Wenn die Partnersuche auf Dauer erfolglos bleibt, sucht man die Gründe dafür oft in der Kindheit. Dabei kann man sich auch von negativen Beziehungsvorbildern lösen, wissen unsere Single-Berater.
Viel Streit, ein liebloser Umgang oder ständiges Ignorieren von offensichtlichen Problemen: Die Single- und Paarberater Anna Peinelt und Christian Thiel beschäftigen sich mit der Frage, ob unser Beziehungsleben auch von der Partnerschaft unserer Eltern beeinflusst wurde. Kann das Erlebte in der Kindheit sogar dazu führen, dass wir unfähig sind, Beziehungen zu führen? Dazu beantworten unsere beiden Experten eine persönliche Frage einer Hörerin ihres WELT-Podcasts „Die Sache mit der Liebe“.
Kerstin, 43 Jahre: „Ich habe in meinem Alter noch keine wirkliche Beziehung geführt – abgesehen von kurzen Beziehungsversuchen. Das beschäftigt mich sehr. Meine Eltern waren beim Thema Partnerschaft kein gutes Vorbild. Gleich nach der Hochzeit waren sie schon unglücklich. Sie haben sich ständig gegenseitig Vorwürfe gemacht, haben kaum Verantwortung für ihr Verhalten übernommen. Sie haben dann aus Kränkung 20 Jahre eigentlich nicht mehr miteinander gesprochen, sondern immer nur über uns Kinder kommuniziert. ‚Sag deinem Vater, dass…‘, hieß es oft.
Auch wir Kinder haben wenig Zuwendung bekommen. Meine beiden Geschwister haben auch keine Partner und keine Kinder. Ich habe mich von den meisten Männern, denen ich später begegnet bin, nicht wirklich wertgeschätzt gefühlt. Oft waren es Männer, die in einer Beziehung steckten oder Probleme hatten, und die in mir eine gute Zuhörerin gefunden haben, bei denen ich mein Helfersyndrom ausleben konnte. Ich dachte lange, ich sei nicht liebenswert. Mein Vater hat sogar einmal im Teenie-Alter zu mir gesagt: ‚So wie du bist, will dich sowieso keiner‘.“
Christian Thiel: Man muss sagen, dass die Aussage des Vaters eine Form der Übergriffigkeit, der Belastung, auch der Gewalt ist. Sigmund Freud würde jetzt sagen, die Stimme der Eltern wird zu unserem Über-Ich. Das bedeutet, dass wir uns das Gehörte immer wieder vorsagen, bis wir es schließlich glauben. Die Verantwortung dafür, dass Partnerschaften für Kerstin ein schwieriges Thema sind, liegt bei den Eltern. Es heißt, Menschen aus schwierigen Herkunftsfamilien werden oft ausgesprochen patent. Denn sie wollen nicht noch mehr Probleme machen, als sie ohnehin bereits in der Familie haben. Sie neigen oft zu Perfektionismus.
Was man als Kind lernt, das trägt man ins Leben. Das ist keine Esoterik, sondern wissenschaftliche Erkenntnis aus der Hirnforschung. Vor allem, wenn man die ersten eigenen Versuche in der Liebe macht, bringt man das erlernte Verhalten mit. Auf schwierige Situationen reagiert man dann oft mit patentem, kontrolliertem Verhalten und nicht damit, dass man sich seinen Gefühlen stellt und seine eigenen Bedürfnisse erkennt und ausspricht.
Anna Peinelt: Das ist etwas ganz Natürliches. Denn der Verstand hat die Aufgabe, das Überleben zu sichern. Das zeigt sich im Alltag, zum Beispiel wenn man ein heranfahrendes Auto sieht, dann bleibt man stehen. So läuft das auch in der Liebe, der Verstand greift auf bereits bekannte Referenzen zurück. Das funktioniert vor allem so gut, weil der Mensch von Natur aus recht haben möchte. Und wenn er etwas kennt, kann er abschätzen, was passieren wird und hat damit dann recht.
Das ist aber nicht immer hilfreich. Denn man neigt dazu, dann anderen die Schuld zu geben, wenn etwas nicht funktioniert. Denn wenn man ohne andere Referenzen das gewohnte Verhalten ändern würde, könnte es ja im schlimmsten Fall bedeuten, dass man stürbe. Deshalb brauchen wir erst neue Referenzen, um zukünftig andere Erfahrungen machen zu können.
Was kann ich tun, damit Beziehungen gelingen?
Thiel: Als Kind von Eltern, die eine solch lieblose Beziehung geführt haben, ist man bei der Partnersuche weniger wählerisch. Denn man musste jede Form der Zuneigung nehmen, die man bekommen konnte. Und dieses Muster zieht sich in die Partnersuche hinein. Um eine stabile Partnerschaft zu ermöglichen, muss man die Verantwortung für das, was die Eltern in unserem Liebesleben verursacht haben, im Elternhaus lassen. Die Verantwortung für die Zukunft, die muss man selbst übernehmen. Kerstin muss erkennen, was sie braucht, um in Beziehungen ein stabileres, kräftiges Gegenüber zu sein. Sie muss lernen, auch bei der Partnersuche sehr wählerisch zu sein. Das schafft man nur schwer allein. Es reicht aber meist, wenn man einen Menschen hat, der an einen glaubt und den Rücken stärkt. Das ist eine Kernfunktion von Beratung und Coaching.
Peinelt: Die Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteil ist besonders interessant dabei. Denn daraus schließt man, wie sich die Liebe zum anderen Geschlecht anfühlt. Kerstins Vater hat ihr zu verstehen gegeben, dass sie nicht liebenswert und nicht genug ist. Das führt dazu, dass man auch in sich anbahnenden Partnerschaften keine Grenzen setzt und sich selbst nicht wertschätzend behandelt.
Muss der ideale Partner aus einer ähnlichen Familiensituation kommen?
Thiel: Kommunikation ist immer das A und O. Man sollte generell viel über dieses Beziehungsdreieck Mutter-Vater-Partner sprechen und was es mit einem emotional gemacht hat. Den einen oder anderen Spleen haben wir alle. Zwar ist nicht jedes Elternhaus so extrem wie dieses, aber am Ende, wenn man genau hinschaut, ist jeder Mensch etwas eigen. In dem Fall von Kerstin müsste sie einen Partner finden, der auch ein liebloses Elternhaus hatte, damit er sie verstehen kann. Denn wenn der Partner aus einem schrecklich harmonischen Elternhaus kommt, wird er mit ihr fremdeln und ihre Probleme nicht nachvollziehen können. Aber ein Paar aus zwei lieblosen Elternhäusern wird auch Schwierigkeiten haben. Darum sollte sie darauf achten, dass der Partner zumindest etwas Ähnliches wie sie erlebt hat. Sonst muss man umso mehr Energie darauf verwenden, zuzuhören.
Peinelt: Was sollte sie jetzt mit jemandem anfangen, der sich ganz konträr zu ihr verhält, denkt und fühlt? Das würde diese Vermeidung einer Beziehung nur noch mehr stärken. Menschen, die keine längeren Beziehungen eingehen oder die vielleicht noch nie eine Beziehung eingegangen sind, praktizieren oft eine Form des Selbstschutzes. Weil sie spüren, wenn man sich einlässt, dann sind die Kosten wahrscheinlich sehr hoch. Bindungen bergen ein Risiko. Denn man setzt sich selber ein, für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse und kann verletzt werden.
Wie kann Bindungsangst überwunden werden?
Peinelt: Der Wunsch, etwas zu verändern, muss so stark sein, als würde man auf einem brennenden Stuhl sitzen und erkennen: „Ich muss hier jetzt aufstehen, sonst verbrenne ich“. Man sollte sich folgende Fragen stellen: Welche Ängste habe ich wirklich? Was sind die Konsequenzen meiner Ängste? Welche Nachteile entstehen mir dadurch, wenn ich weiterhin so lebe und so über mich denke?
Anschließend sollte man vor allem versuchen, die positiven Folgen einer Bindung zu erkennen. Welche Veränderung ist nötig für einen neuen, einen sicheren Stuhl? Man muss verinnerlichen, dass eine Bindung nichts Schlimmes ist, dass man Grenzen setzen darf, dass man für seine Bedürfnisse einstehen darf, dass man nicht immer nur gefallen muss. Das muss man trainieren. Erst dann findet man Gefallen an erreichbaren, freundlichen Männern.
Wie kann man das Helfersyndrom loswerden?
Thiel: Kerstin sorgt dafür, dass sie Männer mit Problemen findet, die sie patent behandeln kann. Und das fühlt sich eine Weile ganz gut an. So hat sie es auch als Kind geschafft, Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber so entsteht keine Beziehung auf Augenhöhe. Der andere ist immer jemand, der sein Leben nicht in den Griff bekommt. Und sie ist die patente Frau. Männer mögen das gar nicht. Wahrscheinlich rächen sie sich sogar irgendwann dafür. Sie akzeptieren das zwar erst einmal, aber sie werden sie dafür emotional schlecht behandeln, dass sie sich kümmert und ihnen dieses Gefühl gibt, dass man sich um sie kümmern muss.
Peinelt: Es gibt den Spruch, dass es ist nie zu spät ist, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Darum sollte man erst einmal versuchen zu verstehen, warum die Eltern so gehandelt haben. Denn dann erkennt man, dass man selbst nicht der Grund war. Man sollte gleichzeitig aber auch nicht die guten Qualitäten der Eltern vergessen. Das heißt nicht, dass man sich etwas schönredet. Vielmehr sollte man die eigenen Stärken erkennen, die in der Kindheit vermittelt wurden. Selbsterkenntnis ist ein wichtiger Schritt im Coaching.
Man muss sich nicht selbst lieben, um einen anderen Menschen lieben zu können. Aber das eigene Leben und die Beziehung wird deutlich leichter, wenn beide Partner sich selbst erkennen, sich annehmen und für sich einstehen können. Und dabei Verantwortung für sich und das Gegenüber übernehmen können.
Es ist nie zu spät ist, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Und wer eine glückliche Kindheit gehabt hat, hat auch eine glückliche Gegenwart. Der Schlüssel zu allem ist Kommunikation, Offenheit, Ausdauer und Mentalisieren – „Betreutes Lieben“ hilft.