Grundstörung

Dieser Mensch ist offensichtlich grundgestört.

PRIMÄRE LIEBE UND DIE GRUNDSTÖRUNG
Die Untersuchungen Michael Balints über
frühe Objektbeziehungen von Ernst Falzeder

Der Name Balint wird am häufigsten mit den sogenannten Balint-Gruppen assoziiert. Viel weniger bekannt sind seine Beiträge zur Psychoanalyse der frühesten Objektbeziehungen, mit denen ich mich im folgenden beschäftigen will.
Im Anschluss an seinen zweiten Lehranalytiker Sándor Ferenczi (1)
experimentierte Balint mit verschiedenen Modifikationen der üblichen psychoanalytischen Technik, (2) was ihn zu neuen Auffassungen über das Seelenleben des Kleinkindes führte. Bereits in den dreißiger Jahren formulierte er seine Kritik am Konzept des primären Narzissmus, also an der Auffassung, dass der Säugling ein von den Reizen der Außenwelt weitgehend abgeschirmtes System darstellte, dessen Besetzungsenergien ausschließlich auf die eigene Person gerichtet seien. Im Gegensatz dazu meinte Balint: so „tief wir auch mit unserer analytischen Technik bzw. mit unseren Beobachtungen in die Geschichte eines Menschenlebens vordringen
können, haben wir immer, ohne Ausnahme, Objektbeziehungen
vorgefunden.
“ (1935a, 56) In der Erforschung dieser frühesten Beziehung hat Balint nicht weniger als eine neue Form der Liebe entdeckt, die er primäre Liebe nannte. „Diese Form der Objektbeziehung … ist etwas für sich, wie die anderen Formen der Liebe es sind, wie Autoerotik, Narzissmus, Objektliebe. Ich halte diesen Umstand für äußerst wichtig … “ (1937, 94).
Ihre pathologische Form ist die Grundstörung (basic fault), die gegen Ende seines Lebens im Zentrum seiner Gedanken steht.
Balint hat Fenenczis Untersuchungen über den Beziehungsaspekt in
Äthiologie und Therapie der Neurosen fortgeführt. Man kann sagen dass, es das wesentlichste Merkmal seines Werkes ist, dass er alle
Phänomene unter dem Gesichtspunkt der „Zwei-Personen-Psychologie“ (Rickman 1951) studiert. Er kämpfte ein Leben lang gegen den, wie er ihn nannte, physiologischen oder biologischen Blickwinkel der Psychoanalyse. Damit meint er die Tatsache, dass alle Formulierungen der Analyse „jeweils nur das Individuum betreffen.“ (1959, 224) Mit Ausnahme der Begriffe „Objekt“ und „Objektbeziehung“ gehen alle psychoanalytischen Termini
„nicht über die Grenzen der individuellen Psyche hinaus.“ (op.cit., 229)

Die Betonung des Beziehungsaspektes brachte Balint in Konflikt mit fixen Anschauungen und Praktiken: im Bereich der Medizin mit der einseitig am
somatischen Krankheitsbegriff orientierten Arbeitsweise, in der
Psychoanalyse mit dem Konzept des primären Narzissmus, der üblichen
Technik, letztlich auch mit der Triebtheorie. Denn nach seiner Anschauung
beruht die fundamentalste Störung des menschlichen Lebens nicht auf einer
schiefgelaufenen Triebentwicklung bzw. einem pathologisch gelösten
Konflikt zwischen Trieb und Ich/Umwelt, sondern auf einem tiefen NichtZueinanderpassen von Kind und Umgebung. Das führt zu einem
Mangelzustand, der nur durch Aufhebung des Mangels und nicht durch
bewusst machendes Verbalisieren zum Abheilen (unter Narbenbildung)
gebracht werden kann.

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