Schlaf

Silvestro Lega (Italian realist painter) 1826 - 1895 Giuseppe Mazzini Morente (Giuseppe Mazzini on his Death Bed), 1873 oil on canvas 76.5 × 100.3 cm. (30.1 × 39.5 in) Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence, United States of America

Grübeln, Ängste und Stress halten unseren Körper und Geist wach. Die Folgen spüren wir am nächsten Morgen. Was wir tun können, damit wird nachts zur Ruhe zu kommen und uns erholen.

Frank Duveneck (American figure and portrait painter) 1848 – 1919
Siesta, 1886, Cincinnati Art Museum, Cincinnati, United States of America

Es ist ruhig, dunkel, der Wind säuselt ein wenig durch die Nacht. Der Tag ist rum, Schlafenszeit. Doch der Schlaf will nicht kommen. Weil die Gedanken nicht gehen. Sie kreisen und kreisen, versuchen die Probleme zu lösen und schaffen es doch nicht. Man würde gerne damit aufhören, schließlich ist es schon spät. Und je länger man wach ist, desto anstrengender wird der Tag nach der Nacht, desto größer werden die Pro­bleme und desto schlechter wird die Nacht nach dem Tag nach der schlaflosen Nacht. Doch Ruhe will sich keine einstellen.

Warum bringen uns Sorgen und Pro­bleme um den Schlaf? Warum sind wir, umgekehrt, so leicht zu reizen, wenn wir eine oder gar mehrere Nächte mit zu wenig oder zu schlechtem Schlaf hinter uns haben? Was passiert in uns und in unserem Gehirn, während wir schlafen, und wie beeinflusst dies unsere psychische Gesundheit? Kurz: Wie hängen Schlaf und Psyche eigentlich zusammen? Um das zu verstehen, hilft zunächst ein Blick darauf, was im Schlaf geschieht.

Dod Procter (born Doris Margaret Shaw) (English artist) 1890 – 1972
The Orchard, 1934, Tate Britain, London, United Kingdom

Schon in den 1980er-Jahren veröffentlichte der ungarisch-schweizerische Pharmakologe Alexander Borbély sein Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation. Danach gibt es zwei Komponenten, die unseren Schlaf-Wach-Rhythmus steuern. Das ist einerseits der homöostatische Schlafdruck; ein theoretisches Konstrukt, das beschreibt, dass unser Schlafbedürfnis ansteigt, je länger wir wach sind. Der Schlafdruck steht im Zusammenspiel mit dem zweiten wichtigen Prozess, dem zirkadianen Rhythmus – der inneren Uhr.

Über den Tag sorgt sie dafür, dass wir aktiv sind und Energie haben, am Abend macht sie uns schläfrig und bringt den Körper zur Ruhe. Sie wird vor allem durch das Tageslicht gelenkt. Wird es Abend und das Licht schwindet, ändern sich die Signale, die eine bestimmte Region des Hypothalamus – der aus etwa 20.000 eng verknüpften Nervenzellen bestehende Nucleus suprachiasmaticus – in den Körper sendet. Der Hormonspiegel des müde machenden Melatonins steigt an, dazu ändert sich die Konzentration einer Vielzahl weiterer Hormone.

Theodoros Ralli (Greek painter) 1852 – 1909
Resting in a Greek Monastery

Erhöhung der Herzrate und Ausschüttung von Hormonen

Im Nachtschlaf sinkt unsere Körpertemperatur leicht ab, ebenso verlangsamen sich Stoffwechsel und Verdauung, das Hungergefühl wird gehemmt, die Muskeln verlieren ihre Spannung, das Immunsystem wird aktiver, Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz nehmen ab. Insbesondere im Gehirn laufen zudem zahlreiche Prozesse ab. Der über den Tag angehäufte und vermutlich für den Schlafdruck verantwortliche Neurotransmitter Adenosin wird abgebaut. Ebenso werden eine Reihe schädlicher Proteine und Stoffwechselabfälle weggespült, die sich in den synaptischen Spalten zwischen den Nervenzellen angesammelt haben. Und die Verbindungen zwischen Neuronen werden verstärkt oder abgebaut. Der über den Tag aufgebaute Schlafdruck nimmt kontinuierlich ab, bis die innere Uhr am nächsten Morgen neue Signale sendet, der Cortisolspiegel steigt und wir wieder erwachen.

Hans Magnus Enzensberger
Empfänger unbekannt – Retour à l’expéditeur

Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, dass mir das
Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde und das Bedauern,
das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse
draußen im Garten auch.

An dieser Stelle kommt die Psyche ins Spiel: Psychische Zustände wie Entspannung oder Stress, Freude oder Trauer sind nicht einfach vom Körper losgelöste Empfindungen. Während wir etwas fühlen oder denken, laufen die dazugehörigen Prozesse im Körper ab. Positive wie negative Gedanken beeinflussen also, was in uns geschieht – und nehmen so auch Einfluss auf unser Schlaf-Wach-System.

Wie genau die Psyche unseren Schlaf beeinflusst, das weiß Björn Rasch, Professor für kognitive Biopsychologie an der Universität im schweizerischen Freiburg. „Einer der Hauptfaktoren für Schlafpro­bleme und auch daraus resultierende Schlafstörungen ist das Grübeln“, sagt Rasch. „Wir denken über Dinge nach, die wir falsch gemacht haben, oder Konflikte und Probleme, die wir noch nicht gelöst haben, und das führt dazu, dass wir nicht einschlafen können.“ Denn die negativen Gedanken erregen uns auch körperlich. „Grübeln, aber auch Ängste und Stress führen zu einer Erhöhung der Herzrate, zur Ausschüttung von Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin und aktivieren das sympathische Nervensystem. Das ist aber genau das, was zum Einschlafen runtergefahren werden muss.“

Albert Samuel Anker (Swiss painter and illustrator) 1831 – 1910
Schlafendes Mädchen auf einer Holzbank

Stress schadet vor oder nach dem Einschlafen

Das Grübeln führt also einerseits dazu, dass wir schlechter einschlafen können, weil es unseren Körper erregt, der aber eigentlich zur Ruhe kommen sollte. In einer Studie aus dem Jahr 2022 konnte Rasch diesen Effekt zeigen: Studienteilnehmende schliefen schlechter, wenn sie vor dem Schlafengehen noch eine stressige Aufgabe zu erledigen hatten – sie mussten einen fünfminütigen Vortrag vor einem virtuellen Panel halten und anschließend vor den Zuschauenden Matheaufgaben beantworten.

Für unseren Alltag könnte daraus folgen: Stressige, emotional aufwühlende Aufgaben sollten, wenn irgend möglich, nicht kurz vorm Schlafengehen erledigt werden. Also nicht in den letzten ein, zwei Stunden des Tages mit der Familie streiten und nicht noch um 22 Uhr Arbeits-E-Mails lesen, auf die man womöglich ohnehin nicht mehr reagieren kann.

Frederick Cayley Robinson (British painter, decorator and illustrator) 1862 – 1927
Paused for a Moment to Regard the Sleeping Children, 1911

Die Studie von Björn Rasch demons­triert, dass Stress vor dem Einschlafen die Tiefschlafphasen zu Beginn der Nacht störte. Erwarteten die Probanden Stress nach dem Aufstehen, behinderte das hingegen die später stattfindenden Tiefschlafphasen. Unsere Verfasstheit scheint also auch noch während des Schlafs eine Rolle zu spielen. Wird der Tiefschlaf beeinträchtigt, kann das die Aufräumfunktionen des Gehirns stören. Außerdem verbringen wir dadurch mehr Zeit in weniger tiefen Schlafphasen – und können leichter geweckt werden.

Schlafmangel und die Folgen für die Psyche

Und auch wie leicht wir im Schlaf gestört werden können, darauf hat die Psyche scheinbar einen Einfluss. Eltern kennen das: Liegt das Baby gleich nebenan, wird man beim kleinsten Mucks wach. Hat hingegen der Partner Baby-Schlaf-Dienst, kann man bei derselben Geräuschkulisse vorzüglich durchschlafen.

George William Joy (Irish painter) 1844 – 1925
Jeanne d’Arc, 1895

Die Psyche spielte also auch im Schlaf eine zentrale Rolle. Sie könne zu besserem oder schlechterem Schlaf führen, sagt Rasch. „Wir wissen bereits, dass ängstlichere und gestresste Menschen stärker durch Reize von außen beeinflusst werden. Das ist ein wichtiger Aspekt, der meiner Meinung nach noch unterschätzt wird. Hier braucht es noch einiges an Forschung.“ Es ist indes nicht so, dass nur die Psyche den Schlaf beeinflusst: Die Dauer und die Qualität des Schlafs wirken sich auf unsere Psyche aus. Bei zu wenig Schlaf fallen etwa negative Emotionen stärker aus als in ausgeruhter Verfassung, positive hingegen schwächer – und wir fahren schneller aus der Haut. In einigen Hirnregionen konnten Wissenschaftler beobachten, dass der Austausch zwischen den Nervenzellen bei Schlafmangel schlechter funktioniert. Darunter leiden kognitive Fähigkeiten, etwa Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, auch das Lernen von Neuem fällt schwerer. Forscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln konnten zeigen, dass Aufmerksamkeitsfähigkeit und Hand-Auge-Koordination von Menschen nach vier Nächten bei nur fünf Stunden Schlaf einer Blutalkoholkonzentration von 0,6 Promille gleichen.

„Es müssen nicht zwingend acht Stunden sein“, sagt Dieter Riemann, emeritierter Professor für Klinische Psychophysiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg und vormals Leiter der schlafmedizinischen Station. „Dem einen oder der anderen genügen vielleicht auch sieben Stunden. Wenn der Schlaf gut ist, ist das wie ein Neustart.“ Doch seinen persönlichen Wert müsse man einhalten, sonst merke man das am nächsten Morgen.

John William Godward (British painter) 1861 – 1922
Girl in Yellow Drapery, 1901

„Forscher untersuchen auch, inwiefern Schlafmangel ernste Folgen für die Psyche haben kann. Schon im Jahr 2011 hat Riemann mit einigen Kollegen in einer Metaanalyse zeigen können, dass Menschen mit Schlafproblemen eine höheres Risiko für eine Depression haben. In einer weiteren Metaanalyse aus 2019 demonstrierte er, dass es für Personen mit schlechtem Schlaf ebenfalls wahrscheinlicher ist, dass sie Ängste, Psychosen und einen Alkoholmissbrauch entwickeln. Unklar bleibt jedoch, inwiefern die Schlafprobleme hierfür ursächlich sind, oder ob andere Faktoren ihn wie auch die anderen psychischen Probleme auslösen.“

Dazu kommt es nicht direkt, wenn man mal eine oder zwei Nächte schlecht oder zu kurz schläft, weil ein Projekt an der Arbeit fertig werden muss, die Kinder krank sind oder der Abend einfach zu nett ist, um schon ins Bett zu gehen. Doch solche Nächte sollten Ausnahmen bleiben. „Ab wann man Schlafprobleme ernst nehmen sollte, das ist wirklich eine Gratwanderung. Ich würde bei allem, was 14 Tage anhält, nicht durch äußere Umstände wie Hitze oder Lärm erklärbar ist und nicht weggeht, sagen, dass man mal eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen sollte“, sagt Riemann. „Schlafprobleme haben oft auch organische Ursachen wie Probleme mit der Schilddrüse, das sollte man ausschließen lassen.“

John Singer Sargent (American painter) 1856 – 1925
Corfu: A Rainy Day, 1909

Praktische Tipps erleichtern das Einschleifen

Wer zu lange wartet, riskiert damit nämlich, in negative Gedankenschleifen zu rutschen – wie etwa: Heute wäre es aber gut, wenn ich mal wieder schlafe. Na gut, heute aber wirklich. Mist, warum klappt es nicht? Hoffentlich heute. Ich muss doch schlafen. „Es gibt Menschen, die in so eine Dauerschleife kommen und eine Angst vor der Schlaflosigkeit entwickeln“, sagt Riemann. „Und die Angst macht es noch schwieriger, wieder gut zu schlafen. Ein Teufelskreis.“ Schlafprobleme führen zum Grübeln, Grübeln macht Schlafprobleme – irgendwann weiß man gar nicht mehr, was zuerst da war.

Was hilft, den Kreislauf zu durchbrechen? Früher ins Bett gehen, um auf genügend Schlaf zu kommen? „Das denken viele, aber das ist ein großer Fehler, weil man dann auch nur eine Stunde früher im Bett liegt und noch länger auf den Schlaf wartet und grübelt“, sagt Riemann. Helfen könne genau das Gegenteil, die sogenannte Bettzeitrestriktion, eine bewährte Strategie der Verhaltenstherapie.

Vincent van Gogh, Siesta

„Wir wissen aus der Schlafphysiologie, dass der Schlaf umso tiefer wird, je länger ich wach bin“, sagt Riemann. „Wenn ich nicht bis zehn, sondern bis zwölf Uhr wach bleibe, ist das zwar anstrengend, und ich habe vielleicht nur noch sechs Stunden Schlaf. Aber es lohnt sich: Nach ein paar Tagen oder ein, zwei Wochen kann man die Bettzeit wieder ausdehnen.“

Neben dieser Methode gibt es eine Reihe weiterer Tipps von Schlafforschern, die Menschen, die Probleme beim Ein- oder Durchschlafen haben, helfen können. Keinen Alkohol trinken, denn der lässt einen zwar leichter einschlafen, stört aber das Durchschlafen. Keinen Kaffee nach 14 Uhr. Sport oder Bewegung am Nachmittag, generell mal wenigstens eine halbe Stunde rausgehen, am Abend nur leichte Kost, das Schlafzimmer nicht zu warm und nicht zu kalt. Und nachts nicht auf die Uhr schauen, denn das verstärkt nur den Druck, doch endlich schlafen zu müssen.

Abbott Handerson Thayer (American painter) 1849 – 1921
Sleep, 1877

Schließlich hilft vielleicht auch ein Wechsel der Sichtweise, so wie ihn Schlafforscher Björn Rasch empfiehlt: „In Stress- und Angstsituationen versuchen wir Menschen stets, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen.“ Ein generell sehr sinnvoller Mechanismus, der allerdings beim Einschlafen genau in die falsche Richtung laufe. Viele Menschen wollten ihren Schlaf kontrollieren, besonders, wenn Schlafprobleme auftreten. „Aber die Kontrolle behalten ist genau das, was beim Schlaf nicht funktioniert. Einschlafen ist immer mit einem Kon­trollverlust verbunden. Man kann nicht einschlafen wollen, man muss loslassen.“

David Hettinger, (American, 1946)
„A Break in Their Day“

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