Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) ist eine der häufigeren und therapeutisch eine der mehr herausfordernden im DSM-IV/V aufgelisteten Persönlichkeitsstörungen.
Konzeptionell kann man die Aufmerksamkeit auf jedes der Kriterien richten, da die Patienten mit einer NPS, denen wir in der Klinik begegnen, zu einer stärkeren Ausprägung eines Persönlichkeitszuges als zu den anderen Zügen neigen. Man kann das Augenmerk auch auf den Schweregrad richten, da Personen mit NPS (ob sie Patienten
werden oder nicht) eingeordnet werden können entlang einem Spektrum von mild bis extrem.

Wenn man sich den Extremen nähert, wird man Personen finden mit antisozialen Tendenzen, „maligne“ Narzissten und Terroristen und schließlich Antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Normalerweise wird die NPS für nichtpsychotische Personen gebraucht, obwohl ausgeprägte und oft bizarre Formen des Narzissmus routinemäßig
bei manischen Patienten gesehen werden (wo Grandiosität ein übliches Merkmal ist) und auch bei gewissen schizophrenen Patienten, die sich selbst als grandiose Figuren vorstellen. Der Bindungsstil bei der NPS ist gewöhnlich „dismissive” (herablassend).
Übliche Abwehrmechanismen sind Omnipotenz und Abwertung, der Letztere spiegelt den herablassenden Stil wider mit der Tendenz der Narzissten, Geringschätzung und Verachtung anderen gegenüber zu zeigen Einige Personen mit NPS scheinen entweder auf diese oder andere Weise auf die Welt gekommen zu sein oder verzogen von ihren Eltern mit der Vorstellung, großartig zu sein. Andere mit NPS scheinen ihre grandiose Selbstrepräsentanz adoptiert zu haben, um die darunterliegenden Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren. Klinische Vignetten, basierend auf jedem der neun Kriterien,
werden mit Nachuntersuchungen präsentiert.

Alle glücklichen Familien gleichen einander;
jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art.
(Lev Tolstoy: Anna Karenina, 1. Teil, S. 1)
Narzisstische Züge sind verständlicherweise verbreitet, weil sie gesehen werden können als Ausdehnung oder Übertreibung von etwas, was andererseits als eine akzeptable Selbstliebe oder Selbstbezogenheit angesehen wird, nämlich als Teil einer normalen Ausstattung der Persönlichkeit. Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), beschrieben in dem Diagnostischen Manual für Psychiatrische Störungen (DSM-IV oder V), ist aus
neun verschiedenen Kriterien zusammengesetzt – von welchen das Vorhandensein von fünf der neun Kriterien (oder mehr) die Diagnose rechtfertigt.

Das erlaubt allein schon 126 Kombinationen [n!/ (5!) x [n – 5)!], wobei einige vermutlich häufiger sind als andere.
Man kann also auf die Verschiedenheit sehen vom Standpunkt der neun Kriterien selbst: einige Personen (unsere Patienten eingeschlossen) zeigen eines dieser neun Kriterien in einer bestimmten auffälligen Weise: Wir können zum Beispiel klinische Fallvignetten von neun Patienten geben, von denen jeder ein Beispiel für eines dieser Kriterien abgibt.
Ein anderer sinnvoller Weg, um die NPS abzubilden, ist, sie gemäß dem Schweregrad zu ordnen: in welchem Grad die Person sozial benachteiligt ist oder etwa der Grad, in dem für die narzisstische Person das Leben leidvoll ist oder die Person das Leben anderer leidvoll macht. Otto Kernberg hat vorgeschlagen, dass wir von einem Spektrum von narzisstischer Psychopathologie ausgehen, welches von der NPS, beschrieben im DSM, über die „Antisoziale PS” und den „malignem Narzissmus“ bis hin zu dem Extrem der Soziopathie im engeren Sinne reicht (Kernberg, 1992, S. 77 ff.).

Dieses Spektrum weist auf den wichtigen Aspekt des Schweregrades der Persönlichkeitspathologie hin. Wir können diese Vorgehensweisen integrieren, indem wir eine Karte oder ein Netz bilden – mit der Horizontalen als Schweregradachse, von links (mild) bis ganz rechts (extrem) reichend, und einer vertikalen Achse, wo wichtige Subtypen aufgelistet sind.

In den meisten klinischen und psychoanalytischen Arbeiten würden die narzisstischen Personen, denen wir in der Regel begegnen, im mittleren Teil des Netzes liegen.
Wenige von uns, mit Ausnahme der in der Forensik arbeitenden Kollegen, sehen überhaupt solche Extreme (alleingelassen mit dem der Versuch zu behandeln): die Soziopathen, die schwere
(einschließlich) Gewaltverbrechen begehen. Unnötig zu erwähnen, dass es viele schwer psychotische (manisch-depressive) Patienten gibt, deren narzisstische Züge so weit jenseits der „Norm“ der normalen Psychopathologie sind, dass sie eher Karikaturen solcher
Züge zeigen.

So begegnete ich in meiner forensischen Tätigkeit neulich einem Mann (hospitalisiert, nachdem er seine Familie umgebracht hatte), der darauf bestand, dass er als ein islamischer Mahdi dazu auserwählt sei, uns alle am Tage des Jüngsten Gerichtes zu richten, und er war auch „der Präsident der Milchstraße“. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass das in Anbetracht der Größe der Milchstraße ein anstrengender Job sei, da es mehr als ein Lebenswerk bedürfe, allein die Rückseite der Milchstraße zu erkunden. Aber dies beeindruckte ihn nicht. In diesem Artikel werde ich mich auf die narzisstischen
Patienten beschränken, die einem in der normalen Praxis begegnen.


Wir sollten am Beginn im Auge behalten, dass eine spezielle Qualität existiert, die wir bei der Mehrzahl der narzisstischen Patienten bemerken, die aber im DSM nicht aufgeführt ist, nämlich ihren „Bindungsstil“ – der ein charakteristischer ist: Herablassung
(dismissiveness). Viele narzisstische Patienten weisen unsere auf der Hand liegenden Interpretationen und Beobachtungen zurück, weisen jegliche Notwendigkeit unserer therapeutischen Bemühungen überhaupt zurück – bedingt durch, wie es scheint, ihr Gefühl der Überlegenheit, Hochmütigkeit und ihr Beharren darauf, dass nur eine „spezielle“ Person gerade beginnen könnte, sie zu verstehen (und wir sind gerade nicht die „spezielle“ Person!) – abgesehen davon, dass sie sowieso o. k. sind und in erster Linie keine Therapie brauchen. Diese Haltung hat Anteil an drei oder vier der DSM-Persönlichkeitszüge – hat aber größeren Erklärungswert, warum narzisstische Patienten so schwer zu behandeln sind: sie behandeln uns ziemlich häufig herablassend und brechen die Behandlung ab,
kaum dass sie begonnen hat.
In meiner eigenen Arbeit hatte ich über Jahre hinweg mit mehreren Dutzend von narzisstischen Patienten zu tun: einige brachen die Behandlung schon nach gerade wenigen Sitzungen ab, einige blieben in Behandlung für relativ lange Zeit – ohne deutliche Veränderungen zum Besseren, und einige wenige andere blieben für eine lange Zeit und machten letztendlich substanzielle Fortschritte. Obwohl es zumindest ein bis zwei Patienten gab, die als Beispiele einer der neun DSM-Kriterien angesehen werden können, gab es eine Ungleichverteilung. Diejenigen mit übermäßiger Beschäftigung mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe (DSM Item #2) waren vergleichsweise selten (mit Ausnahme von einigen psychotischen Patienten): diejenigen mit ausgeprägter Arroganz (DSM Item #9) oder Herablassung stellten die größte Gruppe dar. Die folgenden klinischen Vignetten illustrieren die verschiedenen Subtypen.

Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit: erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden.
(Grandiose sense of self-importance; expects to be recognized as superior
without commensurate achievements.)
Als ich begann, diesen Patienten zu behandeln, war er Chirurg in Ausbildung in seinen späten zwanziger Jahren. Er war unzufrieden mit seinem Leben, wenn auch nicht nachweisbar depressiv. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er noch jung war, und er lebte danach bei seiner Mutter. Sie war fordernd, überkritisch und forderte ihn immer wieder auf, sich anzustrengen und ihr diesen oder jenen Gefallen zu erweisen. Selten sah er seinen Vater (auch ein Arzt), sein Vater war jedoch noch mehr entwertend. Er genoss
es, seinen Sohn im Tennis zu schlagen, und drehte jeden Penny um, den er seiner Ex-Frau zur Unterstützung des Kindes zu zahlen hatte. Der Patient, der keine Geschwister hatte, hatte sonst alles, stellte aber gänzlich den Kontakt zu seinem Vater ein. Er brüstete sich
mit seinem Tennisspiel, spielte viel, da er seinen Selbstwert daran maß, wie viele Gegner er besiegen konnte – was die Mehrzahl war. Seine Ehe war unbefriedigend; sie hatten wenige Gemeinsamkeiten. Das sexuelle Leben litt darunter, dass sie nur im Dunkeln und
nachts Sex miteinander haben wollte, wohingegen er Sex am Morgen, wo er sie anschauen konnte, bevorzugte. Die Folge war, dass sie nur selten Sex miteinander hatten. Während unserer Therapiesitzungen (dreimal wöchentlich und psychoanalytisch orientiert) war er sehr kritisch mit mir und machte abwertende Kommentare: Meine Ohren standen zu weit ab; meine Jacketts hatten nur drei anstelle von vier Knöpfen – so dass ihm meine
Kleidung schäbig und billig erschien. Er schien beeindruckt von der Anzahl der Artikel, die ich geschrieben hatte – welche nichtsdestotrotz erheblichen Neid hervorriefen. Seine Kritik an meiner Person und Kleidung wuchsen zu einer Art von Antidot gegen seinen Neid. Schließlich begann er die Übertragungsaspekte seines Gefühls zu realisieren: als ob er wieder mit einer Vaterfigur zusammen war – die er niedermachen musste, um sich überlegen fühlen zu können. Er hatte nur eine maßlose Verachtung für den Chef der Chirurgie an der medizinischen Hochschule übrig, wo er in Ausbildung war. Er beharrte darauf, dass er ein viel besserer Chirurg als dieser Mann sei – obgleich er noch in Ausbildung war, niemals etwas publiziert hatte und nichts aufzuweisen hatte für seine
behauptete Überlegenheit. Nach eineinhalb Jahren schloss er das Trainingsprogramm ab und nahm einen Job in einer anderen Klinik an, wo er wieder den Eindruck hatte, dass der „Chirurgie-Boss” nur ein Mann zweiter Klasse sei, der den Posten nicht verdiente. Ich
bekam den Eindruck, dass wir die Wurzeln und Quellen seines Neides zurück zu ihren ältesten Vorläufern mit seinem Vater und seiner Mutter analysieren könnten und dass sein Neid trotzdem genauso stark bleiben würde. Ich wählte eine andere Vorgehensweise und bildete eine andere überzeugende Hypothese, dass die einzige „Kur” gegen Neid, soweit ich es sehen konnte, in Nacheifern und Leistung bestehen würde. Ich riet ihm, darüber
nachzudenken, welche Vorgehensweise er am besten beherrschte und ihm am meisten Spaß machte – und dass er sich auf diese konzentrieren sollte, um eine neue Methode für einige Operationen zu entwickeln, versuchen sollte, einige Artikel zu schreiben über
diese neuen Techniken und zu Ringvorlesungen zu gehen (was ich in meinem eigenen Gebiet oft getan habe). Nach meiner Erfahrung geschieht es nicht häufig, dass Patienten einen solchen Rat befolgen, aber dieser Patient tat es. Innerhalb eines Jahres hielt er 10
Vorträge in verschiedenen Städten über seine neuen Techniken und schrieb Artikel in einem halben Dutzend chirurgischer Fachzeitschriften. Kollegen nahmen seine Erfolge wahr. Er wurde eingeladen, der Fakultät einer HNO-Abteilung beizutreten. Innerhalb
eines Jahres stieg er auf zur Nummer zwei in einer chirurgischen Fakultät einer anderen Klinik. Noch in seinen frühen Dreißigern war er sehr zufrieden mit dem, was er erreicht hat, und hatte Respekt vor dem (viel älteren) Chef der Abteilung. Auch seine Haltung mir gegenüber schwächte sich ab, und er fühlte sich wohl mit mir; er war nun ein „Peer” und hatte es nicht mehr nötig, irgendwelche Unzulänglichkeiten in meiner Erscheinung zu suchen, die nur geringe Facetten meines Aussehens betrafen. Er beendete die Therapie in dem Augenblick, als er in eine private Praxis überwechselte, und durchlief eine erfolgreiche Karriere als Ohrenchirurg. Er ließ sich von seiner Frau scheiden und, wie ich später erfuhr, heiratete wieder und hatte mehrere Kinder. Dreißig Jahre sind seit dem Ende der Therapie vergangen; er ist nun teilberentet und ein angesehener Chirurg seiner Kommune. Der narzisstische Zug, sich selbst als überlegen gegenüber anderen zu sehen, ohne selbst irgendwelche Erfolge vorzuweisen, das war die anfängliche Selbstdarstellung – verging mit der Zeit und mit der Behandlung. Einige narzisstische Patienten dieses Typus vergeuden ihr Leben mit endlosen Klagen über die Unfairness der Welt – und gelangen nirgendwohin. Andere sind fähig, ihre Ambitionen und ihre Fähigkeit, hart zu arbeiten, nutzbar zu machen, so etwa zu der Position im Leben zu kommen, die sie als
„ihnen zustehend“ ansehen”. Ich hatte zu Beginn der Behandlung dieses Mannes keine Idee, welche Linie ich einschlagen sollte. Glücklicherweise endete es in einem Erfolg anstelle eines missvergnügten Nichts, das wenig in seinem Leben zu zeigen hat außer einer hohlen Grandiosität.

Ist stark eingenommen von Fantasien grenzlosen Erfolgs, Macht, Glanz Schönheit oder idealer Liebe
(Preoccupation with fantasies of unlimited success, power,brilliance, beauty, or ideal love)
Meine Arbeit mit einer Frau im Alter von 21 Jahren begann, als ich in einer psychiatrischen Klinik mitten in meiner Ausbildung war. Sie war vorher aus dem College geflogen wegen einer schweren Depression im Zusammenhang mit Suiziddrohungen und Ritzen der Handgelenke. Sie war außergewöhnlich schön und kam aus einer, was in Amerika unter „aristokratischer“ Familie verstanden wird; d. h. einer Familie mit großem Reichtum über mehrere Generationen hinweg, aber natürlich ohne „Titel“. Das einzige Kind von Eltern, die sich scheiden ließen, als sie vier Jahre alt war, und zwar unter bitteren
Umständen, sah ihren Vater niemals wieder – weil ihre Mutter alle Versuche von seiner Seite, den Scheidungsvertrag zu etablieren, blockierte. Ihre Mutter war herrisch, feindselig und ohne echte Sorge um ihre Tochter – die ihre Mutter letztendlich hasste, aber auch
ihren Vater, da sie annahm, er würde niemals versuchen, sie zu sehen.

Als ich graduierte und in private Praxis wechselte, verließ sie die Klinik und wurde Privatpatientin von mir. Sie war nicht mehr offen selbstdestruktiv, als ich begann, sie am Ende ihres stationären
Aufenthaltes kurz vor der Entlassung zu behandeln. Sie bildete sich ein, eine begabte Künstlerin zu sein und eine talentierte Choreographin, obwohl ohne einen Hauch von Talent auf diesem Gebiet. Sie hatte Fantasien, große Fortschritte als Ballettchoreographin zu machen, so dass ihr Name auf der Theatermarquise stand, und ihr Vater, jetzt demütig und bewundernd, würde vor ihr niederknien und um Verzeihung betteln, dass er sie all diese Jahre ignoriert habe. Sie sah mich als ganz viele Stufen niedriger auf einer sozialen Skala an als ihre Leute, aber in ihren Träumen gab es Hinweise für beides: Neid und Verzweiflung. Als ich zum Beispiel heiratete, hatte sie einen Traum, dass sie von
grünen Monstern gejagt werde (grün als Farbe des Neides). In anderen Träumen sah sie sich selbst gefangen und eingeschlossen in einer Plastikblase, unfähig zu entkommen, wohingegen alle Leute außerhalb der Plastikblase (mich eingeschlossen) ein vibrierendes,
glückliches Leben führten. Sie neigte dazu, ihre Gefühle gegen mich „auszuagieren”, indem sie in Bars ging und sich von Motorradfahrern und anderen rauen oder (älteren) Männern aufreißen ließ – ihre Attraktivität machte das leicht –, die mit ihr Sex hatten und sie körperlich missbrauchten. Einmal organisierte ich ein Treffen mit ihr und ihrem Vater, aber anstatt Dankbarkeit auszudrücken für seinen Besuch und ihm zu zeigen, dass sie nun verstanden hat, dass ihre Mutter zwischen ihnen stand, kränkte sie ihn. Sie sah sich weiterhin als eine große Künstlerin und Choreographin, unternahm aber keinen Versuch, in diesen Bereichen Fortschritte zu machen. Das Beste, was sie tun konnte, war, einen Job für Schaufensterdekoration in einem Geschäft zu machen. Sie war sich sicher, dass Andy Warhol so seine Karriere begann, Aber sie war nicht Andy Warhol. Nach
einigen Monaten beendete sie die Therapie und zog in einen anderen Staat um. Sie war immer zu hochnäsig, um mit mir eine Bindung einzugehen; ihr „Bindungsstil“ (obwohl der Terrminus in den sechziger Jahren nicht en vogue war, als ich sie kennenlernte) war
herablassend (dismissive). Aber ich erfuhr ungefähr 20 Jahre später, dass ihr Leben eine deutliche Wendung zum Besseren genommen hatte. Sie traf einen älteren geschiedenen Mann (von ihrer sozialen Klasse), als sie 38 Jahre alt war. Sie heiratete, hatte aber keine
Kinder. Ich glaube, instinktiv realisierte sie, dass ihr die Mutterrolle nicht leicht von der Hand gehen würde. Spät heiraten, beinahe jenseits der fruchtbaren Jahre einer Frau, war ihr Weg, einer Aufgabe auszuweichen, die sie nicht gut bewältigen könnte – ohne
anerkennen zu müssen, dass sie keine gute Mutter sein würde. Sie war nun eher bereit, ihrem Vater zu vergeben, und konnte letztendlich ihrem Vater vergeben und mit ihm eine Beziehung aufnehmen, die nun herzlich und frei von Frostigkeit war, mit der sie ihn viele Jahre früher begrüßt hatte. Schaufensterdekoration war das Gebiet, auf dem sie Erfolg hatte: sie arbeitete sich hoch zu einer Schaufensterdekorateurin und Dekorateurin für Appartements und ist jetzt (in den späten Sechzigern) eine hoch angesehene Praktikerin
auf diesem Gebiet. Wie sie fähig war, zunehmend ihren anfänglichen Narzissmus mit ihren Größenfantasien zu überwinden, ist mir nicht klar. Die eineinhalb Jahre, die sie bei mir in Therapie verbrachte, waren nicht gekrönt von irgendeinem Erfolg. Aber sie wurde
konfrontiert mit Kunst und Antiquitäten, entwickelte eine Begabung für Dekoration und schwächte ihre von früher her verachtende Haltung gegenüber anderen Menschen ab. Ich denke, ihre Schönheit gab ihr Sicherheit, es würde irgendwo immer ein Mann sein, der ihr eine weitere Chance sozusagen für die Bildung einer guten Beziehung geben würde. Sie war nicht mehr offen selbstdestruktiv, als ich begann, sie zu behandeln am Ende ihres stationären Aufenthaltes kurz vor der Entlassung. Sie war über Jahrzehnte
hinweg nicht depressiv und viel weniger selbstdestruktiv. Am Ende (der Therapie) ging es ihr wesentlich besser als zu Beginn.

Glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können
(Belief in being special and can only be understood by other special or high-status people)
Ein Mann in seinen späten 20er Jahren suchte Hilfe wegen einer Depression und eines tiefen Gefühls von Unerfülltsein. Er arbeitet in einer Firma als ein Investmentberater. Er war homosexuell, fand jedoch keine Freunde in der Schwulengemeinschaft und hatte
niemals eine längerdauernde Beziehung gehabt. In Wahrheit hatte er überhaupt keine Freunde. In der Arbeit kam er gut mit seinem Chef zurecht, zu dem er immer herzlich und höflich war. Mit seinen Untergebenen ging er dagegen ruppig und verächtlich um. Politisch war er extrem konservativ, was irgendwie paradox war, da die Republikaner der „ganz Rechten” intolerant gegenüber Schwulen sind. Er wuchs auf in einer Familie, wo die Eltern sich scheiden ließen, als er drei Jahre alt war, und er und sein älterer Bruder von der Mutter aufgezogen wurden – in einfachen Verhältnissen, da der wohlhabende Vater sich weigerte, den erforderlichen Unterhalt zu zahlen. Der Patient verachtete seinen Vater und sah ihn selten. Überzeugt, dass nur ein Psychiater von Ruf ihn als „einzigartige” Person, wie er sich sah, verstehen könne, hatte er meinen Namen bekommen als Arzt, der sich auf Persönlichkeitsstörungen spezialisiert und auf diesem Gebiet publiziert hatte. Aber er war sehr in Konflikt geraten mit der Wahl, da er bald begann, mich als eine „vollendete” Person zu sehen, die akademische Weihen erreicht hatte, die er niemals anstreben könne. Sein Neid verbitterte ihn, und er versuchte, Schwächen in meinem Charakter oder in meinen Schriften herauszufinden, um mich auf sein Niveau zu ziehen. Aber dann – falls ich kaum besser als er war, von welchem Nutzen könnte ich für ihn sein: Ich könnte dann nicht so eine komplizierte und spezielle Person verstehen. So würde er oszillieren zwischen diesen Polen: entweder ich bin perfekt genug, ihm zu helfen, und deshalb bestünde ein zu großer Abstand zwischen uns beiden, oder ich war
aus demselben Holz geschnitzt wie er – und konnte deshalb ein „Freund” sein, der ihm aus diesem Grund verständlicherweise nicht helfen kann. Es gab ihm keinen Trost, dass ich mehr als doppelt so alt wie er war, was hätte bedeuten können, dass er viele Jahre haben würde, durch harte Arbeit und Ehrgeiz das Niveau zu erreichen, das ich seiner Meinung nach erlangt hatte. Es gab eine „negative Vaterübertragung“ in der Behandlung: Ich wurde gesehen als der „bessere“ Vater, der wie sein eigener Vater sich nicht wirklich um ihn kümmern konnte. Herablassung war sein primärer Bindungsstil, und das war nicht nur durchgehend in unserer Beziehung, sondern auch mit den meisten anderen, außer seinem Boss und wenigen anderen, bei denen er sich erlauben konnte, sie zu bewundern. Das Thema sexuelle Unterschiede war kein großer Faktor. Er wuchs in den
90ern auf, als Schwulsein mehr als jemals zuvor akzeptiert war. Er hatte eine exzellente Beziehung in der Arbeit zu seinem heterosexuellen Boss. Das Problem war: sein Vater verunglimpfte Schwule und zog sportliche Männer vor, die intellektuell durchschnittlich waren, wohingegen der Patient hochintelligent und überhaupt nicht sportlich war. Nach einigen Monaten einer zweimal wöchentlichen Therapie fühlte der Patient, dass die Distanz zwischen uns unüberbrückbar ist, und brach die Therapie ab. Ich erfuhr nach
und nach, dass sich dieser Mann nun für einen hohen Posten in der Regierung bewarb, viel reiste und hohe Offizielle in verschiedenen Ländern in Zusammenhang mit seiner Kampagne traf. Er blieb stark identifiziert mit der Republikanischen Partei, trotz der Opposition gegen die Schwulenehe, weil die Partei für ihn wohlhabende, erfolgreiche (und vornehmlich weiße) Menschen mit konservativen Ansichten über Familie, Zusammengehörigkeitsgefühl, Steuerwesen, Religion und Standhaftsein gegen unsere Feinde repräsentierte – also auch seine Ansichten.
Ich wusste nicht, ob er ähnliche Fortschritte in seinem Privatleben machte, obgleich er nun viele Freunde und politische Unterstützer hatte – gegenüber denen er, vermute ich, akzeptierend und weniger „herablassend” war, als er es mit mir oder seinen Untergebenen in der Arbeit gewesen war. Sicherlich war er erfolgreicher und selbstbewusster geworden, als er es gewesen war, wie ich ihn kennen lernte.

Verlangt nach übermäßiger Bewunderung
(Requires excessive admiration)
Eine Frau in ihren frühen 30ern war zur Therapie überwiesen worden, kurz nachdem sie von einer psychiatrischen Klinik entlassen worden war, wo sie nach einer suizidalen Geste für wenige Tage aufgenommen worden war. Sie hatte eine geringe Überdosis von Benzodiazepinen eingenommen, verbunden mit mehreren Gläsern Wodka, was sie kurzfristig bewusstlos machte. Das war im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung erfolgt: Sie hatte herausgefunden, dass ihr Ehemann sie während einer Geschäftsreise
betrogen hatte. Ihr früheres Leben war tumultuös gewesen: Ihr Vater hatte eine inzestuöse Beziehung zu ihr im Alter von neun bis fünfzehn Jahren. Im Alter von fünfzehn Jahren schnitt sie sich die Handgelenke auf, war verzweifelt und erzählte alles der Mutter – die
sich schnell scheiden ließ. Ihr Vater war wohlhabend; so wuchs sie in Umständen auf, die für sie ökonomisch komfortabel waren, obgleich interpersonell zerstörerisch. Sie war von ihren Mitschülerinnen in der Schule gemobbt worden, weil sie sie wegen ihres Aussehens
beneideten. Für einige Zeit wurde sie Model und heiratete später einen Mann – der auch aus einer wohlhabenden Familie stammte, aber ein Schürzenjäger war. Sie war krankhaft eifersüchtig, da alle wichtigen Männer in ihrem Leben sie mit Partnerinnen betrogen hatten. Ihre Einstellung zu ihrer Schönheit war konflikthaft: Die Bewunderung der Männer war der psychische Boden, auf dem sie gedieh; jedoch neigte sie dazu, ihre Attraktivität zu entwerten, da sie ihr nur Probleme einbrachte. Immer noch verbrachte sie mehrere
Stunden jeden Morgen am Schminktisch, klebte sich falsche Wimpern an und versicherte sich, dass alles von ihrer Erscheinung „gerade so“ war. Sie war immer auf der Höhe der Mode gekleidet, selbst wenn sie zum Supermarkt ging – wo es vorhersehbar war, dass
sie die bewundernden Blicke von Männern auf sich zog. Sie war künstlerisch talentiert: kompetent als Malerin mit Wasserfarben, aber begabt als Bildhauerin. Es gab nur ihre Hobbys, sie machte nichts Professionelles im Bereich der Künste. Ihr Bindungsstil war
eher „verwickelt“ („entangled”) als herablassend. Sie wurde abhängig von mir als Therapeuten, aber auch misstrauisch, und befürchtete, dass ich sie irgendwann genau wie ihre Mutter, auf die sie zwar immer als liebenden Elternteil zählen konnte, die sie aber jahrelang nicht vor ihrem Vater zu beschützen vermochte, enttäuschen würde.
Sie arbeitete gut mit Träumen in unserer dreimal in der Woche stattfindenden Therapie und machte es möglich, die ausbeuterische Seite ihrer Natur zu explorieren. Nachdem sie die Vorteile der Beziehung zu ihren Vater genutzt hatte, lernte sie bald zu geben, so
gut sie es konnte, indem sie ihre Attraktivität dazu benutzte, die Männer in ihrem Leben zu kontrollieren. Das war nach ihrer Scheidung das Muster in mehreren jahrelangen Beziehungen zu verschiedenen Männern. Die Männer waren wohlhabend und großzügig zu ihr, kauften ihr teure Geschenke – aber die Beziehungen waren stürmisch. Es gab Zyklen von leidenschaftlichen Momenten, gefolgt von eifersüchtigen Anklagen (den Partner für eine Weile zurückweisend) und dann Versöhnungen. In der Therapie fokussierten wir auf ihre Unfähigkeit, Männern zu vertrauen, gemeint war, dass dieser Zyklus mit all diesen emotionalen Ausbrüchen notwendig war, um ihr immer wieder die Versicherung zu geben, dass die Männer immer bereit sein werden, sie zurückzunehmen – und dass sie die Männer durch ihre Attraktivität wieder zurückbekommt. Es dauerte mehrere Jahre, bevor sie einem Mann in beständiger Weise trauen konnte. Nach dem Ende der Therapie blieb sie bei einem Mann, der deutlich älter als sie war (ein wiederkehrendes Muster ihrer Partnerschaften), mit dem sie ein weniger stürmisch-aufgewühltes Leben führte bis zu seinem Tode. Zurzeit, 30 Jahre später, lebt sie allein, kann enge Beziehungen
aufrechterhalten und besucht häufig ihre Tochter.

Legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. übertriebene Erwartung einer besonders bevorzugten Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen
(Has a sense of entitlement: unreasonable expectations of especially favorable treatment or automatic compliance with such expectations)
Ein Single von 27 Jahren wurde zur Therapie an mich überwiesen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung auf einer Suchtstation, bedingt durch exzessiven Gebrauch von dem Opiat Oxycodone. Er hatte vor Kurzem sein Geschichtsstudium abgeschlossen, aber noch nicht eine Stelle als Lehrer gefunden. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er sieben Jahre alt war. Sein Vater war Arzt, der dann eine Krankenschwester heiratete. Zur Scheidung kam es, als seine Mutter eine Affäre mit einem anderen Mann hatte als Reaktion, wie es schien, auf extremes Unglücklichsein wegen ihrer Affäre und eheliche Spannungen zwischen den Eltern. Aber der Patient reagierte mit Hohn auf die Mutter und war äußerst verachtend gegenüber dem Vater wegen „seiner Heirat unter
seinem Niveau mit einer Krankenschwester“. Er fühlte sich auch von seiner Schwester entfremdet, so dass es keinen Weg zur Familie gab. Er hatte wenige Freunde, er selbst distanzierte sich von den meisten anderen Freunden, fühlte sich überlegen gegenüber dem Großteil der Menschheit. Er hatte das Gefühl, dass er durch sein überlegenes Wissen über alte und neue Geschichte bei verschiedenen Universitäten besonders geschätzt sein sollte, an denen er sich bewarb, und sie sollten ihn mit „offenen Armen“ empfangen für
einen guten professionellen Platz in der Fakultät. Trotz seiner herablassenden und hochnäsigen Haltung gegenüber seinem Vater – von dem er finanziell abhängig war, erwartete er weiterhin, dass sein Vater seine kritischen und verletzenden Bemerkungen über seine
neue Frau ertragen würde – und dass er sogar noch großzügiger seinen Sohn fördern würde. Er schien sich wohlzufühlen mit mir in den zweimal wöchentlich stattfindenden Sitzungen, teilweise, vermute ich – weil er wusste, dass ich ein Hintergrundwissen in alter Geschichte und in Latein und Griechisch hatte, was ihm erlaubte „in derselben Sprache zu sprechen“. Ich war sehr besorgt wegen seiner Opiatabhängigkeit und insistierte, dass er an einem ambulanten Drogen-Rehabilitationsprogramm teilnahm in der Hoffnung, dass das Personal ihn zunehmend von den Opiaten entziehen könnte, wobei ich ihm in der Zwischenzeit die Drogen nach Bedarf verschreiben würde. Er sah mich als einen Alliierten. Aber wahrscheinlich, weil er es tat, wurde er noch verletzender und fordernder gegenüber seinem Vater. Sein Vater schickte ihm ein großes Paket mit alten Büchern – welche mein Patient nicht annehmen wollte und seinem Vater zurücksandte. Ich fand es
sehr bedauernswert, da er so alle Bindungen zu seinem Vater abbrechen wollte, womit er allein blieb, da er ja schon Schwester und Mutter aus seinem Leben ausgeschlossen hatte. Das kam mir vor wie ein Vorspiel zum Suizid, da er die letzte Tür für eine mögliche
Quelle von Zuneigung und Hilfe zugeschlagen hatte. Ich war daher sehr betrübt, aber nicht überrascht, von seiner Mutter zu hören, dass er sich, als ich über die Neujahrstage vor acht Jahren verreist war, das Leben genommen hatte, indem er aus dem Fenster eines 20 Stockwerke hohen Appartementhauses sprang.

Ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen
(Is interpersonally exploitative: takes advantage of others to achieve personal ends)
Eine Frau von dreißig wurde zu mir zur Psychotherapie überwiesen wegen Ängsten in Verbindung mit ihrer jungen Tochter und dem mutmaßlichen Vater dieser Tochter. Die Patientin selbst kam aus einer Familie, bestehend aus ihrem Vater, dessen zweiter Frau
und drei Geschwistern. Ihr Vater war ein wohlhabender Unternehmer, der gescheiterte Betriebe aufkaufte und, wie der Ausdruck es sagt, „sie umdrehte“ in gedeihende, Geld machende Betriebe. Ihre Brüder arbeiteten für das Unternehmen des Vaters, wie es die
Patientin auch tat. Aber sie arbeitete als eine Art Schaufenster-Dekorateurin, als Empfangsdame – was keine speziellen Fertigkeiten erforderte, nur eine angenehme Persönlichkeit. Ihr Vater entlohnte sie großzügig für ihren Ruheposten-Job, indem er ihr half, für die Enkelin zu sorgen. Zur gleichen Zeit erhielt sie vom biologischen Vater Geld für das Kind: von einem verheirateten Mann, mit dem sie eine Affäre hatte. Sie erpresste ihn letztendlich für den Unterhalt des Kindes, ansonsten würde sie seine Frau anrufen und die Affäre mit dem zusätzlichen Kind auffliegen lassen. Ich sagte ihr bei unserer Arbeit – dass sie aufhören sollte, vom Vater des Kindes Geld zu verlangen – da ihr eigener Vater ihr schon Geld genug zur Unterstützung des Kindes und (ihr selbst) geben würde. Ich drängte sie dazu, einen Job anzunehmen, so dass sie Geld verdienen könne – genug, zumindest um von den erpresserischen Geldmitteln des biologischen Vaters Abstand zu nehmen. Sie bekam einen Halbtagsjob als Empfangsdame für eine Wohlfahrtsinstitution
– wurde aber Monate später gefeuert wegen regelmäßigen Zuspätkommens. Ebenso oft wurde sie eingeladen, bei Familienangelegenheiten zu helfen, aber diese Gelegenheiten
wurden peinlich durch den Verdacht, dass sie kleine Geldsummen, kleine Accessoires und andere Objekte aus den Taschen ihrer Schwägerinnen entwendet hatte. Dies führte zu einer Intervention von allen Verwandten zu Hause: Vater, Geschwister und deren
Gatten – bei der diese Verdächtigungen in ihrer Anwesenheit aufgedeckt wurden. Eine der Schwägerinnen stellte während dieser Sitzung fest, dass, während sie auf die Toilette gegangen sei, ein teures Schmuckstück und mehrere Hundert Dollar aus ihrer Tasche
fehlten. Für die Familie war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ihr Vater war nun überzeugt, dass sie eine Diebin ist – eine unehrenhafte und verantwortungslose Person, die die Familie nicht länger unterstützen kann, es sei denn, es werden
strikte Grenzen gesetzt. Am Ende stellte die Familie die Bezahlung ihres Appartements ein und schickte sie und ihre fünf Jahre alte Tochter in eine andere Stadt zu einer Tante. Der Tante wurden genügend Mittel zur Verfügung gestellt, um auf einer regelmäßigen
Basis die Patientin und ihre Tochter zu unterstützen. Der Kontakt mit dem leiblichen Vater war nun nicht mehr möglich, so dass die Ausbeutung von ihm durch sie auch gestoppt wurde. Diese Maßnahmen unterdrückten natürlich nicht die diebischen Tendenzen – aber die Familie war erleichtert, dass sie nun einen Weg gefunden hatte zu verhindern, dass sie diese Tendenzen wieder aufleben ließ.

Zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
(Lacks empathy; is unwilling to recognize or identify with the feelings and needs of others)
Ein Rechtsanwalt Mitte der Vierziger suchte psychiatrische Hilfe im Zusammenhang mit einer destruktiven Beziehung, in die er hineingezogen wurde – mit einer abwechselnd leidenschaftlichen und kämpferischen Frau, die 20 Jahre seine Juniorpartnerin war. Er
arbeitete als Lobbyist in einer großen Firma, oftmals nach Washington reisend, in der Hoffnung, verschiedene Regierungsmitglieder überreden zu können, dass sie ihm günstige Bedingungen für seine Firma, die er vertrat, gewähren. Er war ein charismatischer Verkäufer, Frohsinn verströmend und mit einem flotten Mundwerk, was ihm erlaubte, sich einzuschmeicheln bei Kongressmännern und Senatoren und somit weiter die Ziele seiner Firma zu fördern. Erfolgreicher in der Arbeit denn in der Liebe war er zurück zu Hause verwickelt in eine glühende Liebesaffäre mit einer eifersüchtigen Frau. Hitzige Auseinandersetzungen ereigneten sich jede Woche, die damit endeten, dass sie sich von ihm „im Guten“ trennte. Er konnte dann eine neue Frau in einer Bar für die nächste
Nacht aufgabeln und hatte dann Sex für ein paar Tage – bis die junge Freundin ihn anrief, um wieder mit ihm zusammenzusein. Aber sie entdeckte dann einen Champagnerkorken und ein langes Haar in seinem Papierkorb – und verfluchte ihn wegen seiner Untreue. Er
sagte dann: „Aber wir trennten uns doch.“ Sie rächte sich dann, indem sie sein Auto mit dem Schlüssel zerkratzte, oder machte ihm eine Szene an seinem Arbeitsplatz. Sie brach daraufhin die Beziehung wieder ab. Der Zyklus wiederholte sich. Er schien unfähig, die
Geschwindigkeit zu begreifen, mit der er eine Beziehung zu einer anderen Frau aufnahm, nämlich nur Stunden nach diesen „Trennungen” – und Öl in die Flammen der Eifersucht
goss. Selbst wenn man mit einrechnet, dass sie auch schwere Persönlichkeitsprobleme hatte, sein mangelndes Einfühlungsvermögen gegenüber ihren Gefühlen war einer der
Hauptfaktoren für das Chaos – welches manchmal sogar die Polizei auf den Plan rief, die in seinem Appartement die Ruhe wiederherstellen musste. Meine Vorgehensweise bei der Behandlung war, ihm mehr seine Unfähigkeit bewusst zu machen, sich auf die Emotionen seiner Freundin einzustellen – zumindest sie nicht zu betrügen in dem Zeitraum von wenigen Tagen zwischen Abbruch und Wiederaufnahme der Affäre. Ich versuchte, ihm verständlich zu machen, dass es nicht wirkliche Trennungen sind; es existierte eine beständige Partnerschaft – mit kurzen Trennungsintervallen. Die Analogie waren Boxer in einem 15-Runden-Profikampf: Die Ruhepause von 3 Minuten zwischen den Runden war nicht „das Ende” des Kampfes; es war gerade mal eine temporäre Unterbrechung der Aktivität innerhalb eines kontinuierlichen Engagements. Ein ähnliches Muster von mangelndem Einfühlungsvermögen zeigte sich in seiner Beziehung zu mir. Meistenteils machte er den Eindruck, als ob er mich mochte und meinen Rat respektierte. Aber es gab Zeiten, da stellte er Forderungen, die ich nicht erfüllen konnte. Er neigte zum Beispiel
dazu, Alkohol zu missbrauchen, was seine Selbstkontrolle gegenüber der Freundin und auch mir einschränkte. Eines Tages, als er ziemlich betrunken und verzweifelt war über den x-ten „Abbruch“, rief er mich an und verlangte dringend eine Therapiestunde, aber ich konnte ihm in dem Augenblick diese Bitte nicht erfüllen, bot ihm an, ihn so bald als möglich am nächsten Morgen zu sehen. Er war sehr ärgerlich und, ohne dass ich es wusste, war er schon in der Lobby meines Hauses. Nachdem ich ihm noch einmal klargemacht hatte, dass ich ihn nicht sehen konnte, urinierte er in den Blumentopf im Eingang (wie mir der Concierge später erzählte). Er brach die Therapie danach ab. Im Zusammenhang mit dem Schreiben dieses Artikels versuchte ich in Kontakt mit ihm zu kommen, um zu sehen, wie sich sein Leben im Laufe der 15 Jahre weiterentfaltet hat. Ich konnte mittels Internet seine Telefonnummer herausfinden. Er antwortete mir sofort und war sehr glücklich, von mir zu hören. Jetzt 69 und in Teilrente, hatte er sich endlich von seiner stürmischen Freundin getrennt und lebte mit einer Frau zusammen, die mehr in seinem Alter war: sie hatte eine Führungsposition in der Geschäftswelt und war eine versierte
Sportlerin. Er hatte seine alte Firma verlassen und begonnen, eine Firma aufzubauen, in der er sich darauf spezialisierte, Personen für hohe Posten in verschiedenen Firmen zu rekrutieren. Er war überschäumend und frohsinnig wie immer, schien aber jetzt sensibler gegenüber Gefühlen seiner neuen Freundin und anderen in seiner Familie zu sein. Es war, als ob ihn der Reifungsprozess über die Jahre hinweg graduell verändert hatte von einem Mann mit der Intention, Menschen nur für sich einzuspannen – in eine Person,
die nun fähig ist, sich aufrichtig um die, mit denen er eng verbunden ist, zu kümmern. Er mailte mir ein Foto von sich, auf dem ich sehen konnte, dass er sich zwar psychologisch über die Jahre gebessert, physisch aber nahezu nicht verändert hatte.

Ist häufig neidisch auf andere
(Is often envious of others)
Eine Frau von 26 war zu mir überwiesen worden für eine fortlaufende Psychotherapie, nachdem sie schon für eine Anzahl von Jahren wegen einer Depression, suizidaler Gesten und einer Essstörung („Bulimarerxie“) in Behandlung gewesen war. Diese Symptome
stimmten mit der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung überein. Was narzisstische Persönlichkeitszüge betrifft, waren die auffälligsten ausbeuterisches Verhalten und Neid. Ihr Problem mit Neid hatte einen merkwürdigen Beginn: Sie war die jüngere von
zwei Schwestern, und als sie sieben Jahre alt war, griff die ältere Schwester die Patientin mit einem Messer an – aus Neid, denn die Mutter zog die jüngere Schwester vor. Mit der Zeit begann ich mit ihr zu arbeiten, die Situation drehte sich jedoch um: Sie beneidete
nun die ältere Schwester, die es in der Zwischenzeit geschafft hatte, zu heiraten und drei Kinder zu produzieren. In der Firma, in der sie arbeitete, war sie extrem eifersüchtig auf die anderen weiblichen Angestellten, die sie hübscher fand und sozial glücklicher, weil sie
beständige Freundschaften hatten (während sie selten überhaupt Treffen mit Männern hatte). Die Komponente ihres Neides, die am beunruhigendsten war, war gegen meine Frau gerichtet. In ihrer Vorstellung würde ich, wenn ich meine Patienten am Ende des
Tages gesehen hatte, mit meiner Frau umschlungen in inniger Verliebtheit nur aneinander denken und sicherlich nicht an sie. Anscheinend könne sie, ohne dass sie an allererster Stelle in meinen Gedanken sei, nicht existieren. Es kam in den dreimal wöchentlich
stattfindenden Sitzungen an die Oberfläche, dass ihr Vater sehr nachtragend war, was die Aufmerksamkeit seiner Frau gegenüber den beiden Töchtern betraf. Er verbrachte so viel Zeit wie möglich mit seiner Frau (machte zum Beispiel Urlaub mit ihr ohne die Töchter). Ihre Annahme bezüglich meiner Frau und mir war nur als verzerrte Übertragung ihrer früheren Überzeugung, dass sie ihrem Vater nichts bedeutete und ihn nur seine Frau interessierte, zu verstehen.
Wenn ich für eine Woche das Land verließ, um einen Vortrag zu halten, rief sie mich auf meiner privaten Nummer an. Wenn meine Frau am Telefon war, legte sie sofort den Hörer auf – erleichtert, dass ich, „Gott-sei-Dank!“, allein war. Falls niemand antwortete, nahm sie (korrekterweise) an, dass ich mit meiner Frau verreist war. Das stürzte sie in tiefe Depression, manchmal mit suizidalem Verhalten. Einmal überquerte sie sogar die Straße mit geschlossenen Augen in der Hoffnung, dass ein Laster in sie hineinrasen und sie töten würde. Ich fühlte mich bestätigt, dass ihre übermäßige Beschäftigung mit mir und ihr Hass auf meine Frau ein dünnes Furnier war, eine tiefere Schicht einer vereinnahmenden Liebe für ihre Mutter (mit meiner Frau als Surrogatmutter) aber existierte. Aber ein Wunsch dieser Art war jetzt, wo sie nicht mehr ein Baby war, mit homosexuellen Obertönen befrachtet. Ihre Träume unterstützten diese Dynamik, aber das Material war zu verboten: wir konnten niemals in diese Schicht vordringen. In ihrer Arbeit hatte sie eine schlechte Angewohnheit, nämlich die der üblen Nachrede, indem sie der einen Mitarbeiterin etwas Schlechtes über die andere mitteilte. Ihre Geschichten waren normalerweise Lügen. Wenn ihre Lügen aufgedeckt wurden, wurde sie ein Paria; die anderen Frauen mieden sie in der Arbeit. Obwohl sie eine attraktive Frau war, hatte sie kein Selbstvertrauen zu ihrem Aussehen und zu ihrer Persönlichkeit – so blieb sie bei Partys für sich selbst und hatte Angst davor, mit jungen Männern zu sprechen. Nach zwei Jahren Therapie war sie selbstbewusster und weniger selbstabwertend. Ich fühlte,
dass es ihr nur besser gehen würde, wenn sie einen festen Freund hätte – was ihren Neid auf ihre Schwester, ihre Mitarbeiterinnen, meine Frau und auf irgendwelche Myriaden anderer Frauen, die in ihren Augen begehrenswerter waren als sie, vermindern würde.
Im Laufe der Zeit traf sie einen Mann, der zunehmend Gefallen an ihr fand und sie an ihm. Sie heirateten schließlich. Die Ehe verlief aber nicht ohne schwierige Momente. Sie bekamen drei Kinder kurz hintereinander. Das war eine große Belastung für ihre emotionalen Ressourcen, und es gab Perioden, da war sie richtig depressiv und brauchte einmal eine kurze stationäre Behandlung. Aber sie war fixiert auf ein viertes Kind. In dieser Zeit war sie nicht mehr in Behandlung, hatte aber immer wieder Telefonkontakt mit mir. Ich vermutete, dass der Drang nach einem vierten Kind hervorgegangen war aus dem schwelenden Neid auf ihre Schwester. Sie würde nun die Leistung der jüngeren Schwester „übertrumpfen”, indem sie ein Kind mehr als die Schwester haben würde.

Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen
(Shows arrogant, haughty behaviors or attitudes)
Ein Mann suchte Behandlung wegen Stimmungsschwankungen, die negative Auswirkungen auf seine Ehe hatten. Er ist ein Mann in den frühen Vierzigern; dies war seine dritte Ehe, die wie die beiden vorausgehenden Ehen nicht nur wegen seiner Stimmungsschwankungen instabil wurde, sondern auch aufgrund seiner in dieser Zeit stark schwankenden Haltung seiner Frau gegenüber. Er neigte dazu, seine derzeitige Frau herabzusetzen, indem er eine ausgeprägt abwertende Sprache benutzte („Sie ist dumm, sie ist ein Miststück, ihre Familie ist verfault“), obgleich diese Tiraden alternierten mit Kommentaren der entgegengesetzten Art („Ich bin nichts ohne sie“). Seine generell herablassende Haltung war besonders deutlich bei seiner Frau. Sie hatte eine Ausbildung in Psychologie und interessierte sich zunehmend für evolutionäre Psychiatrie. Sie genoss es, über gewisse Geschlechtsdifferenzen zwischen Männern und Frauen zu lesen, die Überlebenswert haben und die zu Unterschieden in verschiedenen Fertigkeiten und Persönlichkeitszügen zwischen Männern und Frauen führten. Er machte ihr Interesse an diesem Thema lächerlich und nannte sie einen Dummkopf, einen solchen Unsinn zu glauben. Die verächtlichen Kommentare dieser Art führten dazu, dass sich seine Frau von ihm mehr und mehr emotional distanzierte.
Er war der leitende Chef einer kleinen Firma – wo er bekannt war als „der Chef der Hölle“. Er schrie die Angestellten an und verfluchte sie, wenn er das Gefühl hatte, dass sie nicht hart genug arbeiteten, tyrannisierte seine Sekretärinnen und agierte in einer barschen und überheblichen Art gegen seine Kollegen in der Firma oder gegen die Chefs der anderen Firmen, mit denen er Geschäfte machte. Er hatte zahlreiche kurze Affären mit Frauen, die er auf Tagungen oder in unterschiedlichen Situationen in Verbindung mit seinen Reisen traf. Ziemlich gutaussehend und athletisch, hatte er keine Probleme,
diese zufälligen Begegnungen umzufunktionieren in Essen und Sex für wenige Nächte. Als ein gebürtiger Mexikaner sah er diese Affären nicht als „Betrug” an, sondern rein als angenehme Abende, vereinbar mit einer kulturell ich-syntonen Machismo-Mentalität. Während der zwei Jahre, in denen ich mit ihm arbeitete, riss er einmal die Tischdecke vom Esstisch, weil seine Frau das Abendessen nicht um 18:00 Uhr fertig hatte, als er nach Hause kam, und bewirkte, dass Geschirr und Essen auf dem Flur zerschellten. Bei einer anderen Gelegenheit schlug er seiner Frau aufs Auge. Ich schickte ihn an diesem Punkt in eine psychiatrische Klinik und beharrte darauf, dass er danach in seinem Büro schläft und nicht zu Hause, bis sein Wutausbruch sich abkühlte. Letztendlich wurde er der Aufregung und der Beschwerden seiner Untergebenen in der Arbeit müde (obwohl er doch die Ursache war) und entschied, seine Firma zu verkaufen. Der Vorgang dauerte viel länger als notwendig, weil er in seinem hochmütigen Betragen darauf beharrte, dass die Firma viel mehr wert sei als das generöse Angebot, das der Käufer ihm machen wollte. Als der Verhandlungsabschluss getätigt war, siedelte er mit seiner Frau in seine ursprüngliche Heimat Mexiko um. Wenige Jahre später hörte ich von ihm, dass seine Frau ihn verlassen hatte und dass er allein lebte, unglücklich war und nur wenige Treffen mit anderen hatte, außer gelegentlichen One-Night-Stands mit dieser oder jener Frau , die er in Bars traf.
Diskussion
Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), wie sie im Amerikanischen Manual DSM-IV (DSM-V unterscheidet sich in dieser Beziehung nicht) definiert ist, hat in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Lebenszeitprävalenz von mindestens 6,2%, wobei Männer (7,1%) höhere Raten haben als Frauen (4,8%). Die Prävalenz ist höher in einigen Subgruppen, wie zum Beispiel junge Erwachsene, und unter Personen, die getrennt, geschieden, verwitwet oder niemals verheiratet gewesen sind (Stinson et al., 2008). Diese Untersucher stellten auch eine hohe Komorbidität unter den NPS-Personen für Substanzmissbrauch und für affektive und Angststörungen sowie für andere Persönlichkeitsstörungen fest. Es gab eine geringere Tendenz für NPS, eine bipolare Störung zu haben. Leichte Depressionen, wie bei dysthymen Störungen, waren nicht mit einer NPS korreliert. In einer anderen Studie, mit einer Sechs-Monats-Katamnese scheint NPS mit Depressionen verbunden zu sein und auch mit Angst und anderen psychologischen Einschränkungen, die mit standardisierten Instrumenten erfasst worden waren (Miller, Campbell & Pilkonis, 2007). In der letzten Studie war NPS stärker assoziiert mit Verursachung von Schmerzen und Leiden von anderen Leuten in der sozialen Sphäre der Personen mit einer NPS. Die Autoren schlossen daraus, dass NPS ein „maladaptiver
Persönlichkeitsstil” ist, der zu Leiden im interpersonellen Bereich, oft mit dem letztendlichen Effekt des Zurückwirkens auf die narzisstische Person verbunden ist – dazu führend, dass die Ehe auseinanderbricht, eine Entfremdung von den Freunden erfolgt
und zum Verlust des Jobs führt (bedingt durch die arrogante und unbotmäßige Haltung am Arbeitsplatz). Perry und seine Kollegen (2013) haben zu den Abwehrmechanismen, die die Patienten mit verschiedenen Persönlichkeitsstörungen benutzen, festgestellt,
dass diejenigen mit NPS (und mit Antisozialer Persönlichkeitsstörung) Omnipotenz und Entwertung zeigen. Personen mit NPS benutzen auch „Spalten“ als Abwehr, aber
greifen weniger auf verzerrte Wahrnehmungen als Abwehr zurück im Vergleich zu Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Ronningstam (2011) betont, dass man im Bereich der NPS Personen finden kann mit Schüchternheit, emotionaler Unsicherheit und erhöhter Sensitivität (zum Beispiel gegenüber Kritik), während es andere gibt, die eher zur Grandiosität neigen. Sie unterscheidet zwischen den Typen „eigennützig“ und „selbstverstärkend“ (meistens kompensatorisch genannt). Einige narzisstische Personen fühlen sich mit anderen Worten anderen überlegen und zeigen Arroganz, die in der tiefsten Schicht der Psyche evident ist: sie sind narzisstisch bis ins Mark. Bei anderen narzisstischen Personen entdeckt man eine kompensatorische Qualität: Innerlich fühlen sie sich unterlegen, unsicher, ohne Selbstvertrauen. Sie erwerben über die Jahre hinweg
eine Fassade von Überlegenheit, malen sich ähnlich an, wie eine Dame ihr Gesicht mit Rouge abdeckt, um den darunterliegenden Makel mit „Farben” von hohem Status und Hochmütigkeit und somit ihre Gefühle der Wertlosigkeit zu verdecken. Unter den Patienten in den obigen Fallbeschreibungen gab es das ein Beispiel für den
kompensatorischen Typus der NPS: Er fühlte sich ungenügend und ungeliebt sein Leben lang, war aber in der Lage, teilweise durch seine hohe Intelligenz zu überkompensieren und eine Gegenhaltung einzunehmen, besser als andere und nicht unterlegen zu sein. Er
kämpfte mit, was in den Tagen der psychoanalytischen Pioniere als Minderwertigkeitsgefïhl bezeichnet wurde, von Alfred Adler als „Mindertwertigkeitskomplex” beschrieben.
Der Mann der letzten Vignette („zeigt hochnäsiges und arrogantes Verhalten …“) war ein Offizier in der mexikanischen Armee gewesen, war „ein großer Macho“ und fühlte sich wohl berechtigt, seine „faulen” Mitarbeiter zu demütigen, als ob sie es nicht besser
verdient hätten, als wüst beschimpft zu werden. Er war ein Narzisst bis ins Mark.
Einige der Patienten in den Vignetten wurden besser mit zunehmendem Alter und reiften nach – aus Gründen, die nur wenig mit ihrer früheren Therapie zu tun hatten (die Frau der zweiten Vignette („Fantasien von unbegrenztem Erfolg“) und der Mann
von der siebten Vignette („fehlt Einfühlungsvermögen“). Der Mann der ersten Vignette („grandioses Gefühl der Selbstüberhöhung“) ist ein Beispiel, dass das beste Heilmittel für Neid Selbstverwirklichung ist. In diesem Fall diente die Therapie meines Erachtens als Katalysator für seinen Ehrgeiz, der es ihm ermöglichte, in eine höhere Position aufzusteigen, die er aufgrund harter Arbeit auch wirklich verdiente: Er entdeckte sozusagen die Fluchtgeschwindigkeit, um über seine Größenphantasien aus der Kindheit hinauszuwachsen. Die Frau der achten Vignette („ist häufig neidisch auf andere”) war nicht so sehr im Wettbewerb mit der (vornehmlich männlichen) Arbeitsstelle, sondern mit der
(vornehmlich weiblichen) Umgebung zu Hause: Letztendlich überholte sie ihre Schwester durch Produktion von vier anstelle drei Kindern der Schwester – und fand Frieden.
Es ist allgemein bekannt, dass auf dem Gebiet der Persönlichkeitsstörungen den Borderline-, Antisozialen und den Soziopathischen Persönlichkeitsstörungen in der psychiatrischen Literatur weit mehr Aufmerksamkeit gewidmet ist als jenen, die ihren Familien und Mitarbeitern oder der Allgemeinheit weniger Probleme bereiten. Mit anderen Worten, wie dürftig ist es, dass im Rahmen von Katamnesestudien bei Persönlichkeitsstörungen gerade der Fokus auf diese drei mehr „nervenden“ Zustände gerichtet wird. Die Psychoanalyse ist besser in der Lage, sich mit den inhibitorischen Typen zu beschäftigen: zwanghafte, dependente, depressiv-masochistische, hysterische (im älteren, freudianischen Sinne, nicht im Sinne der „histrionischen Persönlichkeitsstörung“ im DSM, die
eher pathologisch ist) und vermeidend (das moderne Äquivalent der alten „phobischen“ Persönlichkeit). Aber die psychoanalytische Literatur zur Katamnese (weniger zur Langzeitkatamnese) der inhibitorischen Persönlichkeitstypen ist irgendwo zwischen
spärlich und nicht existent. Und die Katamnese von Persönlichkeitsstörungen muss Langzeitkatamnese sein, weil Persönlichkeit, im Gegensatz zur Symptom-Pathologie, stabil, ich-synton (zum größten Teil) ist und sich nur langsam ändert. Einige Berichte von Katamnesen von Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS) zeigen ermutigende Verbesserungen schon nach wenigen Jahren (Zanarini, Frankenburg, Hennen & Silk, 2003; Gunderson et al., 2011; Zanarini, Frankenburg, Reich & Fitzmaurice, 2012; Zanarini, Frankenburg & Fitzmaurice, 2013). Aber BPS ist eher ein Amalgam von Symptomen (Stimmungslabilität, selbstschädigende Akte, impulsives Verhalten …) als von genuinen Persönlichkeitszügen. Wir würden daher erwarten, dass in nicht allzu langer Zeit die Symptome verschwinden würden, bei geeigneter Therapie und (wo notwendig)
Medikation.
Weit gefasst schließt die narzisstische Persönlichkeit maligne-narzisstische, antisoziale und soziopathische Subtypen ein; keiner von diesen hat eine günstige Prognose, auch nicht im Langzeitverlauf. NPS, wie wir den Begriff in diesem Artikel gebraucht haben, ist eine weniger schwerwiegende Störung. Katamnesestudien über NPS sind in der Literatur kaum berichtet worden. Der vorher zitierte Artikel von Miller et al. bezog 300 Patienten ein, die aber nur sechs Monate später nachuntersucht wurden, eine viel zu kurze
Zeitspanne, als dass sie es einem erlauben würde, etwas Definitives über das Schicksal von narzisstischen Patienten auszusagen. Mein eigener früherer Artikel (Stone, 1989) handelte eigentlich von Langzeitkatamnesen über hospitalisierte narzisstische Patienten
mit der Kombination PPS x NPS. Es handelte sich um eine 10- bis 25-Jahres-Katamnese und zeigte, dass Borderline-Patienten, komorbide mit NPS, ebenso gut wurden wie Patienten nur mit BPS, die nicht komorbide mit NPS waren – mit Ausnahme jener, deren
narzisstische Züge signifikante antisoziale Züge mit einschlossen. Die letzte Gruppe hatte, wie zu erwarten war, einen schlechten Langzeitverlauf und hatte oft Probleme mit dem Gesetz.
Die neun Patienten mit den Fallvignetten waren ausgewählt worden teilweise, um die neun Kriterien des DSM-Kriterienkatalogs zu illustrieren, und teilweise, weil ich etwas über ihren Ausgang wusste – über eine substanzielle Zeitperiode von zwei Jahren (bei dem Mann, der Suizid beging) bis zu 20 Jahren (bei dem zunächst nicht einfühlsamen Rechtsanwalt mit dem guten Ausgang). Obwohl offensichtlich keine definitive Studie zum Ausgang von NPS existiert, bietet der Artikel einige Hinweise, welche Formen von Ausgang man unter verschiedenen narzisstischen Patienten in der normalen Praxis sehen kann.
Am äußersten Ende des narzisstischen Spektrums, wo antisoziale und soziopathische Personen residieren, ist narzisstische Psychopathologie endemisch: Die meisten antisozialen und tatsächlich alle soziopathischen Personen sind narzisstisch wie Annett Schirmer 2013 gezeigt hat; aus wichtigen Gründen sind, bezogen auf die Evolution unserer Spezies, Frauen im Durchschnitt einfühlsamer als Männer; Männer aggressiver als Frauen. Die Geschlechterrelation am äußersten Ende des narzisstischen Spektrums ist sogar noch mehr in Schieflage (etwa 8:1 Männer zu Frauen), als es in der alltäglichen Arbeit in der Klinik und in der privaten Praxis (vielleicht 5 Männer zu 3 Frauen) gesehen wird. Patienten mit BPS sind überwiegend Frauen: sie sind normalerweise einfühlsamer als die narzisstischen Patienten (wo die Männer die Frauen übertreffen). Ein Gegenpart zu dieser Differenz in der Geschlechterrelation besteht darin, dass unter den Patienten
der Fallvignetten die Männer die Frauen mit 2 zu 1 übertrafen, sie (speziell die Männer) waren oft nicht einfühlsam und im Bindungsstil herablassend. Das, so glaube ich, macht einige der speziellen Schwierigkeiten in der Arbeit mit narzisstischen Patienten aus.
Literatur
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