Menschliche Destruktivität

Jean-Léon Gérôme (French painter and sculptor) 1824 - 1904 The Christian Martyrs’ Last Prayer, 1863-83

Affektpsychologische Überlegungen zur menschlichen Destruktivität
Prof. Dr. phil. Rainer Krause
Psychologisches Institut der Universität des Saarlandes

Über die Lebens-, Liebes, Todesgefühle und –triebe. Einige begriffliche Klärungen.


Die Wahl des Begriffs Destruktivität in Verbindung mit uns Menschen strukturiert das zu
analysierende Feld konnotativ in einer spezifischen Art vor. Es geht um Böses, Negatives, zu
Verhinderndes, Gefährliches und vielleicht auch letztendlich Sinnloses. Eine solche
Sichtweise verträgt sich schlecht mit der Weltsicht des teuflischen Mephistopheles, der meint
das Böse wollend, stets das Gute zu schaffen. Vielleicht belügt er sich auf Teufels Art, aber
wir sollten uns gleichwohl darüber Gedanken darüber machen ob er bzw. sein Schöpfer
Goethe nicht in Teilen recht hat (Goethe 1998). Kommt nicht aus der Zerstörung auch oft
Erneuerung? Ist der Neid nicht der Motor der Gerechtigkeit, wie dies Martin Walser in seinem
Lob auf das gelbe Gefühl gedichtet hat? Gäbe es ohne Eifersucht stabile Beziehungen? Ist
Ekel nicht schützend in der Begegnung mit Toxischem? Ist Ärger nicht notwendig für den
Selbstwerterhalt? Auf jeden Fall müssen wir spezifizieren, was Destruktivität jenseits des
konnotativen Widerwillens sein soll. Hätte man Begriffe wie Aggression, Gewalt, Hass, Wut
gewählt, könnte man sich einer funktionalen Betrachtungsweise über den biologischen,
psychologischen und sozialen „Sinn“ solcher Zustände nicht leicht entziehen. Die
Konnotation der Destruktion verlangt dies nicht unbedingt. Damit will ich nicht der
Destruktion das Wort reden, aber gerade als Psychoanalytiker sind wir bis anhin gut gefahren,
von einem hohen Maß an Determiniertheit auszugehen. Warum sollte dies für zerstörerische
Handlungen nicht gelten? Wenn sie schon keinen Sinn haben, haben sie vielleicht einen
Grund. Die Begriffe sind ohnehin kaum konsensuell definierbar. Wie stehen Trieb und Affekt
zueinander? Gibt es einen Zerstörungstrieb? Wenn ja, braucht er einen Affekt als Vehikel für
seine Umsetzung? Oft hört man, manche Affekte seien inhärent zerstörerisch, andere eher
reparativ. So werden in der manichäischen Welt des späten Freud Hass und Liebe als
lärmende Niederschläge der Todes – und Lebenstriebe betrachtet, aber sind die beiden nicht
eigentlich Affekte? Unlängst wurde ich von der Wissenschaftredaktion eines Fernsehsenders
angerufen, sie machten eine Sendung über die Liebe, und da dies ja eine Emotion sei,
brauchten sie mich als Experten. In ihrer Freude an Bildern und bildgebenden Verfahren
hatten sie auch bereits die Hirnareale dafür entdeckt. Für das Fernsehen ist diese Technik ein
großer Gewinn. Freud hatte sich „nach langem Zögern“ entschlossen, nur zwei Grundtriebe
anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb. Das Ziel des ersten sei, immer größere
Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil,
Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören, “…sein letztes Ziel erscheint, das
Lebende in den anorganischen Zustand zu überführen. Wir heißen ihn darum auch
Todestrieb“ (Freud, 1940 70f). Brauchen diese Triebe, wenn es sie denn gibt, Affekte für Ihre
Umsetzung? Ist das ozeanische Gefühl das Korrelat des Triebes immer größere Einheiten
herzustellen? Was könnte der Gefühlstreibriemen der „Destrudo“ sein? Narzisstische Wut
treibt manche Personen in einen überdauernden Hass. Ist dieser deshalb ein Trieb? (Kernberg
1996, 2001) In diesem Fall wäre es dann eher so, dass der Affekt den Trieb auslöst? (Hanley,
1978). Ersterer stammt aber aus den frühen Objektbeziehungserfahrungen . Die Wut setzt
Verletzungen des kindlichen Narzissmus voraus. Laplanche (1992) macht einen
Kompromissvorschlag. Er meint, dass die Triebe im Kontext der frühen Objektbeziehung
entstehen, die aber um Sexualität und Aggression zentriert sind. Auch Kernberg hat die
Affekte, und die damit verbundenen Objektbeziehungen deren Unterschiedlichkeit er
durchaus würdigt, sekundär in eine Art Urwut und Urliebe mit Triebcharakter gebündelt. In
neuerer Zeit verwendet er für die Erstere auch den Begriff Todestrieb. Nach Freud ist der im
Organismus wirkende Todestrieb, der Ursadismus – mit dem Masochismus identisch ( Freud,
1920). Gibt es ein Gefühl für den Ursadismus? Oder wird er nur über die Externalisierung
spürbar? Die Libido soll ja den Destruktionstrieb partiell unschädlich machen, indem sie ihn
nach Außen ableitet – auf die Motorik und das Objekt. Er zeige sich nun als
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Bemächtigungstrieb (Freud, 1924). Da muss man sich allerdings fragen – unschädlich für
wen? Sicher nicht für das Objekt, gegen den der Trieb sich nun richtet. Einer anderen
Sichtweise auf die ich später eingehen werde folgend, könnte man auch sagen, das Opfer wird
zum Täter und sediert seine unerträglichen Ängste durch eine Identifikation mit dem
ehemaligen Aggressor und eine bewusste Disidentifikation mit sich als dem ehemaligen
Opfer.
Ich selbst halte solche zweiwertigen Klassifikationen für Adultopathomorphisierungen,
(Krause 1998). Darunter versteht man die Übertragung eines im klinischen Umfeld der
Erkrankung von Erwachsenen gefundenen Sachverhaltes in die kindliche Entwicklung. Dass
die destruktiven aber auch destruierten Erwachsenen an einer solchen Zweiteilung der Welt
nachweislich leiden erlaubt keineswegs den Rückschluss dass sie und nicht nur sie, sondern
alle Kinder einmal eine solchermaßen organisierte Entwicklungsphase durchlaufen haben. Im
Übrigen ist die Ubiquität der Zerstörung kein logischer Grund ihr einen Trieb zu unterstellen.
Das gilt für alle Triebdefinitionen. Es muss schon berechtigte Hinweise aus anderen
Erkenntnisfeldern außer der Handlungsanalyse selbst geben um einen Triebprozess
anzunehmen. Sonst sind solche Definitionen tautologisch. Weil etwas endemisch auftritt wird
es ontologisiert. Die Tatsache, dass wir alle früher oder später zu Tode kommen ist kein
Grund, einen Trieb zu postulieren. Wenn es darum ginge, dass wir alle oder zumindest
manche Personen töten wollten, muss man darüber diskutieren. Dann sind wir aber eher im
Umfeld der Aggression. Hier gibt es Evidenzen für einen Trieb, aber die gibt es auch für die
Sexualität, für Informationsverarbeitung (Neugier /Interesse), für Bindung sowie für
appetitives Verhalten. Ich schließe mich Freud ( 1915, 216f ) an, der der Meinung war, dass
die Hinweise für Triebe jenseits der Handlung selbst aus der Biologie kommen müssten. Ich
selbst nehme sie dem gegenwärtigen Stand der Forschung folgend aus der Ethologie und
Neuropsychologie. Die biologische Evidenz für Triebe wäre nach Pankseep (1998), unter
anderem dann gegeben, wenn es festverdrahtete Schaltkreise gäbe, deren Aktivierung ohne
äußere Stimulation das Verhalten auslöst. Sie sollten bei allen sozial lebende Tieren
einschließlich des Menschen zu finden sein und eine funktionelle Anatomie des Gehirns
sowie das Zusammenspiel spezifischer Neurotransmitter einschließen. Mit dieser
Vorgehensweise kommt er zu den vier Systemen die Bindung, Aggression, Flucht und
Inkorporation regulieren. Die entsprechenden Emotionen sind Panik und Trauer mit den
distress-Vokalisierungen bei der Bindung, Wut , Ärger Irritation mit Drohungen aber auch
Angriffen (beißen, kämpfen) bei dem Agressionssystem , Furcht und Angst mit
Totstellverhalten beim Fluchtsystem und Neugier, Hoffnung , Sehnsucht Vorwegnahme beim
appetitiven Inkorporationssystem.( Pankseep 1998, S.53). Diese Taxonomie wird von
Pankseep selbst als unvollständig gesehen. Man kann auch zu anderen allerdings nicht sehr
verschiedenen Einteilungen kommen (Lichtenberg 1989) . Für den Kontext unserer
Untersuchung scheint mir die harten Evidenzen Pankseeps ein guter Einstieg . Wir sollten
davon ausgehen , dass man zumindest mit diesen vier speziesübergreifenden Systemen
rechnen muss, solange es um soziale Lebewesen geht. Die Befunde stammen von Mäusen
Ratten Katzen, Affen sowie eben auch Menschen. In Anlehnung an die Ethologie
(Tinbergen,1972; Eibl-Eibesfeld, 1984) verstehe ich unter Trieben hierarchisch organisierte
Motivationssysteme „in denen Lebewesen unter bestimmten Stimmungen, seien sie nun
durch äußere Reize, innere Ablaufsprozesse oder zeitliche Periodiken ausgelöst, in
organisierte Muster von Verhalten eintreten, die bestimmten Funktionen dienen. Sie zwingen
den Organismus unter die Regie einer durch die Phylogenese definierten Zielerreichung. Die
Umsetzung der Regie geschieht über die Gefühle, die man von außen betrachtet als
Appetenzverhalten und von Innen als eine vorgegebene Sicht der Welt, als protokognitive
Struktur betrachten kann.“ Der von Freud als psychischer Repräsentant des Triebes
beschriebene Reiz, der die Arbeitsanforderungen an das Seelische stellt, ist aus meiner Sicht
der Affekt. (Bischof, 1989; Buck, 2001; Freud 1915, S.14; Kernberg, 1996 ;Krause, 1998;
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Lazarus, 1991; Pankseep, 1998) Dieses System schliesst ein Kommunikationssystem mit ein ,
das es erlaubt die Bedürfnisse, d.h. auch die Objektbeziehungswünsche an sich selbst und an
einen Partner zu signalisieren der diese Signale wahrnimmt. Wir haben der Affektforschung
folgend sieben solcher prototypischen Objektbeziehungen die wir als Primäraffekte
bezeichnet haben beschrieben. Es waren dies Freude, Neugier ,Angst ,Wut, Trauer
,Verachtung, Ekel. Wir haben festgestellt, dass unter bestimmten Umständen und bei
manchen Personen die Appetenzen im scheinbar falschen Triebprogramm auftreten würden
und beispielsweise Angst, Wut oder Ekelgefühle im Umfeld der Sexualität. Freude im Umfeld
der Aggression, Angst im Umfeld der Neugier etc. Normalerweise hätten wir aber eine
„gleichsinnige“ Verbindung zwischen aktiviertem Triebsystem und der Gefühlsappetenz mit
Wut im Aggressionsbereich, Neugier, Freude und Interesse im Appetitiven, Panik und Trauer
im Bindungsbereich sowie Angst im Fluchtsystem . Manche Affekte tauche in mehreren
Programmen auf, dann haben sie allerdings einen unterschiedlichen Kontext, sowohl
neuropsychologisch als auch introspektiv. Dies gilt für Freude im Umfeld der Bindung, aber
auch des Interesses und der Neugier sowie Aggression im Umfeld des appetitiven
stimulussuchenden Verhaltens. Wir werden darüber später genauer berichten. Eine in unserem
Kontext wichtige Form der systemwidrigen Verkoppelung von Appetenz und Trieb besteht im
Prozess der Identifikation mit dem Aggressor (Freud, 1936, 1974). Bei diesem Vorgang
unterwirft sich die Person mit der Angstappetenz dem aggressiven Trieb- und
Motivationsgeschehen desjenigen der die Angst erzeugt. D.h. die innere Landschaft des
Opfers gestaltet sich so, dass der Täter immer auch Retter ist. (Bischof, 1985) „In einer
perfiden Beziehungsfalle qualifiziert sich derjenige, der meinen Autonomieanspruch bricht
und damit mein Sicherheitsbedürfnis hochtreibt (und damit die Angst) zugleich als
nächstliegender Attraktor für dieses Bedürfnis.“ (Bischof, 1985; Seite 463) Der Täter wird
unbewusst zum höchst attraktiven Vertrauten. Das Opfer hat mit einer mächtigen Figur die
intimsten Gefühle ausgetauscht. Viele ehemalige Opfer suchen aus Angst die Nähe der Täter,
um dann im entscheidenden Moment selbst zum Täter zu werden. Nicht jedes ehemalige
Opfer kann einem Seiten- bzw. Identitätswechsel widerstehen, wenn er denn möglich oder gar
erwünscht ist . „Der Knecht hat erstochen den edlen Herrn, der Knecht wäre selber ein Ritter
gern“. (Uhland 2000). Der Knecht hat sich mit dem Herrn identifiziert. Es ist aber zu
befürchten, dass der Herr so edel nicht war, und der mordende ehemalige Knecht als Herr
noch schlimmer geworden wäre, wäre er nicht mit seiner gestohlenen Rüstung in den Fluss
gestürzt. Jede Form des Edlen geht teilweise auf Kosten der Knechte. Verlassen durfte er den
edlen Herrn ja nicht, er war „leibeigen“. Was bleibt ihm übrig, als den Herrn zu lieben, wenn
man ihn denn nicht erstechen kann. Wir werden später diskutieren müssen, ob die beiden
prototypischen Formen der Destruktionsbereiten, die paranoiden und die narzisstischen
Persönlichkeiten nicht temporäre Identifikationsformen mit Tätern bzw. Opfern darstellen.
Alle Täter aus narzisstischen Gründen müssen zu Recht paranoid werden. Alle narzisstisch
verletzten Opfer dürsten nach Rache und Täterschaft. Die Membran zwischen den
introjektiven Zuständen ist permeabel. Kernberg meint der maligne Narzissmus sei das
überdauernde Kondensat der beiden Zustände. Wir werden sehen.
Siegt die Liebe über den Tod?
Diesem unbewussten Geschehen der Identifikation mit dem Aggressor folgend hat der
Todestrieb, wenn auch auf verquere Art, scheinbar in der Liebe seinen Meister gefunden. Das
Opfer liebt den Täter. Balint hat die Eigenständigkeit eines Todestriebs schon 1952 wortreich
abgelehnt und der Liebe den Vorrang eingeräumt. Für ihn ist „Hass das letzte Überbleibsel,
die Verleugnung von und die Abwehr gegen die primitive Objektliebe“ (Balint 1952, Seite
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357). Auch in der Klinik ist nicht zu übersehen, dass die Triebe nicht dualistisch aufgeteilt
werden können. Auch wenn es einem nicht gefällt muss man feststellen, dass im Auftrag der
Liebe die schrecklichsten Untaten geschehen können. Eifersucht aber auch Neid als Derivat
der Liebe kann zu Hass, Ressentiment und Mord treiben. So hatte Balint den Primat der Liebe
sogar begründet, denn „wir hassen die Menschen die uns, obwohl sie so wichtig für uns sind,
nicht lieben trotz unserer größten Anstrengungen, sie zu gewinnen“ (Balint 1952, S. 357) Das
Zentrale ist hier die primitive Objektabhängigkeit, die dem Objekt kein eigenes Leben
erlauben kann. Wie wir später sehen werden, ist die gefühlsmäßige Reaktion auf diese
Zurückweisung Scham – Wut, (Shame – Rage) und wie wir wissen, dienen die
allerschlimmsten Formen der Zerstörung oft dem vergeblichen Versuch, die „Würde “
wiederherzustellen. Man kann das auch in Termini des Selbstwerterhaltes als narzisstische
Wut beschreiben. Da die wirklichen Zerstörungen aber in Gruppen betrieben werden, ist es
besser den Ehrbegriff zu verwenden, denn die Gruppe definiert die sozial anerkannten
selbstwertrelevanten Überichinhalte und Gefühlsnormen. Ein Mann der Oberschicht des 18.
Jahrhunderts, der seine ihn betrügende Frau „im Affekt“ tötete war straffrei, weil die affektive
Tendenz zur Wiederherstellung der Ehre als unüberwindbar galt und deshalb die
Affekthandlung nicht nur erlaubte sondern erzwang. Eifersucht galt als die männliche
Emotion par excellence. Im Laufe der viktorianischen Zeit verwandelte sich mit vielen
anderen sozialen und arbeitsweltlichen Dingen die Eifersucht in eine typisch weibliche
Emotion und einen Hinderungsgrund für die wahre selbstlose Liebe ( Stearns, 1993). Das ist
wohl bis heute im Alltagsverständnis der Emotionen so geblieben. Die Emotionen haben eine
normative soziale Seite und daher Täuschungs- und Warencharakter. „I owe you a life“, sagt
der gerettete Indianer zu seinem Retter. „Ich schulde Dir Ehre, Achtung, Trauer, Freude…“
sind Metaphern für diese elementaren Tauschhandlungen die im Umfeld von Emotionen
auftauchen. (Hochschild, 1988).
Liebe, meint Balint sei breiter angelegt als Hass, weil letzterer noch die Verleugnung der
Abhängigkeit einschließe. Wir könnten nur Objekte hassen, von denen wir abhängig sind.
Kernberg (1996) glaubt nicht an die Ausschliesslichkeit der Aggression als Derivat der
Frustration von Liebesbedürfnissen. Er hält die Fähigkeit für Hass für angeboren ( Seite 285).
So stellt sich allerdings die Alternative nicht. Bis anhin habe ich noch keinen Autor gefunden,
der an der biologischen Herkunft der Fähigkeit zur Aggression gezweifelt hätte. Die Frage ist,
ob es prototypische Auslöser aber auch Hemmungsmechanismen für die Hassaggression gibt.
Auch Kernberg stellt fest, dass Hass und Liebe ausgelöst und entwickelt werden muss. Die
Hassaggression die scheinbar grundlos, gewissermaßen triebgesteuert zerstört hat bei näherem
Hinsehen doch einen Grund. Ihre Protagonisten tun dies, weil nichts für sie bedeutsam ist und
damit handkehrum auch sie selbst keine Bedeutung haben, denn es gibt niemanden mehr der
sie bestätigen könnte. Ohne Relevanz gibt es natürlich auch keine Abhängigkeit, man macht
sich nur von Objekten abhängig, die man bewundert und braucht, und sei es für den eigenen
Narzissmus. Aber ist völlige Unabhängigkeit nicht der psychische Tod? Der beste Prädiktor
für einen erneuten Suizidversuch ist das Fehlen von Affekten im Gesicht auf die Frage, ob Sie
es wieder tun werden und wie sie sich fühlen (Lessko, Heller & Haynal 1992). Von daher
betrachtet wäre der „Todestrieb“ wirklich stumm. Eine andere Metapher könnte lauten, dass
die schwerste aller Störungen der vollständige Verlust an Besetzung ist. Der äußert sich
messbar im Verlust der sozialen Affekte auch und vor allem im Gesicht. Dieser von Spitz
(1965, S.283) nach drei Monaten schwerer Deprivation als Dauererscheinung beschriebene
starre Gesichtsausdruck wird von manchen Patienten bis ins Erwachsenenalter beibehalten
und ist dort Zeichen einer niedrigen Struktur (Schulz, 2001) im Sinne der Operationalisierten
Psychodynamischen Diagnostik. Niedrige Struktur heißt aber auch ein Agiersyndrom wegen
des Fehlens einer reflexiven Innenwelt. Neben der Somatisierung ist eine Form des Agierens
die direkte Zerstörung des Anderen oder des Selbst. Die antisoziale Persönlichkeit als eine
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Manifestation des vollständigen Besetzungsentzuges ohne offene psychotische Symptomatik
könnte nach Kernberg (2001) hier verortet werden.
Der Suizidversuch könnte vor diesem Hintergrund als ein Agieren verstanden werden, weil
alle Selbst- und Fremdtröstungsfunktionen und somit auch die Liebe ihren Dienst versagt
haben. Tatsächlich haben die Depressiven als Kontrollgruppe, die keinen neuen Versuch
macht, noch reichhaltige wenn auch negative Affekte im Gesicht. All dies spricht allerdings
nicht für den Todestrieb, sondern für das Fehlen des Lebenstriebes bzw. –gefühls.
Die Lebenstriebe und –gefühle: Liebe, Sexualität und Freude.
Was könnte die Appetenz der Lebenstriebe sein. Das ozeanische Gefühl, das biblische
Erkennen als Zugehörigkeitsgefühl zu einer lebensfördernden Objektwelt (Krause 1998), die
Liebe oder bescheidenere Dinge wie die Freude, die Neugier und das Interesse? Es gibt ja
offensichtlich so etwas wie Lebensfreude und deren Fehlen die Anhedonie. Im allgemeinen
sind wir getrieben am Leben zu bleiben. Gibt es deshalb einen Trieb im ontologischen Sinn
den man Libido nennen kann. Freud hat die Sexualität als eine Manifestationsform des Eros in
den Kampf geschickt. Das ist in mancher Hinsicht richtig und muss gewürdigt werden. Wo
aber ist die Appetenz der Sexualität. Bevor man Sex hat, muss man im allgemeinen verführen.
Geschieht dies nicht, ist er in den Kontext der Herrschaft, des Bemächtigungstriebs
eingebettet. Verführung beschwichtigt, bindet. Die genitale Sexualität setzt die Aktivierung
der Partialtriebe des oralen Zeitalters voraus. Was sind nun die Gefühle dieses Zeitalters und
dieser Vorlust? Einer der Hauptkandidaten ist die „Freude“. Weit davon entfernt,
vorwiegende Folge der Abwesenheit von Spannung zu sein ist Freude angeboren. Die ersten
Formen des Lachens tauchen während des Schlafes in der REM – Phase der Kinder vor dem 2.
Lebensmonat auf. Während 11 von 100 Minuten Remschlaf taucht dieses frühe endogene
Lachen auch bei Microcephalikindern auf. Es ist begleitet von einer Aktivierung des
Herzschlages und der Motorik. Das REM – Lachen wird vom Mittelhirn (Mesencephalon)
und den unteren Regionen des Diencephalon gesteuert (Emde, 1992; S. 9). Wenn das Lachen
nicht mehr gar so endogen ist und das Kleinkind beginnt, den anderen wahrzunehmen, ist es
die Urform jeder Form von Reziprozität und des Tausches, den wir später für so wichtig
erklären werden. Die Eltern freuen sich auf das Lachen und bis zum Alter von 6 Monaten gibt
es unter normalen Umständen bis zu 30.000 solcher Lächelbegegnungen, vorausgesetzt die
Mutter hat das Lachen nicht verlernt oder nie benutzen können. Malatesta und Haviland
(1982) konnten zeigen, dass Mütter im allgemeinen solche Affekte „imitieren“ und die Kinder
aktiv mit einem Hof von Freude umgeben. Das prägt messbar. Malatesta et. al (1986) fanden,
dass die Kontingenz der mütterlichen Reaktionen auf die Affekte des Kindes im Alter von 2½
Monaten einen Anstieg von Expressivität und Freude im Alter von 7½ Monaten vorhersagen
konnte. Gergely & Watson (1996) haben das näher untersucht und eine sehr feinsinnige
Theorie über den Aufbau der Innenwelt geschaffen, die sich an den verschiedenen dyadischen
affektiven Mustern orientierten. Es sind dies keine Affektansteckungen sondern Dialoge. In
unserem Zusammenhang könnte man sagen, die Freude sei einer der zentralen Affekte des
Eros. Mit jedem der 30.000 Lachbegegnungen wächst ein Stück Wissen, dass das entstehende
Selbst die Quelle der mütterlichen Freude ist. Das Kind weiß nun, dass es für die anderen ein
Geschenk ist. Dieses Wissen ist Gift für den Ekel, die Verachtung und den Hass. Wer es nicht
hat, aber weiß das es andere haben, muss hassen, sich ekeln oder verachten. Vor diesem
Hintergrund sind diese toxischen Affekte ein Copingversuch, mit der Unerreichbarkeit der
Liebe fertig zu werden. So sieht dies zumindest Wurmser (1993), aber auch Daniel Stern.
Dafür gibt es auch nichtklinische Evidenzen. Wenn man also die Destruktion verstehen will,
muss man die Freudlosigkeit kennen.
Über die Freudlosigkeit
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„It has been said that there is not much Freude (German for joy) in Freud`s psychoanalytic
psychology”, schreibt Emde 1992. Heisterkamp (1999, 2000) hat dies empirisch für die
Fallberichte und Theorieschriften nicht nur der deutschen Psychoanalytiker bestätigt. Meine
Arbeiten stellten eine der wenigen Ausnahmen dar. Er hat bei mir immerhin 19 Hinweise auf
die Freude im Stichwortregister gefunden. Seitenmässig ist es noch viel mehr. Das habe ich
mir nicht als neue Theorie ausgedacht, sondern es ist der Niederschlag der empirischen
Forschung. In Therapien wird gelacht – auch in Psychoanalysen (Krause 1997, 1998). Das ist
nicht immer von Vorteil, aber oft (Merten 2001). Während meiner Berufstätigkeit als
Forscher und Therapeut in den USA von 1976 bis 1978 habe ich viele Psychotherapieschulen
kennengelernt. Dabei musste ich feststellen, wie tief die Verleugnung der Freude in die
Identitätsbildung der Analytiker eingebaut war und ist. Ich fand eine Valorisierung des
Leidens im Umfeld von Einsichtsprozessen, die dem analytischen Prozess nicht gerecht wird
(Krause, 1979). Ich habe dies die Leidensapologie der Psychoanalyse genannt. Heisterkamp
spricht im Umfeld der von ihm analysierten Fallgeschichten von Heiligenlegenden, in dem
der Analytiker durch die in ihn projizierten Leiden den Patienten erlöst, nachdem er den
Dreck vorher verdaut (neudeutsch contained) und entsorgt hat (wohin?). Auch in der Analyse
ist es so, dass die zerstörerischen Affekte nur durch die komplementären Affekte aufgehalten
werden können. Das beste Gegengift gegen das Leiden des Patienten ist die Freude des
Analytikers. Wenn sich Depressive treffen wollen, gehen sie zu den anonymen Emotionalen.
Die Erfolge dieser Treffen sind gering und bis anhin ist noch niemandem eingefallen, das zu
bezahlen. Wann man die Freude zeigt, ist allerdings eine Frage der adaptiven Indikation. Bei
dependenten Patientinnen mit Panikattacken beispielsweise ist dies wohl eher eine Form der
unbewussten Gegenübertragungs-Abwehr. Aber dort zeigen ja auch die Patientinnen aus
Abwehrgründen schon an den Stellen Freude, wo sie unbewusst Angst vor dem Verlassen
werden haben. ( Benecke , Merten & Krause 2001)
Über die Schadenfreude
Diese einfache Zuordnung der Freude zum Eros ist offensichtlich nicht haltbar, manchmal
dient sie wie beschrieben der Handhabung der Bindungsangst oder sie ist phylo- und
aktualgenetisch eng mit Aggression verbunden (Andrew, 1979). Die nachweislich sichersten
Lacher bekommt man in Filmen, wenn man dem Protagonisten etwas passieren lässt. Oft ist
es „freudevoll – lustig“, eines anderen Missgeschick betrachten zu können. In einer
Mimikanalyse der Reaktionen von Zuschauern auf einen Filmclip aus einem slapstick von
Jerry Lewis, in dem er einer Ringerin mit Schuhgröße 43 auf deren Wunsch Pumps in der
Größe 38 anzuziehen versucht, um anschließend von ihr ob der Vergeblichkeit dieses
Unterfangens misshandelt zu werden (Sie springt dem auf dem Rücken liegenden Lewis auf
die Brust), konnte keine einzige der Versuchspersonen zumindest Elemente von Freude
unterdrücken. (Kessler & Schubert 1989). Eigentlich mussten alle mimisch lachen,
gleichgültig was sie von solchen Filmen hielten.
Was ist so zwingend an diesen Szenen? Sicher ist die szenische Umkehrung des
Geschlechterstereotyps mit einem kleinen angstvoll beschwichtigenden Mann und einer im
wahrsten Sinne phallischen Frau „witzig“. Es könnte eine stellvertretende Aggression sein,
wie sie Freud in der Arbeit zum Witz beschrieben hat. Es war sicher immer lustig, wenn
Statushohe von Statusniedrigen Schläge bekamen, der Polizist vom Kasper, der böse Mann
vom Kind, der böse Mann von der Frau, der Offizier vom Soldaten, der Reiche vom Armen.
Es könnte aber auch das schon beschriebene Schema der Identifikation mit der Täterin sein
und eine erleichternde Disidentifikation mit dem Opfer. Pankseep (1998) macht geltend, dass
bei den Raubtieren die Beuteaggression – die mit der Jagd verbunden ist – eindeutig mit
Freude, Neugier, kurzum dem Appetiven System“ verbunden ist. Zu dieser Schlussfolgerung
kommt er auf Grund der neuroanatomisch feststellbaren Schaltungen und der Art der
ausgeschütteten Neurotransmitter, die samt und sonders mit positiven Gefühlen verbunden
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sind. Diese Schaltungen scheinen auch bei uns in gleicher Weise zu funktionieren. Wenn ein
solch von positiven Gefühlen getragenes intentionales Geschehen gestört wird, kommt es zu
Frustration und Aggression.
Wenn man Leute – die auf Beutejagd sind – stört, wird man leicht selbst zur Beute, wenn man
nicht lustvoll teilnimmt. Er sieht auf Grund seiner Analysen der Funktionsabläufe im Gehirn
des Menschen, aber auch auf Grund von Tierversuchen keinen Grund, an der Wirksamkeit
dieses Systems für uns Menschen zu zweifeln . Ich auch nicht. Sofsky (1996), der Kenner der
Soziologie der Destruktion hat sich über den psychologischen Anteil dieses Geschehens wie
folgt geäußert:
„Nachdem die Menschen den Zustand des Wildbeutertums verlassen haben, hetzen sie nicht
mehr Mammuts, Bären, Bisons oder Wildpferde, sondern andere Menschen. … Die
Verfolgung des Artgenossen gehört zu den Grundmustern der Kulturgeschichte, bis zum
heutigen Tag“ (S. 156). Die Evidenzen sind überwältigend. In dem wohl authentischsten Buch
über den modernen Krieg von Herr (1977) nennt einer der Helikopter-Jagdflieger des
Vietnamkrieges das Kämpfen Flugsport, um es mit Begeisterung wie folgt zu beschreiben.
„Es gibt nichts Größeres, du bist da oben in zweitausend ..( Fuß), Du bist Gott, nun machst
Du die Hosen auf und siehst zu, wie du pisst, und diesen Schleim an die Spielwand nagelst, es
gibt nichts besseres, zweimal zurück und Du hast das Renntier“ (S. 56). Rouche (1999) stellt
in der Kulturgeschichte des Alltags fest. dass „Gewalt im frühen Mittelalter weit verbreitet
war … Aggression war die Regel“. Die weisen Väter des salischen Rechts zählten eine ganze
Litanei von Strafen für zugefügte Verletzungen auf, die nicht im Mord gipfelten. Auf Mord
stand das sogenannte Wehrgeld, die Entschädigung für das Töten eines Menschen. Die
Bewertung der Morde war nach dem sozialen Status gestaffelt: Franken waren so teuer wie
Römer; Edle, Freie viel teurer als solche von niedrigem Stand. Gezielte Körperverletzung,
z.B. die Zunge oder den Zeigefinger für Pfeil und Bogen abzuschneiden war teuerer als Mord.
Diebe wurden gehängt, Mörder bekamen eine Geldstrafe. (Rouche, 1999; S. 469 ff.) Der
Grund für die Tolerierung des Mordens lag darin, dass die Familien ihre Sippengenossen
rächen mussten, weil es sonst keiner tat. Im Rahmen dieser Fehden wurden die in der
Erziehung stets geförderte lustvolle Jagd- und Beuteaggression mobilisiert. Rouche macht
geltend, dass die überbordende Gewalt mit deren Privatisierung zusammenhing, dergestalt,
dass die hohen individuellen Mordraten mit dem Verzicht auf das Gewaltmonopol der
übergeordneten Autorität zusammenhinge. In den USA, aber auch Frankreich gehen die
Schüler schwer bewaffnet in den Unterricht mit der durchaus berechtigten Begründung,
niemand schütze sie vor den ebenfalls bewaffneten Mitschülern. Das wirft die Frage nach der
Förderung bzw. Steuerung der Erziehung der Beuteaggression auf. Fast alle Videospiele
mobilisieren lustvolle Beuteaggression. Die Affektforscher im Umfeld der
Medienpsychologie meinen einen Hunger auch nach „negativen“ Affekten (Buck 1988)
gefunden zu haben. Wir suchen die Angst, den Grusel, die Verachtung und den Zorn in der
reality- show und im Spiel. „Real- life- Formate bieten eine ideale Gratifikationsgrundlage für
die Mischung aus Bewunderung und Neid, die die wechselnde Identifikation mit dem
Aggressor und dem Opfer beinhalten…. Die vielen underdogs auf dem Bildschirm vermitteln
den vielen underdogs vor dem Bildschirm einerseits die Fiktion auch sie selbst könnten
wenigstens für eine Stunde berühmt sein. Stellen sich die unerdogs auf dem Bildschirm, wie
etwa Sladdy dann auch noch als überraschend gewitzt heraus werden sie für eine Weile zur
Kultfigur stilisiert. Die positive narzißtische Identifikation mit ihnen setzt ein. Erweisen sie
sich hingegen als das, was sie wirklich sind, nämlich als Verlierer im Leben und Opfer im
Fernsehen, dann straft sie das Publikum im Saal mit johlender Verachtung, stellvertretend für
die Geringschätzung der Bedeutungslosen draußen vor den Fernsehgeräten. So bleibt man
selbst immer auf der Seite der Sieger“ (Winterhoff- Spurk, 2001, S.6).
Wie bereits erwähnt haben Gefühle Tausch- und Warencharakter .Man schuldet jemandem
Dankbarkeit, aber auch Rache. Wenn das Rachemonopol nicht beim Herrn („Mein ist die
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Rache, spricht der Herr“), der Kirche, dem Staat und nicht dem pater potestas liegt, wird sie in
kleinere Gruppen gebunden oder individualisiert? Sofsky sieht im Anschluß an Freud (1921)
hier das Menschheitsdilemma. Die Monopolisierung der Gewalt senkt die Gewaltrate, steigert
aber die Frustration, so dass die periodischen Gruppenemotionen die individuelle Gewalt an
Rache und Heftigkeit übersteigern.
Die Destruktionsgefühle: Hass, Wut, Scham und Ekel
Gehen wir nun zu den der Destruktion zugeordneten Gefühlen. Der Hauptkandidat wäre, wie
oben schon oft erwähnt, der Hass. Aber er ist ein kompliziertes Endprodukt vieler
vorauslaufender emotionaler und kognitiver Prozesse (Kernberg. 1996). Viele davon sind
unbewusst. Man kann jemanden hassen, der einen verraten hat, den man als überwältigend
erlebt, der mehr hat als man selbst, der klüger und schöner, reicher ist. Die möglichen Gründe
für die Entwicklung von Hass sind gerade im Bereich der psychischen Störungen wenig
begrenzt.
Über die Wut
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich als Einstieg eine Analyse des Ärgers und der Wut,
weil sie besser untersucht und verstanden sind. Die Wut aktiviert ein ziemlich umrissenes
mimisches Muster, das metaphorisch als finster bezeichnet wird. Dieser Eindruck kommt
dadurch zustande, dass die Augen scheinbar in den Höhlen verschwinden, weil der Abstand
zwischen Brauen und Lid durch die Aktivierung des depressor glabaelle verkürzt wird.
Gleichzeitig wird die Augenweitung durch die Anspannung des inneren Ringmuskels um die
Augen verringert, was den stechenden Blick gibt. Ein Zusammenpressen der Lippen wird
manchmal beobachtet, manchmal eine Öffnung des Mundes mit einer Vokalisierung und
einem Zeigen der Zähne (Ekman & Friesen 1975). Was die Stimme betrifft, ist die
Lautstärkenvariation wie bei der Furcht, der Langeweile und dem Ekel gering, aber der
Mittelwert liegt hoch, das Tempo ist hoch, Obertöne fehlen gänzlich, was der Stimme
ebenfalls etwas stechendes gibt. Das Geschehen ist atonal. Mit einem, ein Bild eines
hochkonzentrierten, hochenergetischen Prozesses, der einen Fokus hat und alles überflüssige
weglässt (Goldbeck, Tolkmitt & Scherer, 1988). Das ist noch nicht notwendigerweise
gefährlich. Tatsächlich hat Parens (1991) in seinen systematischen Beobachtungen von 15
Kindern über im Durchschnitt 4 ein halb Jahre Ärger ähnliche Zeichen vor allem in den
folgenden Kontexten gefunden. „Die 3 ½ Monate alte Jane versucht beim Füttern den Löffel,
den die Mutter in Ihren Mund gesteckt hat, zu kontrollieren. Dabei macht sie große
Anstrengungen, sich selbst zu füttern… die sensomotorische Anstrengung ist im Gesicht
sichtbar und man hört bald vokale Korrelate der Anstrengung. Ein großer intentionaler Druck
kann aus der Art wie sie arbeitet erschlossen werden: „… Auffallend ist der intensive Affekt,
die Innengesteuertheit des Geschehens“ (S. 77). Er nennt dieses Verhalten „nondestructive
aggression“ im Gegensatz zu drei anderen Formen, auf die wir später zu sprechen kommen.
Oster (1978) konnte in sehr sorgfältigen Videoanalysen von Babys dieser Altersgruppe
zeigen, dass auch die Informationsverarbeitung diesem Arbeitsmodell folgt und mit allen
Zeichen von Ärger einhergeht um dann, wenn es gelungen ist das Objekt zu identifizieren,
Freude Platz zu machen. Diese Ärgermanifestationen decken sich mit der kulturinvarianten
kognitiven Struktur von Ärger. In 29 Ländern – von Malawi bis zur Schweiz – gaben alle
Personen an, dass Ärger durch unerwartete, behindernde, unangemessene oder
„unmoralische“ Ereignisse ausgelöst wird. Im allgemeinen wird das behindernde Objekt
außen wahrgenommen. Wenn die Situation sich ändert, zum Beispiel weil das behindernde
Objekt die Intention frei gibt, verschwindet der Ärger und macht der Freude Platz. (Gehm und
Scherer, 1988; S. 72) Häufig ist das bloße Zeigen von Ärger schon mehr als genug, um die
blockierte Intentionalität freizumachen. Camras (1977) konnte an 72 Paaren von
Kindergartenkindern, die um eine knappe Ressource streiten mussten – es handelte sich um
10
einen Hamster auf einer Drehscheibe – zeigen, dass diejenigen, die den oben beschriebenen
finsteren Blick systematisch, aber unbewusst benutzten – operationalisiert als Innervation des
depressor glabaelle – das Tier viel länger und öfter hatten, während die Empfänger des Blicks
„relativ zögerlich waren, dem sich Ausdrückenden das Objekt wegzunehmen“ (S. 1431). Ich
hatte eine Patientin, deren Intentionalität von ihrer Mutter systematisch vernichtet wurde, die
mir mit Grauen erzählte, dass die letztere die Angewohnheit hatte, ihr die depressor glabellae
Innervationen mit dem Finger und der Bemerkung „Kind Du bekommst Falten“ glatt zu
bügeln. Eine einfache aber wirksame Form der operanten Konditionierung der an den Ärger
gebundenen Intentionalität. Die sogenannte Frustrations–Aggressions-Hypothese ist hier
einzubinden. Pankseep fragt sich nach einer sorgfältigen Analyse der kohärenten empirischen
Befundlage, ob denn Frustration überhaupt hinreichend von Ärger getrennt werden kann. Von
der neuropsychologischen Seite ist das emotionale Gefühl der Frustration eine milde
Aktivierung des neuronalen Wutnetzwerkes. (Pankseep, 1998; S. 192) Die hohe
Übereinstimmung in der Literatur kommt also daher, dass man das gleiche gemessen hat. Für
die soziale Interaktion liegen allerdings zwischen der Frustration und der vollen Aktivierung
von Wut Welten. Im ersten Fall kann sich die Sache durch die Verwendung des Zeichens, wie
in der Untersuchung von Camras (1977), selbst erledigen. Dies ist in der Mehrzahl der Fälle
so. Der Affekt ist in diesem Falle nichts anderes als eine nachhaltige Erklärung, an einer
Intention festzuhalten. Dazu muss man aber Intentionen haben. Übrigens gilt die
Kulturinvarianz der kognitiven Struktur von Emotionen nicht nur für den Ärger, sondern auch
für eine ganze Reihe anderer Emotionen, so dass man hier „die somatisch geronnen und auf
dem Vererbungswege unveränderlich von Generationen zu Generationen weitergegebenen
Spuren von Umweltereignissen und sozialen Handlungen findet, die in grauer Vorzeit in der
Außenwelt stattgefunden haben“ (Grubrich – Simitis, 1987; S. 1007 ). Dazu braucht man kein
Lamarkistisches Modell. Es reicht die Annahme, dass die Entwicklung von artspezifischen
expressiven Zeichen sich auf eine signifikante koevolvierte Bedeutungswelt beziehen muss
(Uexküll & von Wesiak, 1996). Diese koevolvierte Bedeutungswelt sind die prototypischen
Objektbeziehungen, die sich für uns Menschen als von großer Bedeutung herausgestellt
haben. Bei den Emotionsforschern wie Lazarus (1991) werden sie „primary appraisals“ oder
Kernbeziehungsthemen genannt. Bei Kernberg sind sie prototypische Objektbeziehungen. Mit
jeder Emotion wird eine solche phylogenetische vorgegebene protokognitive Struktur
mobilisiert. Für Ärger lautet das Kernbeziehungsthema „eine schwerwiegende Attacke gegen
mich und die Meinen“.
Klappt das mit dem Austausch von Ärgerzeichen aus welchen Gründen auch immer nicht,
muss früher oder später gekämpft werden und nun gibt es Verletzungen. Ich will nicht
abstreiten, dass das Zeigen von Ärger eine seelische Verletzung für den anderen bedeuten
kann, aber ohne Frustration und Ärger gibt es keine Intentionalität. Das bloße Fernhalten
konfligierender Intentionen erfordert Frustration und Frustrationstoleranz. Ärger ist also
unverzichtbar für die seelische Gesundheit. Wer ihn nicht mobilisieren kann bekommt auf die
Schnauze, oder er wird nach Innen gerichtet („innerdirected“ wie es in der FrustrationsAgressions-Literatur hieß.) Über die fehlenden Ärgersignale bei manchen
Autoimmunerkrankungen ist schon viel geforscht und spekuliert worden. (LeShan 1982) Die
oben erwähnte Patientin hatte ein Karzinom, das in ihrer inneren Welt genau so schamlos
spazieren ging, wie sie Ihre Mutter erlebte, die ihre Intentionen in das Kind verpflanzt hatte.
Populärpsychologische Ratgeber für Frauen, die angeblich zu viel lieben, sind eigentlich
Handanweisungen für einen stärkeren Gebrauch der assertiven Wut (Norwood 1996). Ohne
sie ist ein zielführendes Handeln nicht möglich. Die Verteidigung der wesentlichen
Intentionen braucht als Vehikel manchmal ein großes Ausmaß dieser Emotion. Es gibt einen
heiligen Zorn der vorgibt, vor der Zerstörung zu schützen. Manchmal tut er dies auch.
Eindeutiger Ärger erspart schon bei Primaten, aber auch Kindern oft viel Zerstörung, weil er
die Situation so klärt, dass es zu wirklichen Kämpfen nicht mehr kommen muss (Kummer,
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1973). Ohne ein gewisses Ausmaß an „Aggression“ ist die Aktualgenese der Liebe ebenfalls
nicht möglich. Das nicht Zielführende des Kinder- und Kuschelsexs liegt wohl im Verzicht
auf diesen eben doch notwendigen Anteil an Aggression. An dieser Form des Affekts liegt die
Zerstörungskraft nicht. Sie schützt vor narzisstischen Verletzungen.
Über die Scham- Wut
Überdauernde narzisstische Verletzungen sind wie oben beschrieben in eine Scham–WutKonstellation eingebettet, die wesentlich gefährlicher scheint. Die Risikofaktoren zur
Beziehungsgewalt sind fast deckungsgleich mit den Symptomen einer narzisstischen
Persönlichkeitsstörung. Hockenberry (1995) gibt in seinem Überblick für Männer, die zu
Beziehungsgewalt neigen folgende Merkmale an: niedriges Selbstkonzept, schwache
Empathie, Gefühle von Hilflosigkeit, Machtlosigkeit, Unangemessenheit, eine Neigung zu
Hass und Wut, ein unangemessenes Bedürfnis Partner als Besitz zu kontrollieren, ein
schwerer Annäherungs-Vermeidungskonflikt gegenüber Intimitäts- und
Abhängigkeitswünschen, rigide Attitüden vor allem in Geschlechtsdefinitionsfragen, ein
ressentimentgeladenes Gefühl alles bekommen zu müssen, eine Tendenz Misserfolge zu
externalisieren und eine Überempfindlichkeit gegenüber Scham und Demütigung. Wir wissen
heute, dass Scham verglichen mit Ärger der bei weitem toxischere Affekt ist. Dies gilt
besonders im Umfeld der gewalttätigen Destruktion (Lewis 1974, 1987, Seidler 1995). Die
Vermeidung von Scham ist ein sehr mächtiges Regulierungsgeschehen. Es gibt einen
Konsens, dass die Entwicklung späterer narzisstischer Pathologien durch chronische
Schamerfahrungen am besten vorhergesagt werden können (Hockenberry 1995). Wir glauben
der Vorläufer der erwachsenen Schaminduktion sei in der Verweigerung des Blickkontaktes
mit dem Kleinkind zu finden (Tomkins, 1963). Das nicht Erkanntwerden ist die Urform einer
jeden Identitätsstörung und damit auch der Notwendigkeit für eine narzisstische Regulation.
Das Fehlen des liebevollen Blicks einer verinnerlichten Idealität bildet sich erlebnismäßig als
Schamgefühl ab. Schamgefühle sind so betrachtet das Gegenteil des liebenden Erkennens.
Motorisch expressiv ist dieser Affekt begleitet von einem Versuch, den Sitz der Identität, das
Gesicht sowie den ganzen Körper dem Scheinwerferlicht der inneren Blicke zu entziehen. Das
Gesicht zu verlieren ist also in diesem Umfeld durchaus wörtlich zu verstehen. Lang
andauernde chronische Schamgefühle sind von hoher Toxizität für das psychische System und
bei weitem schwerer zu handhaben als beispielsweise Schuldgefühle, so dass wir in der Klinik
einen Drift finden, dass Personen, die unter chronischen Schamgefühlen leiden, versuchen sie
in Schuldgefühle zu verwandeln. Das fällt dem chronisch Beschämten oft leicht, weil außer zu
Lieben einer der wenigen Möglichkeiten, chronische Schamgefühle wenigsten temporär zu
mindern, darin besteht, in einem Anfall narzisstischer Wut das Ideal bzw. idealisierte Objekt
zu zerstören. Die möglicherweise folgenden Schuldgefühle als Niederschlag des Gewissens
und nicht des Ich-Ideals sind leichter handbar, weil sich das Selbst vom Opfer zum Täter
verwandelt und später Buße tun kann, was ebenfalls ein aktiver Prozess ist. Eine forcierte
Selbstdarstellung als ideale Person ist in diesem Umfeld defensiver Natur. Die Idealisierung
der eigenen Person beispielsweise als Krieger oder Tugendwächter dient dazu, chronische
Scham- und Unwertgefühle fern zu halten. In der defensiven Selbstsicht dieses Typus von
narzisstisch Gedemütigten ist das utopische Projekt der Idealität in seiner eigenen Person in
Erfüllung gegangen. Die Aufrechterhaltung dieser Phantasie ist ohne Projektionsfläche für das
abgewehrte Schamvolle nicht aufrecht zu erhalten. In bestimmten, meist auch politisch
regressiven Umständen gelingt es diesen Personen, eine Klientel von ebenfalls Gedemütigten
in ihr phantasmatisches System einzubeziehen. Im allgemeinen sind dies nicht die wirklich
Entrechteten, die um ihre Freiheit und ihr Leben kämpfen, sondern diejenigen die glauben,
einen Rechtsanspruch auf eine verloren gegangene Größe, die ihnen meist durch Verrat
genommen wurde zu haben. Die Gedemütigten werden von ihrem Führer in diesem Glauben
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bestärkt, es werden ihnen nun soziale politische und psychologische Bedingungen
vorgegaukelt, die sie nur zu gerne als wahr annehmen (Chasseguet – Smirgel 1981, Kernberg
2001) Beschreibungen solcher Vorgänge liegen vor für den Nationalsozialismus und die
kommunistischen Heilsideeen und ihre Realisierungen (Malia 1994), für den Massensuizid
der People of God und ihres gottähnlichen Führers James Brown in Guayana vor. Über die
unheilvolle Verknüpfung der unbewussten Phantasmen der Führer und der Gefolgsleute
haben unter anderem Freud (1921) und Kernberg (2001) ausführlich berichtet. Letzterer
unterscheidet drei Gruppen von Regressionen die er als narzisstisch, paranoid und primitiv
ödipal als Abwehr gegen die beiden ersten bezeichnet. Allen gemeinsam ist, dass Führer und
Gefolgsleute sind in ihren schweren Regressionen destruktiv und suizidal sind und eine
schwere Abneigung gegen Personen entwickeln die sich der Regression entziehen. Eines der
wesentlichen Ziele ist die Aufhebung der Scham durch die Wiedervereinigung mit dem
idealisierten Objekt. Dies kann durch Betrug und Destruktion geschehen. Verbunden sind sie
in der für die apokalyptischen Erlösungsphantasien typischen Abfolge:

  • Zerstörung der Welt und Einebnung aller Unterschiede im Akt der Zerstörung.
  • Wiederkehr des idealisierten Objektes
  • Fusionierung der erwählten Beschämten mit dem idealisierten Objekt und endgültige
    Verstoßung der Verdammten.
    Die schwersten Formen der Gewalt gegen andere, stellt sich dar als Versuch der Selbst- und
    Fremdzerstörung als Flucht vor einem hassenden und gehassten Introjekt (Kernberg 2001, 3).
    Kernberg sieht sie als pathologische Verdichtung des narzißtischen und des paranoiden
    Funktionstypus gesehen. Ich meine, dass sie temporäre Identifikationsformen mit Tätern
    bzw. Opfern darstellen. Alle aus narzisstischen Gründen zu Täter gewordenen müssen zu
    Recht paranoid werden. Alle narzisstisch verletzten Opfer dürsten nach Rache und
    Täterschaft. Die Membran zwischen den introjektiven Zuständen ist durchlässig . Kernberg
    meint der maligne Narzissmus sei das überdauernde Kondensat der beiden Zustände.
    Bastian (2000) hat einen anal strukturierten „Grausamkeitsarbeiter“ der Apokalypse
    beschrieben dessen Tun leidenschaftslos sei oder jedenfalls so wirke. Es wird in diesen
    Analysen häufig übersehen, dass die sogenannten kalten Verwalter der Destruktion in Ihrer
    Kindheit sehr wohl heiße Formen der Zerstörung am eigenen Leib erfahren hatten. Dies ist für
    die Soldateska der Freikorps (Theweleit, 1977) , für die aztekischen Kriegerkaste (Erdheim,
    1982) die Kopfjäger von Papua Neuguinea (Lidz & Lidz, 1989), sowie für die Sozialisierung
    der Machokulturen bestätigt.
    Es liegt nahe, in der narzisstischen Scham – Wut die spezifischen Formen der menschlichen
    Destruktivität im Gegensatz zur tierischen Aggressivität zu suchen. Ehe dies verhandelt
    werden kann, sollten wir uns um die Taxonomien aggressiver beziehungsweise destruktiver
    Reaktionen bemühen, um zu sehen, ob dieselben für alle sozialen Tier einschließlich uns
    Menschen anwendbar sind.
    Taxonomien agressiver Reaktionen
    Moyer (1976) hat auf Grund seiner ethologischen Studien sieben Formen der Aggression
    unterschieden. 1. Angst induzierte Aggression, wenn ein Tier einer aversiven Situation nicht
    entkommen kann. 2. Mütterliche Aggression bei Bedrohung der Kinder 3.
    Irritationsaggression als Folge von lästigen Reizen die nicht stark genug sind um Flucht zu
    mobilisieren. 4. Sexbezogene Aggression 5. Territoriale Aggression wenn ein fremdes Tier in
    das Territorium eindringt. 6. Zwischenmännliche Aggression reflektiert die höhere
    Inzidenzrate von Aggressionen, wenn männliche Tiere zusammen gebracht werden. 7. Beuteaggression als eine Form der Futtersuche. Die Liste ist nicht erschöpfend, so könnte man
    beispielsweise noch Spielaggression hinzufügen.
    13
    Pankseep (1998) macht meines Erachtens zu recht geltend, dass solche Listen nur beschränkt
    zielführend sind, wenn sie nicht durch weitere Befunde jenseits der Verhaltenstaxonomie
    ergänzt werden. Wie oben erwähnt meint er, man müsse eine neurophysiologische Dimension
    einführen, die es erlaube auf Grund der direkten Stimulation bestimmter Netzwerke und
    Areale zu sehen, welche dieser prinzipiell vielfältigen Aggressionsreaktionen die gleichen
    Auslöseorte und Netzwerke hätten. Er findet auf Grund seiner Experimente an Tieren und
    Menschen drei solcher direkt elektrisch auslösbaren Schaltkreise, nämlich die affektive
    Attacke (affective rage) mit Haaresträuben, autonomer Erregung, Fauchen und Knurren.
    Dieser Zustand ist unangenehm, denn die Tiere lernen sehr schnell sie zu beenden, wenn man
    sie lässt. Auch bei Menschen tauchen unangenehme internale Zustände auf. Die Schaltungen
    sind sehr eng mit dem Angst-System verbunden. Das Verhalten ist laut und auffällig und hat
    wohl auch die Funktion den die eigenen Intentionen, Triebe oder Affekte störenden Gegner zu
    vertreiben. Es kann auch auftreten, wenn die Angstreaktion nicht möglich ist, so dass wir in
    diesem Bereich oft pendelnde Zustände vorfinden. Kummer nennt dies Pendelkämpfe, in
    denen beispielsweise der Sieger im Laufe seiner Attacke in das Gebiet des Verlierers
    eindringt, dadurch das an Vertrautheit verliert was der andere gewinnt und nun das Geschehen
    kippt und der vorherige Unterlegene den Aggressor vertreibt.
    Beuteaggression ist still. Man beobachtet wohl koordinierte Bewegungsabläufe und sehr
    gezielte Sprünge. Es ist sehr dicht mit dem positiven, reizsuchenden Suchsystem verbunden
    und führt zu Selbststimulationen. Bei dem oben beschriebenen Mimikmuster fehlt die
    Vokalisierung. Diese Stimulation wird von Tieren sehr schnell verstärkt, weil der Zustand
    angenehm ist, d.h. die Tiere verlängern solche Zustände, wenn sie können. Es gibt also eine
    Verbindung zur Freude. Durch angstreduzierende Medikation wird das Verhalten verstärkt.
    Die beiden Aggressions- Systeme sind also zumindest –was die neuronale Verschaltung
    betrifft- sehr verschieden. Interessant ist, dass beide Systeme auch sehr unterschiedliche
    Auslösebedingungen kennen. Während die Wutaggression in der innerartlichen
    Sozialbeziehung eine sehr große Rolle spielt, sind durch Reizung der Beuteaggression keine
    Angriffe auf Artgenossen auslösbar. Ein drittes System meint er in den die Aggression
    zwischen erwachsenen männlichen Tieren zu finden.
    Pankseep nimmt nun an die verschiedenen Taxonomien wären dahingehend zu ordnen, dass
    beispielsweise Mutter und angstinduzierte Aggression verschiedene Inputwege in das offene
    Wutsystem sind, wohingegen die territoriale- und sexbezogene Aggression eng mit dem
    zwischenmännlichen System zu tun hat.
    Beide Systeme sind eher schadensbegrenzend.
    Jäger und Beute . Triumph und Scham.
    Instrumentelle und Beuteaggression stammen aus dem stummen Jagdsystem, das mit Freude
    verbunden ist und die intelligentesten Leistungen verlangt. Hier dürfen wir annehmen sind die
    schwersten Entgleisungen in bezug auf Destruktivität zu erwarten. Wir alle haben ein
    phylogenetisch erworbenes Wissen um die Möglichkeit Beute aber auch Jäger zu sein und zu
    werden. Eine spezielle kulturelle Leistung scheint darin zu liegen, den Beutestatus auf
    bestimmte Gruppen dauerhaft anzuheften und sich bzw. der eigenen Gruppe den Jägerstatus
    zu reservieren. Es scheint uns unter noch zu besprechenden Randbedingungen mühelos
    möglich, andere Menschen identifikatorisch aus dem Schutzbereich der Artgenossen zu
    entlassen. Die ehemals so wichtige theologische Frage ob denn die Indianer Menschen seien,
    beleuchtet dieses fundamentale Dilemma unseres seelischen Funktionierens. Octavio Paz
    (1984) hat in einem brillanten Essay geltend gemacht, dass dieser Entscheid der katholischen
    Kirche letztendlich die süd- und mittelamerikanischen Indianer vor der vollständigen
    Ausrottung bewahrt und letztendlich in eine Mestizengesellschaft geführt hat, wohingegen der
    protestantische Norden diesen Entscheid nicht getroffen und die Urbevölkerung fast ganz
    ausgerottet hat. An eine Mischrasse als führende Gruppe ist nicht zu denken.
    14
    Der Entzug der Artgenossenschaft ist kein naturwüchsiger Prozess, Kinder unter sich
    benutzen keine Rassemerkmale für solche Reaktionen. All diese Disidentifaktionen müssen
    implantiert werden. Dies geht nur über die Implantierung der chronischen Scham in den
    Beuteopfern und einer ebenso chronischen Triumphhaltung der Jäger, die eigentlich eine
    Umkehrung der Schamreaktion ist. Tomkins nennt sie anti-shame-reaction. Psychoanalytisch
    figuriert sie als eine Form der Charakterpanzerung im Sinne von Wilhelm Reich mit einer
    chronischen Vermeidung jeder Ansätze von Schamreaktion speziell im Körper. Die Personen
    tragen hohe Hüte , den Kopf immer nach oben , Peniskalebassen und bekommen eine
    bestimmte Stimmintonation und Prosodie die gewissermassen deshalb hybride ist, weil sie gar
    keine Scham mehr zulässt. Die Aufrechterhaltung solcher psychischen und sozialen
    Demarkationslinien erfordert schwerste erzieherische und intrapsychische Arbeit. Sie kann
    letztendlich nur dauerhaft gelingen, wenn der aktuelle Jäger seine ehemals erlebten
    beschämenden Beuteopfererfahrungen abspaltet und auf die rezenten Opfer projiziert. Ein
    scheinbar einfaches Beispiel soll zur Einführung dienen. Herr (1970) beschreibt einen
    Soldaten , der im Dschungelkampf mehrfach nur knapp überlebte, wird wie folgt: „ Sein
    Gesicht war für den nächtlichen Patrouillengang ganz bemalt, aber nicht wie die Gesichter der
    Hippies. In den folgenden Stunden würde er ohne Gesicht und stumm wie ein gefallener
    Baum im Dschungel stehen, und Gott helfe seinen Feinden, wenn sie nicht wenigstens einen
    halben Zug stark waren ( 5 Personen), er war ein guter Killer, einer unserer besten (Herr 1970,
    Seite 14). Dieser Mann hat das Sprechen weitgehend eingestellt. „ Die Patrouille ging den
    Berg rauf. Einer kam zurück. Er war tot, ehe er sagen konnte was passierte.“ Auf die Frage
    was den nun wirklich passiert sei, schaut er den Fragenden mit einem „bemitleidenden
    verachtenden Blick an, als ob er unendliches Bedauern für ihn hätte, und verflucht sein
    wollte, wenn er je wieder einem so dummen Kerl eine Geschichte erzählen würde. Diese
    Formen der Verwandlung haben den Status eines Introjekts, das sich konkretisiert als
    Verkörperlichung der phantasmatischen Projektionen auf den Feind, der einen selbst fast
    getötet hätte. Oft ist dies lebensrettend. Man wird nicht nur in alten Zeiten das Herz des
    getöteten großen Feindes verspiesen haben. Amok laufen, zum Berserker werden sind
    zielgeleitete gesellschaftlich vorgegebene Introjektionen, die in eine teilweise akzeptierte
    Form der Zerstörung einmünden. Häufig werden sie als Folgen der Besessenheit durch einen
    unzufriedenen Ahnen erlebt ( Averill & Nunnally 1992). Das Gemeinsame scheint, dass den
    vom introjektiven Vorgang Betroffenen aus ihrer unbewussten Sicht im Vorfeld die Identität
    bedrohendes Unrecht geschehen ist. Es ist also nicht das Trauma alleine sondern die mit ihm
    verbundene Demütigung und ein verbliebener Rest an Stärke die das höchste
    Destruktionsrisiko produziert. Stark nach Macht, Alter- und Geschlecht stratifizierte Kulturen
    stützen sich auf eine Systematik solcher disidentifikatorischen Prozesse. Dies geschieht über
    emotionale Drehbücher, welche die potentiellen Opfer in die Landschaft der Emotionen Ekel
    und Verachtung einbetten. Der Ekel macht das Opfer zu einem nicht menschlichen Objekt,
    die Verachtung zu einem Untermenschen (Tomkins, 1963). Beim Ekel ist es nicht nur die
    Natur des übelriechenden Reizes, die zu äußerst starken Generalisierungen führt, sondern vor
    allem die Nähe zwischen Objekt und Subjekt. Je näher das Objekt kommt, desto stärker die
    Ekelreaktion. „… wann immer ein Individuum der unteren Kaste oder von niedrigem Status zu
    nahe kommt, lernt das Oberschicht- bzw. hohe Kastenmitglied mit Ekel bzw. erhöhtem Ekel
    zu reagieren. Viele Essens- und Sexualtabus beruhen auf der Vorstellung der Verschmutzung
    der Reinen durch die Unreinen mit Ekel als Übertragungsstoff“ (Tomkins, 1963 Seite 241)
    Jedes Training einer Kampf- und Kriegerkultur und da schließe ich auch unsere Soldaten ein,
    benötigt notwendigerweise die Implantierung einer sehr starken Stratifizierung, die als
    Schlüsselerlebnis das Erlebnis, selbst „Scheiße“ zu sein wenn auch nicht offiziell einschließt.
    Aus diesem Erlebnis heraus entwickelt sich die Möglichkeit des identifikatorischen
    Gehorsams. Übrigens ist ohne diesen Gehorsam die Gefahr des uferlosen Mordens auch nicht
    geringer. „A lot of people used to say that it got fucked up when they made it as easy for us to
    15
    shoot as not to shoot. ( Herr 1979, Seite 55) It bezieht sich auf den Vietnamkrieg. Fucked up
    auf eine Fülle von Phänomenen unter anderem einen weitgehenden Verfall der Disziplin und
    eine tolerierte Individualisierung des Tötens, so als ob es sich um den Krieg von Kopfjägern
    handle. Diese Form erweist sich langfristig für einen modernen Krieg in dem es um
    Eroberung geht nicht als tauglich, wohl aber für die gegenwärtigen ethnischen und anderen
    projektionsgesteuerten Massenmorde. Die Kopfjäger von Papua haben seit der Steinzeit sehr
    erfolgreich Kriege geführt in denen es nie um Umverteilung ging, sondern immer nur um die
    Aufrechterhaltung der kulturellen Identität mittels projektiver Stabilisierungen. „ In Papua
    New Guinea perhaps the most important need of the people is to turn the boys of the village
    into fierce warriors capable of protecting the community. Until recently , each village was
    almost constantly at war with some neighboring village ( Lidz & Lidz 1984 , 507) . Es ist den
    Kulturen bis in die unmittelbare Gegenwart gelungen zu übersehen, dass sie von den eigenen
    Projektionen die in den Nachbarn Fleisch geworden waren, bedroht worden sind . Die
    Rückkehr zur Kopfjagd , die wir eben in der Befreiung von der verhassten Zentralregierung
    erleben, zeigt wie leicht solche identitätsstiftenden Tötungsformen mobilisiert werden
    können.
    Kulturtechniken zur Disidentifikation
    Es gibt wenig systematische Untersuchungen über die Kulturtechniken die systematisch
    Destruktion fördern. In egalitären Systemen wird eine Schamreaktion auf das Verfehlen einer
    Identifikation erlernt, was auch nicht unproblematisch in uferlose Betroffenheitsreaktionen
    einmünden kann die sehr Kurzlebig sind. Eine etwas präzisere Untersuchung einer solchen
    Kampfkultur haben Mosher und Tomkins (1988) geleistet. Sie beschreiben die Systematik
    der Herausbildung und Vergrößerung der im Rahmen des „US Amerikanischen Machismo“
    als ideal definierten „männlichen“ Affekte Wut, Verachtung und Ekel auf Kosten der als
    minderwertig definierten weiblichen Affekte Furcht und Scham, Unbehagen und entspannt
    kontemplative Freude.
    Sie finden 7 Sozialisationstechniken zur Herausbildung der „männlichen“ Affekte.
  1. Umwandlung von Unbehagen und Schmerz in Wut. Schmerzen sind blödsinnig. Wer
    sie äußert, ist blöd.
  2. Umwandlung von Angst in Erregung durch Verachtung und Dominanz.
  3. Scham über Restbestände von Schmerz und Angst wird über eine Reaktionsbildung
    durch Antischamreaktionen in Schach gehalten. Dafür eignen sich tollkühne
    „männliche“ Taten.
  4. Der Stolz auf das aggressive, tollkühne „männliche Verhalten erzeugt Verachtung und
    Ekel gegenüber allen als weiblich definierten Verlierern.
  5. Erfolgreiche interpersonale Kontrolle durch wütendes und kühnes Dominanzverhalten
    wird als erregend erlebt.
  6. Die Erzeugung von Überraschung und Schreck wird ein interpersoneller Stil zur
    Herstellung von Dominanz durch die Auslösung von Angst und Unsicherheit bei
    anderen.
    Erregung ist wichtiger als entspannte Freude, die nur im Rahmen von Siegesfeiern erlaubt ist.
    Vor dem Hintergrund dieser Befunde hat jede Form von Apartheid Sinn. Sie stabilisiert die
    Disidentifikation. Ohne stinkenden Niggerjuden gibt es so wenig einen Herrenmenschen, wie
    es ohne Pöbel einen Feudalherrn geben kann. Die Disidentifikation bedeutet aber immer auch
    Projektion und Verleugnung auf der Seite der Täter . Nicht nur das Opfer das sich mit dem
    Aggressor identifiziert hat ein schweres Problem mit der Kohärenz des Selbst. Auch der Täter
    der sich mit dem Opfer disidentifiziert hat ein ähnliches Problem. Einmal sind viele scheinbar
    ekelhaften Opfer ehemalige Liebesobjekte . Personen er gleichen Gruppe, die später das
    Grausen hervorrufen, dienten früher als Liebesobjekte für die Kinder der Oberschicht, als
    16
    Nannies, Muchachas, Ammen etc. Zum andern Fehlen die beschämenden Anteile in der
    Selbstrepräsentanz.
    Für Täter und Opfer, Pöbel und Herr bedeuteten diese Vorgänge also stets eine schwache
    Kohärenz des Selbst, mit den Varianten des Größenwahns auf der Seite des Täter und einer
    unangemessenen Selbstverkleinerung bzw. Selbstvernichtung auf Seite der Opfer. Der
    Größenanteil ist in allen solchermaßen strukturierten Gruppen beispielsweise in einer Art von
    Unverletzlichkeitswahn zu lokalisieren. Tuchmann (1980) beschreibt wie die 16000 Ritter des
    Kreuzzuges von 1396 partout die Heiden aufschlitzen wollten – im sicheren Glauben Ihnen
    könne niemand etwas anhaben. „Die Franzosen waren nicht geneigt zu warten, sie bestanden
    darauf, dass sie die Türken aus Europa hinausjagen würden, wo immer sie sie antrafen, und
    prahlten, dass sie selbst den Himmel, sollte er einstürzen, auf den Spitzen ihrer Lanzen
    aufrechterhalten würden“ (S. 495).Die Ritterschaft glaubte noch immer, dass kein Feind ihr
    widerstehen könnte (S. 493) Der Erfolg war, dass sie niedergemetzelt wurden. Tuchmann hält
    dies für keinen Einzelfall, sondern für systemimmanent für die Ritterkultur. „Wenn Wahrheit
    und Vernunft nicht gehört werden, dann muss die Anmaßung herrschen, warnt der
    Dienstälteste Offizier, bestätigt aber gleichzeitig, dass die Armee dem Constabler folgen
    müsse, wenn er zu kämpfen wünsche. „Wir haben die Schlacht durch den Stolz und die
    Eitelkeit der Franzosen verloren“, soll der mitkämpfende König Sigismund gesagt haben.
    Diese so stolzen Herrn hatten vorher unter den Einwohnern von Rachewo ein Blutbad
    angerichtet, obgleich sie ihnen Schutz von Leib und Besitz zugesagt hatten. Die Funktion des
    mittelalterlichen Hofnarren bestand mehrheitlich in einer für den Herren eben noch
    erträglichen weil witzigen Begrenzung des narzisstischen Grössenwahns. Wenn die
    römischen Gottkaiser das Gesicht rotbemalt auf dem Streitwagen ihre Triumphe
    entgegennahmen , stand hinter Ihnen der Staatssklave , der immer wieder sagen musste „
    Respice post te, hominem te esse memento“ Blick hinter Dich, erinnere Dich daran, dass Du
    nur ein Mensch bist. „ Der Versuch der Begrenzung ist ja oft genug schief gegangen.
    Während des Zuges sangen die Soldaten Siegeslieder wie „Mille, mille, mille decollaviamus“
    (Tausend, tausend, tausend haben wir enthauptet ) ( Künzl 1988) Man muss nicht so weit in
    der Geschichte zurückgehen. Als während der Kubakrise die russischen Schiffe auf die US
    Marine stießen, hörte ich als Fahnenjunker eines sich im Alarm befindenden Panzerbatallions
    freudig erregte Kommentare, dass wir (sprich die Soldaten der Bundeswehr) in vierzehn
    Tagen in Moskau seien, was ich vor allem deshalb problematisch fand, weil die betreffenden
    Herrn den Eindruck erweckten, sie glaubten an ihre eigenen Sprüche. Untersuchungen von
    gewalttätigen scheinbar politisch motivierten Personen lassen diesen
    Unverletzlichkeitsvorbehalt immer deutlich werden. Hinter dieser massiven Abwehr findet
    man regressive Selbstzerstörungswünsche als Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit dem
    abgespaltenen verachteten Beute/Opferanteil im Tod. Das ist einer der Bedeutungen des
    Feiern des aktiven Todes. Die oben erwähnten Ritter des 13. Jahrhunderts sind von Tuchman
    (1980) Clisson folgend als „abwechselnd kultiviert und barbarisch, großzügig und blutdürstig,
    schurkisch und ritterlich, übermenschlich in ihrem Kampfesmut und ihrer Liebe zum Ruhm,
    unmenschlich in ihrem Haß, ihren wilden Narrheiten, ihrer Hinterlist und wütenden
    Grausamkeiten“ (S. 508) charakterisiert worden. Man wird an die diagnostischen Kriterien
    einer Borderlineerkrankung und an Freuds Annahme gemahnt, dass das, was wir heute
    gleichzeitig und nebeneinander als verschiedene Krankheitsbilder an einzelnen Individuen
    beobachten und als pathologisch und lebenseinschränkend auffassen jeweils Verhalten aller
    damals lebenden Menschen gewesen sein muss. (Freud, 1916/17; S. 362) Eine wirkliche
    Kriegerkultur ist ohne die Möglichkeit des Rekurses auf diese Zustände nicht denkbar. Für
    das Leben in den hochgerüsten Gettos mancher Städte ist die Ausbildung einer Borderline
    Struktur überlebensfördernd. Wer als Kind schon die Ermordung als Alltagsgeschäft erlebt
    hat , wird ohne die Mechanismen von Dissoziation und Spaltung , Projektion und
    Idealisierung – Entwertung nicht auskommen. Im übrigen braucht man aber keine
    17
    Kriegerkultur um solche Zustände zu mobilisieren. In bestimmten regressiven Situationen die
    man durch die Trias Scham – Wut , Demütigung und verbliebene Ressourcen sowie eine
    pathologische Führungssituation charakterisieren kann, sind wir leider alle genug „Krieger“
    um das Potential für Mord und Totschlag prinzipiell handlungsrelevant werden zu lassen. Für
    die verwaltungsmässig abgewickelten Morde braucht man ja ohnehin nicht viel Kampfkraft.
    Das affektive Hauptproblem ist in diesem Umfeld die Beseitigung der Leichen, was man die
    noch lebenden Opfer machen lassen kann. (Sofsky 1993)
    Das Zustandekommens des Naziphänomens als einer für kurze Zeit sehr stabilen regressiven
    Primitivreligion haben verschiedene Personen analysiert. (Bastian, 2000, Chasseguet –
    Smirgel 1981,1986, Krause 1998). Auch hier gibt es einen gewissen Konsens darüber, dass
    die Bereitschaft für die Entwicklung solcher innerer Welten auf einer kollektiven zu tilgenden
    Beschämung beruht, die aber eine Entsprechung in der inneren Welt der die destruktive
    Religion tragenden Personen haben muß. Die kollektive Schande ist so gesehen eine in die
    Geschichte des Kollektivs projizierte Deckerinnerung für eine in der eigenen
    Entwicklungsgeschichte neu erfahrenen persönliche narzisstische Kränkung. Dies gilt auch
    für die neuen rechten Jugendgruppierungen in denen sich die öffentlich dargestellt
    Destruktion als Möglichkeit erweist , wenigstens einmal gesehen zu werden. In den USA
    heissen solch.ähnlich strukturierte Morde denn auch Rampage Killing (Bühnen Morde).
    Epilog
    Vor dem Hintergrund der unabweislichen Möglichkeit einer stetigen Wiederkehr dieser hohen
    menschlichen Pathogenität bleibt zu überlegen, wie man sich wenigstens teilweise vor der
    Wiederkehr solcher Geschehnisse schützen kann. Dies hat zweifellos auf individueller
    ontogenetischer Erziehungsebene ebenso zu geschehen wie auf politischer, polizeilich und
    militärischer. Im Sinne einer Primärprophylaxe ist es am sichersten, wenn der Anteil von
    narzisstisch beschämten Personen so niedrig wie möglich gehalten werden kann. Dafür gibt es
    viele Möglichkeiten. Eine die sicher politisch sehr relevant ist, besteht darin, dass wir alle es
    nicht erlauben dürfen, dass eine Gruppe ihre narzisstischen Blessuren projektiv auf Kosten
    einer anderen ausleben kann und darf. Falls dies droht, ist im ersten Durchlauf mit großer
    Härte und Macht zu reagieren. Solche Prozesse müssen sofort unterbunden werden, weil der
    Schaden für die Opfer unermesslich ist und eine fast endlose Wiederholungsschlaufe
    mobilisieren kann. In diesem Bereich sollten also die Beschämten, die solchermaßen
    vorgehen, mit „Null-Toleranz“ rechnen müssen. Ich gestehe zu , dass dies in einer Welt in der
    der ausbeuterische Narzissmus weniger auf dem Schlachtfeld als den Finanz- und
    Medienmärkten tobt schwer zu realisieren ist.
    Auf der anderen Seite scheint es mir unabdingbar, in die innere Welt – auch die
    phantasmatische abgewehrte der Täter – einzutreten um sie als eine zentrale Aussage von
    ehemaligen Opfern wahrzunehmen. Wir alle wissen, dass die Wege aus diesem Unheil heraus
    schwierig und langwierig sind und das solche Erfahrungen teilweise über Jahrhunderte
    tradiert werden (Volkan, 1987). Von daher kommt der Primärprophylaxe eine große
    Bedeutung zu. Sie wird wohl im wesentlichen über eine Stärkung der Frauen in
    Zusammenhang mit sozialen und politischen aber auch militärischen Entscheiden zu
    geschehen haben. Das wiederum bedeutet mehr Bildung, mehr Geld für die Familie und mehr
    emotionale Kultur, die um sogenannte „weibliche“ Emotionen herum organisiert ist. Ich
    glaube, unser Potential und die Notwendigkeit disidentifikatorischer Affekte wie Verachtung,
    Ekel, Scham und Hybris wird im Alltag ausreichend befriedigt. Wir brauchen keine
    zusätzliche Kultur, die sich darum herum organisiert.
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