3 Schlüsselfaktoren

Der vierte Faktor ist eine junge Geliebte - Wilhelm Leibl Älterer Bauer und junges Mädchen; Das ungleiche Paar, 1876 – 1877

Im Alter selbständig, geistig und körperlich gesund zu bleiben – das ist möglich. Ratschläge gibt es viele. Forscher verraten drei Faktoren, auf die es wirklich ankommt.

„Wo willst Du in 800 Jahren leben?“ Ganz so viele Jahre, wie die Partei für schulmedi­zinische Verjüngungsforschung auf Plakaten zur Europawahl versprach, müssen es für die meisten Menschen nicht sein. Möglichst lange selbständig, gesund und geistig wach zu bleiben und noch den 100. Geburtstag zu feiern – davon jedoch träumen viele.

Das ist nicht nur möglich. Die Forschung rüttelt derzeit gar an der Frage, ob ein schwindendes Gedächtnis, kognitiver Verfall und Gebrechlichkeit überhaupt zwangsläufig zum Altern gehören. Der Gegen­beweis sind die Super-Ager. Das sind Menschen, die jenseits des 80. Lebensjahrs in Gedächtnistests noch abschneiden, als wären sie dreißig Jahre jünger.

Wie viele Menschen Super-Ager sind, ist unklar. Zwar haben nur wenige im Alter ein derart fittes Denkorgan. Wissenschaftler hoffen aber, von diesen Extrempersonen etwas für die Allgemeinheit zu lernen.

Gedächtnisforscher Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Magdeburg beschäftigt sich damit, was Super-Ager besonders macht. Sind sie resilient gegen Alterungsprozesse, die uns mit den Jahren Gehirnzellen verlieren lassen? Sind die winzigen Blutgefäße im Hirn bei ihnen durch besondere Mechanismen gefeit davor, Schaden zu nehmen – und versorgen das Hirn deshalb besser als bei normalen Menschen mit Sauerstoff und Nährstoffen? Können sie die Proteine bekämpfen, die sich im Gehirn alter Menschen ablagern und die Nervenzellen stören?

Von den Gehirnscans und Untersuchungen der Super-Ager waren Düzel und sein Team überrascht. „Tatsächlich scheinen Su­per-Ager einfach ein sehr gesundes Gehirn zu haben“, sagt Düzel. Ihr Gehirn war kaum geschrumpft, die Blutgefäße waren intakt, Proteinablagerungen fehlten. Das regt die Frage an: Was ist normales Altern? Sind womöglich die Super-Ager diejenigen, die biologisch normal sind?

Die Ge­hirngesundheit im Alter wird von vielen Faktoren über das Leben hinweg beeinflusst: dem Stoffwechsel, der Ernährung, Krankheiten wie Bluthochdruck, der Gesundheit der Blutgefäße und dem Lebensstil. „Wenn diese Faktoren optimal sind, könnte ein stabiles Gedächtnis bis 80 regelhaft sein“, vermutet Düzel. Um ein echter Super-Ager zu werden, müsse wahrscheinlich auch eine genetische Veranlagung vorliegen, die aber bislang unbekannt ist.

Davon abgesehen, dass die Gehirne der Super-Ager sehr gesund wirkten, weisen sie noch eine Besonderheit auf, berichtet Düzel: Ein Bereich des vorderen Teils des Gyrus cinguli war im Vergleich relativ groß. Dabei handelt es sich um eine Region, die mit Beharrlichkeit und der Fähigkeit, Anstrengungen aufrechtzuerhalten, in Verbindung gebracht wird. „Das könnte die Grundlage dafür sein, dass Super-Ager ei­nen gesünderen Lebensstil pflegen.“ Aber nicht jeder, der gesund lebt, wird ein Super-Ager, betont Düzell.

Wie gesund und fit wir im Alter sind und wie gut unser Gedächtnis funktioniert, können wir dennoch beeinflussen. Studien zeigen: Die Gene bestimmten nur zu etwa 25 Prozent, wie alt wir werden können.

Vier von zehn Demenzerkrankungen ließen sich theoretisch verhindern, berichten Forscher in „The Lancet“ im Jahr 2020, wenn bestimmte beeinflussbare Faktoren vermieden würden: Darunter Rauchen, Einsamkeit, Übergewicht, übermäßiges Al­koholkonsum, körperliche Inaktivität, schlech­ter Schlaf. Wie sich das Beste aus dem Alter herausholen lässt, dazu hat die Wissenschaft konkrete Vorschläge.

Schlüsselfaktor 1: Bewegung

Betritt man ein Fitnessstudio, sieht man an den Rudermaschinen oder auf den Laufbändern viele Männer und Frauen – doch nur wenige von ihnen sind älter als 80 Jahre. Dabei ist gerade im Alter die Muskelkraft entscheidend. „Durch regelmäßiges körperliches Training lassen sich Alterungsvorgänge güns­tig beeinflussen“, sagt Sportmediziner Winfried Banzer, der unter anderem die Abteilung Präventiv- und Sportmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main leitet.

Graue Haare, Falten und steife Gelenke sind Ausdruck der Alterungsprozesse, die in den Zellen über die Jahre ablaufen: Dort sammeln sich zum Beispiel Abbauprodukte, der Müll des Stoffwechsels, weil die Autophagie, die Selbstreinigung, erlahmt. Die DNA wird anders abgelesen. Zellen teilen sich langsamer und hören irgendwann ganz damit auf. Überall im Körper nehmen latente Entzündungen zu.

Die Muskelmasse schwindet ab dem 30. Lebensjahr, nach dem 50. Geburtstag sogar rapide. Im Alter von 80 Jahren ist kaum mehr die Hälfte der Muskelfasern in den Gliedmaßen übrig. Dieser Muskelverlust, die sogenannte Sarkopenie, lässt sich nicht komplett aufhalten – aber abbremsen.

Wäre Sport ein Medikament, würde man es als Wundermittel für das Alter bezeichnen: Wer schon im mittleren Alter regelmäßig Sport treibt, senkt sein Risiko, an Demenz zu erkranken. Sport hilft bei Depressionen, verlangsamt den Verfall der kogni­t­i­ven Fähigkeiten, macht zufriedener und schützt das Gedächtnis.

Muskeln sind zudem ein aktives Organ, das den restlichen Stoffwechsel beeinflusst. Sie schütten bei Bewegung Botenstoffe in die Blutbahn aus, die sogenannten Myokine, die viele Vorgänge im Körper positiv beeinflussen. Das Myokin Irisin etwa verbessert die Funktion von Nervenzellen, lindert Entzündungen und könnte so womöglich vor Alzheimer schützen.

Wer im hohen Alter sportlich aktiv bleibt, der bewahrt zudem seine Selbständigkeit: Man kann sich schneller bewegen, hat eine bessere Balance und stürzt nicht so schnell. Das ist umso wichtiger, da Knochen im Alter fragiler werden – oft führt ein Sturz zu einer Fraktur und ist der Beginn einer Odyssee aus Operationen, Klinikaufenthalten und Bettruhe. Viele erholen sich davon nicht mehr.

Doch welcher Sport ist der richtige? Die Ratschläge sind verwirrend – mal heißt es, man soll Stunden an der Hantelbank verbringen, dann wird behauptet, kurze Spaziergänge reichten aus. Die Bewegungsempfehlung der Bundesregierung lautet: Im Alter sollte man 150 Minuten Ausdauersport pro Woche betreiben. „Das wäre zum Beispiel Joggen oder Nordic Walking in einem Tempo, in dem man sich noch unterhalten kann“, sagt Banzer.

In der „The Copen­hagen City Heart Study“ haben Forscher 2018 an mehr als 8500 Menschen verschiedene Sportarten verglichen. Sie bescheinigen besonders Tennis, Badminton, Fußball, Schwimmen und Joggen eine lebensverlängernde Wirkung. Joggen lässt einen rund drei Jahre länger leben, Tennis sogar zehn.

Was viele nicht wissen: Im hohen Alter ist Krafttraining wichtig. „Das hat den größten Effekt auf die Morbidität“, sagt Banzer. Idealerweise solle man zwei- oder dreimal die Woche rund 45 Minuten Krafttraining betreiben, meint er. Dabei sind Geräte, die große Muskelgruppen fordern – etwa den ganzen Rücken oder die Beine –, nützlicher, als gezielt Bizeps-Übungen zu machen. Man sollte sich professionell beraten lassen, sagt er. Auch wer erst im Rentenalter mit dem Training beginnt, kann noch enorme Muskelkraft entwickeln, zeigen zahlreiche Studien.

Schlüsselfaktor 2: Ernährung

Besonders im Alter sollte man auf seine Ernährung achten. „Ältere Menschen haben ei­nen höheren Bedarf an Eiweiß“, erklärt Kristina Norman, die unter anderem an der Charité die Zusammenhänge zwischen Alterungsprozessen und der Ernährung erforscht. Während junge Menschen nicht mehr als 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen sollten, liegt der Bedarf bei älteren Menschen bei mindestens einem Gramm.

Im Alter gilt es nicht nur, dem Muskelschwund entgegenzuwirken, sondern auch der sogenannten anabolen Resistenz: Der Körper kann Protein aus der Nahrung weniger gut aufnehmen und für den Muskelaufbau verwerten. Um genügend Eiweiß zu verzehren, muss man nicht jeden Tag Putenbrust essen. Joghurt, Eier oder Soja liefern ebenfalls Protein. „Wenn man nicht mehr so viel essen möchte oder kann, ist es wichtig, dass die Proteinquellen hochwertig sind“, sagt Kristina Norman.

Wer sich gesund ernährt, schützt sich vor vielen Volkskrankheiten – von Adipositas, Diabetes Typ 2, Demenz bis zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gemäß einer Auswertung der UK Biobank in „Nature Food“ kann die richtige Auswahl des Essens uns bis zu zehn Lebensjahre schenken. Den größten Nutzen hat, wer schon in jungen Jahren viele Hülsenfrüchte, Gemüse, Nüsse, Vollkornprodukte und gute Öle zu sich nimmt. Langlebigkeitsexperten empfehlen zudem Fisch und Fette aus pflanzlichen Quellen.

Vermeiden sollte man übermäßigen Zucker, hochverarbeitete Lebensmittel wie Tiefkühlpizza und rotes Fleisch. Zum Beispiel scheinen gesättigte Fettsäuren, die in Butter oder Schnitzel stecken, auf Zellebene zu Entzündungen zu führen, etwa im Gehirn. Das ist wiederum ein Faktor im Alterungsprozess.

Welche Lebensmittel genau für ein gesundes Altern wichtig sind, dazu gibt es zahllose Theorien. Im Buch „How Not to Age“ hat der Arzt und Ernährungswissenschaftler Michael Greger viele Studien ausgewertet: Für ihn sind Nüsse, Salate und Beeren wahre Jungbrunnen – sie liefern etwa Antioxidantien oder wichtige Nitrate.

Auch Lebens­mittel für eine gesunde Darmflora zählen – Ballaststoffe oder Fermentiertes. Denn im Alter werden die Bakterienstämme, Viren und Parasiten im Darm weniger vielfältig. Für eine in „Current Biology“ veröffentlichtete Studie haben italienische Forscher 2016 Stuhlproben von 24 Menschen analysiert, die durchschnittlich 106 Jahre alt waren. Die Su­per-Senioren wiesen ein überraschend komplexes Mikrobiom auf und besonders viele Bakterien, die mit Gesundheit assoziiert werden, wie Bifidobakterien.

Nicht alle Langlebigkeitsempfehlungen gelten für jeden: In Tierstudien zeigte sich etwa, dass weniger Nahrung die Nager länger leben ließ. Die Idee der Kalorienrestriktion steckt auch hinter Anti-Aging-Diäten und dem Fasten. Doch im Alter ist die Gefahr einer Mangelernährung groß, darum sollte man das Fasten eher den Jüngeren überlassen.

Um herauszufinden, wie man möglichst lange gesund lebt, schauen vor allem tüchtige Geschäftsleute auf die sogenannten Blue Zones. In diesen Regionen werden die Menschen auffällig alt: Dazu gehören Sardinien, Okinawa in Japan und Loma Linda in Kalifornien, wo viele Siebenten-Tags-Adventisten leben. Mit der „Blue Zone Diät“ werden zwar viele Bücher verkauft, doch ihre Ernährung ist recht unterschiedlich: Die Adventisten sind Vegetarier, in Sardinien isst man Fleisch und in Okinawa mehr Fisch. Norman glaubt jedoch, dass ein anderer Aspekt die Blue Zones vereint. „Die Menschen essen gemächlich und nicht über den Hunger hinaus, und das Essen hat eine soziale Komponente.“

Schlüsselfaktor 3: Sozialleben

Viele Menschen haben es in der Corona-Pandemie gespürt: Allein zu Hause eingepfercht zu sein lässt den Geist verkümmern. Ein aktiver Alltag hingegen, Hobbys zu pflegen und etwa ein Instrument zu spielen halten das Gehirn jung, meinen Altersforscher. Um im Alter kognitiv fit zu bleiben, ist jedoch vor allem das Sozialleben entscheidend. Das haben Forscher des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz bei Menschen herausgefunden, die im hohen Al­ter geistig überaus wach waren.

Ein Plausch mit der Nachbarin oder Kaffeeklatsch mit der Familie fordert das Denkorgan ganzheitlicher als Gehirnjogging-Aufgaben: Emotionen und Auf­merksamkeit sind dabei im Spiel. Auch wer sein Haus im hohen Alter nicht mehr verlassen mag, tut seinem Denkorgan etwas Gutes, wenn er mit Freunden oder Bekannten telefoniert.

Besonders enge Freundschaften scheinen zu helfen, das Gehirn jung zu halten – und sogar länger zu leben, zeigen Studien. Freunde seien für ein langes Leben ebenso wichtig wie nicht zu rauchen und förderlicher als Bewegung, bescheinigen Psychologen der Brigham Young University im Jahr 2010. Doch auch wer lose Bekanntschaften pflegt oder mit Fremden plaudert, hält sein Gehirn aktiv.

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