Ikigai 4

Der japanische Neurowissenschaftler Ken Mogi und sein Buch "Ikigai"

Anhand inspirierender Lebensgeschichten und fundiert durch wissenschaftliche Erkenntnisse erklärt der japanische Neurowissenschaftler Ken Mogi die japanische Philosophie, die hilft, Erfüllung, Zufriedenheit und Achtsamkeit im Leben zu finden.

Dabei ist entscheidend, dass man sein Ziel mit Hingabe verfolgt und das, was man tut, um seiner selbst willen tut.


Die Fünf Säulen des ikigai:


1. Klein anfangen
2. Loslassen lernen
3. Harmonie und Nachhaltigkeit leben
4. Die Freude an kleinen Dingen entdecken
5. Im Hier und Jetzt sein

Vida Gábor (Hungarian painter) 1937 – 2007
The Watchmaker, s.d. aka Wonderful Watches
oil on panel

4. Die Freude an kleinen Dingen entdecken

63 Komplikationen, 980 Gramm Gewicht, elf Jahre Entwicklungszeit: Vacheron Constantin hat die komplizierteste mechanische Uhr der Welt gebaut. Eine Funktion erwies sich dabei als besonders schwierig zu realisieren.

Wenn etwas wirklich Außergewöhnliches passiert, braucht es in der Regel lange, bis Menschen dafür Worte gefunden haben. An diesem Montagnachmittag am Genfer Stadtrand gilt die Regel uneingeschränkt: Vacheron Constantin, eine Traditionsmanufaktur für uhrmacherische Höchstleistungen, hat ein neues Superteil angekündigt – und so sitzen 15 Journalisten aus aller Welt in einem Raum, der an die Lobby eines Luxushotels erinnert, und schweigen ziemlich laut vor sich hin. Das dauert eine halbe Stunde, bis Christian Selmoni, der Style-and-Heritage-Director des Hauses, sich erbarmt: Er bittet an den Tisch, da gebe es gleich etwas zu erleben.

Keine Minute dauert es, bis alle Teilnehmer sitzen, der Mann mit einem ausgeprägten Faible für doppelreihige Jacketts beginnt unverzüglich mit seinem Vortrag. Selmoni verkündet nicht weniger, als dass sein Haus erneut die komplizierteste mechanische Uhr der Welt gebaut habe. Im Rennen mit Manufakturen wie Patek Philippe, Audemars Piguet oder A. Lange & Söhne hat das Unternehmen, das zur Richemont-Gruppe gehört, damit seinen Vorsprung ausgebaut. Eine Tatsache, die für Raunen sorgt.

Die Uhr braucht einen Durchmesser von 98 Millimetern, sonst wären die 63 Komplikationen nicht zu realisieren gewesen

63 uhrmacherische Komplikationen vereint das Stück mit dem eher schlichten Namen „The Berkley Grand Complication“, benannt ist es nach seinem Auftraggeber. Normalerweise kann man bei Vacheron Constantin nicht so einfach ein Uhrwerk nach eigenen Wünschen fertigen lassen, aber in diesem Fall machte man eine Ausnahme. Mr. Berkley, ein amerikanischer Philanthrop, hat im Haus einen gewissen Ruf: Mit der Referenz „57260“ hatte er schon im Jahr 2015 gemeinsam mit der Manufaktur die komplizierteste Uhr aller Zeiten herausgebracht und dem Namen der Firma damit zu einem einzigartigen Glanz verholfen. Dieses Einzelstück brachte es auf 57 Komplikationen, acht Jahre brauchte es, bis es an die Öffentlichkeit gelangen konnte.

Doch selbst das reichte dem Auftraggeber nicht, deshalb begann die Forschungsabteilung schon parallel mit einigen Vorstudien für eine weitere Uhr. Deren besonderer Clou sollte ein ewiger chinesischer Kalender sein. Exakt an diesem Punkt erlaubt sich Selmoni ein maliziöses Lächeln. Denn hier wurde es für die drei Entwickler und Uhrmacher, in deren Händen das Projekt lag, so richtig komplex. Um es vorwegzunehmen: Wirklich verstehen, wie der erste Kalender dieser Art überhaupt funktioniert, wird von den Gästen im Raum keiner. Aber eine Ahnung von der Dimension der Problematik, die tragen alle Anwesenden davon.

Von einem Sammler in Auftrag gegeben: Rückseite von „The Berkley Grand Complication“

Selmoni führt aus, dass der gregorianische Kalender recht pragmatisch sei, weil er dem Lauf der Sonne folge. Die Asiaten aber zögen darüber hinaus Beobachtungen für ihre Kalkulationen heran, bei denen der Mond eine Rolle spiele. Im Ergebnis resultiert daraus ein für europäische Köpfe heilloses Durcheinander: Schon der Beginn eines Jahres fluktuiert, das ist man eben im Westen nicht gewohnt. Einer der drei Entwickler habe deshalb ein Jahr lang über Aufzeichnungen aus Asien gebrütet, um mathematische Formeln zu finden, anhand derer er eine Mechanik entwerfen konnte, die all die Besonderheiten darstellbar macht; eine Aufgabe, an der selbst hochbegabte Konstrukteure nur zu leicht hätten scheitern können.

Doch Yannick – den Nachnamen wird niemand erfahren, damit die Konkurrenz ihn nicht abwerben kann – löste das Problem durch eine Konstruktion, bei der neun sich drehende Scheiben im Gehäuse so miteinander synchronisiert sind, dass sie das Chaos zähmen. Der Mann, der die Materie bezwang, sitzt ganz unscheinbar am Tisch und tut so, als habe er in den elf Jahren Entwicklungszeit nur Vögel beobachtet.

Was ist wo? 26 Komplikationen auf dem rückseitigen Zifferblatt der „Berkley Grand Complication“ erläutert

Dann fliegen Informationen im Sekundentakt durch den Raum und man versteht: Aus 2877 Teilen besteht die Uhr, in ihr arbeitet ein dreiachsiges Tourbillon zum Schwerkraftausgleich, sie wiegt 980 Gramm, ihr Zusammenbau dauerte ein Jahr, sie lässt ein Glockenspiel im Westminster-Stil erklingen, verfügt über einen Flyback-Chronographen – und so geht es weiter, bis alle Gäste auf die Tischplatte schauen, weil sie nicht fassen können, was sie hören. Nur ein Preis wird nicht genannt, aber das ist nur fair gegenüber dem Auftraggeber. Zum Schluss hebt Yannick den Deckel einer Pappschachtel, in der sich die Uhr aus Weißgold befindet. Was soll man sagen? Vielleicht: Wenn etwas wirklich Außergewöhnliches passiert, dauert es lange, bis man dafür Worte gefunden hat.

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