch Zweifel daran laut werden und sich Abspaltungen bilden. Freud fürchtet, die Hoheit über seine Lehre zu verlieren. Ernest Jones, ein britischer Kollege und Freund, schlägt vor, einen Kreis zu gründen, um die Freud’schen Theorien zu bewahren und weiterzugeben.
„Die Gefährten des Rings.“ Mitglieder des Geheimkomitees auf dem Siebten Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Berlin, 1922.
© Freud Museum London
Freud stimmt zu, besteht aber darauf, dass niemand von diesem Kreis erfahren und sich die Gruppe nur aus den „besten und zuverlässigsten Männern“ zusammensetzen dürfe. 1912 wird das Komitee gegründet. Das erste Treffen findet am 25. Mai 1913 in Wien statt. Zu den Teilnehmern gehören außer Jones und Freud die beiden Wiener Psychoanalytiker Otto Rank und Hanns Sachs, Karl Abraham aus Bremen sowie Sándor Ferenczi aus Budapest. Jeder bekommt von Freud einen Ring überreicht. Kurz darauf wird ein weiterer Schüler Freuds, Max Eitingon, Gründer der ersten psychoanalytischen Klinik in Berlin, in den Kreis aufgenommen. Auch er bekommt einen Ring.
Sandor Ferenczis Ring
mit Darstellung einer erotischen Szene.
Der Ring war Teil der Freud-Ferenczi-Korrespondenz, die als Konvolut im Jahr 1984 auf einer Christies-Auktion in London erworben wurde.
Die nächste ist Anna, Freuds Tochter und Schülerin. Mit ihr beginnt, was Freud-Experten die „zweite Ring-Gruppe“ nennen: Menschen, denen Freud seine besondere Wertschätzung zeigen wollte.
Zur dritten Gruppe gehörten Psychoanalytiker und Freunde, die ihm ans Herz gewachsen waren, darunter Eva Rosenfeld, eine alte Freundin und Kollegin aus Wien, die 1936 nach London gezogen war.
Sigmund Freud hatte viele Freunde. Meist handelte es sich bei ihnen auch um seine Schüler und Patienten. Denn zur Ausbildung gehörte stets auch eine Analyse durch den Meister selbst. Insgesamt, sagt Morag Wilhelm, habe Freud im Laufe seines Lebens 30 Ringe verschenkt. Sechs davon konnte sie für ihre Ausstellung, die noch bis Ende Februar läuft, finden.
Der Ring, den Sigmund Freud Eva Rosenfeld schenkte, mit der Aufschrift „Freud Nike“, wobei letztere die griechische Siegesgöttin ist.
Sechs weitere tauchten während der Ausstellung auf. Darunter einer, der als verschollen galt. Er gehörte Ernest Jones, dem Mitbegründer des Geheimkomitees. Jones trug nicht gerne Ringe. Er ließ seinen überall rumliegen, auch im Auto, von wo er gestohlen worden sein soll. Nun ist er wieder da. Vielleicht. Oder es ist der seiner Frau. Sicher ist sich da niemand. Fest steht aber, dass anfangs nur Männer, später fast nur noch Frauen in die Gunst von Freuds Ringen kamen.
Die tiefenpsychologische Erklärung dafür könnte wohl vor allem er selbst geben.