Die Männergruppe „Be That Man“ trifft sich weiter 14-tägig Donnerstags abends im Kaffeehaus am Marktplatz in Ladenburg.
Warum Frauen gehen – und was Männer tun können
Richard Schneebauer ist seit mehr als 20 Jahren Männerberater, er hat Tausende Gespräche mit Männern geführt. Oft geht es dabei um Trennungen und die Frage: Wieso hat sie die Reißleine gezogen? Schneebauer hat Antworten.
„Plötzlich wollte sie ausziehen.“ So oder so ähnlich hat Richard Schneebauer das oft von Männern gehört, die von der Entscheidung ihrer Frau wie vor den Kopf gestoßen waren. Die gar nicht verstanden, warum sie sich „auf einmal“ trennen wollte. Der studierte Soziologe und ausgebildete Berater arbeitet seit 2000 in der Männerberatungsstelle des Landes Oberösterreich und hat seitdem Tausende Gespräche mit Männern geführt. Oft gehe es dabei um die gleichen Themen, erzählt er am Telefon – Partnerschaft und Trennung.
Sein aktuelles Buch „Männerherz – Was Männer bewegt“ verspricht „bessere Beziehungen“. Und einen Zugang zu Männlichkeit, der nicht unbedingt neu klingt, es für einige Männer aber offenbar noch immer ist. Von „Männerrechtlern“, die sich von Feministinnen und Feministen bedroht fühlen, hält Schneebauer dabei nichts. Das sei lediglich ein „Gegenschlag“. Als er mit 27 Jahren in der Männerberatung angefangen hat, habe er gemerkt, worum es stattdessen gehen sollte: „Es ist wichtig, wie es den Frauen geht. Und – nicht aber! – es ist wichtig, wie es den Männern geht.“
ICONIST: Männerberatung – schon wenn sie dieses Wort hören, haben einige Männer womöglich Vorbehalte.
Richard Schneebauer: Ich bin mit 27 in die Männerberatung gekommen, in ein Team von Psychotherapeuten und Beratern. Das ist jetzt 20 Jahre her, aber ich habe nie ganz vergessen, was der Durchschnittsmann über so eine Einrichtung denkt. Denn am Anfang hatte ich dieselben Klischees im Kopf: Dass es in der Männerberatung vor allem um Gewalt geht, dass die Männer, die kommen, Weicheier sind. Aber immer mehr Männer denken anders.
ICONIST: In Ihrem Buch schreiben Sie, viele Männer kämen erst auf sanften Druck ihrer Partnerin hin. Ist das die Mehrheit?
Schneebauer: Das erste Gespräch dreht sich meistens um die Partnerin oder die gehende Partnerin. Manche Männer kommen auch aus der Paarberatung, bei der sie gehört haben, dass sie beide etwas nur für sich tun sollen. Ich würde schätzen, bei einem Drittel ist es tatsächlich so, dass die Frau einen liebevollen Tritt in den Hintern gegeben hat. Die Themen der Männer haben sich in den vergangenen 20 Jahren kaum geändert, was sich aber geändert hat: Immer mehr Männer kommen und das immer früher. Das liegt nicht nur am Wunsch der Frauen, sondern auch daran, dass sich die Gesellschaft immer mehr mit psychischem Druck auseinandersetzt.
ICONIST: Männer haben also die immer gleichen Themen. Welche denn?
Schneebauer: Beziehung, Trennung, Scheidung. Danach kommen berufliche Überleistung, Depression und Aggression oder Gewalt. Ich leite auch eine Männergruppe mit aktuell neun Teilnehmern. Der eine ist frisch getrennt, der nächste in einer neuen Beziehung, der dritte hat Stress im Job. Die Herausforderung für die Männer ist, dass die Frauen klar sagen, was sie wollen – sie selbst es aber gar nicht so genau wissen. Im Job ja, aber nicht in ihren Beziehungen. Sie fragen sich: Wie stehe ich zu mir, ohne meine Partnerin zu verletzen?
ICONIST: Ganz doof gefragt: Was ist denn das Problem der Männer?
Schneebauer: Sie haben kaum jemanden, um über solche Dinge zu sprechen. Viele Männer haben keinen besten Freund oder einen anderen engen Kontakt außerhalb ihrer Paarbeziehung, das hat mich richtig geschockt. Durch meinen Beruf habe ich, was dem Durchschnittsmann fehlt: Wenn ich traurig oder unsicher bin, dann weiß ich von Tausenden Männern, denen es genauso geht. Dadurch entsteht eine tiefe Entspannung und Sicherheit.
ICONIST: Wie das?
Schneebauer: Wenn es um emotionale Geschichten geht, reden die meisten Männer noch am ehesten mit einer Frau darüber, aber das ist ein fragiles Instrument. Die Frauen sind nicht dazu da, uns emotional zu versorgen. Zeigt ein Mann seine Gefühle, fühlt er sich unsicher in seiner Männlichkeit – selbst, wenn eine Frau sagt, dass es total okay ist, wenn Männer Gefühle zeigen. Doch er hat das Bild im Kopf: „Als Mann sollte ich das nicht haben, die anderen haben es doch auch nicht.“ Wenn Männer nun andere Männer zum Reden haben, die auch mal sagen: „Weißt du noch, bei mir war es vergangenes Jahr ähnlich …“, dann haben sie das Gefühl, sie sind okay, wie sie sind. Solche Männergespräche machen Männer auch unabhängiger von den Frauen, dadurch können sie sie leichter lieben, weil sie die Frauen weniger brauchen.
ICONIST: Es ist okay, wenn Männer Gefühle zeigen – empfinden die meisten Frauen das so?
Schneebauer: Natürlich sagen Frauen heutzutage, dass das in Ordnung ist, sogar Nivea wirbt damit. Aber wenn es dann so ist, dann heißt es oft: „Souverän wäre uns der Mann doch lieber.“ Aber ich möchte den Ball gar nicht den Frauen zuspielen. Es beginnt im Gegenteil damit, dass der Mann zu sich selbst steht: „Ich bin jetzt eben traurig.“ Wenn ein Mann wie ein kleiner Bub dasteht, tut sich die Frau natürlich schwer, ihn ernst zu nehmen. Der Austausch in Männergruppen, das Über-sich-Nachdenken kann bewirken, dass wir als erwachsene Männer und auf Augenhöhe zu den Frauen gehen können. Dann muss kein Mann Angst vor starken Frauen haben.
ICONIST: Sie beobachten, dass Männer oft erst über sich nachdenken, wenn ihre Partnerin sich trennen möchte.
Schneebauer: Für die Männer kommt das oft unerwartet, in den Frauen war das aber ein langer Prozess. Sie macht das in der Regel auch nicht wie der Mann mit sich selbst aus, sondern spricht zum Beispiel mit ihren Freundinnen darüber. Ich denke, da wirken alte Muster noch stark: Wenn er das Gefühl hat, er kann sie versorgen und es ist zwar nicht alles siebter Himmel, aber doch in Ordnung, dann sieht er kein Problem. Frauen spüren schneller, wenn etwas in der Beziehung in Schieflage gerät. Sie beschäftigen sich ja auch mehr mit Beziehungen, kümmern sich um die Kinder und oft um die Eltern. Eines Tages bricht es dann raus – das ist aber oft eine Riesenchance, durch die Beziehung wieder lebendig werden kann. Der Mann sagt im Nachhinein oft Danke dafür.
ICONIST: Fehlt Männern denn nichts in ihren Beziehungen?
Schneebauer: Doch, da sind Männer und Frauen sogar sehr ähnlich gepolt. Es fehlt an Gesehen-, Verstanden- und Geliebt-Werden – so, wie man ist.
ICONIST: Aber Männer schlucken das eher herunter?
Schneebauer: Ja, aber das tun sie gar nicht bewusst. Sie sind einfach Weltmeister im Aushalten. In Liebesbeziehungen ist das keine gute Qualität, aber Männer wurden jahrhundertelang darauf gedrillt, und im Job zahlt es sich meistens aus.
ICONIST: Sie beschreiben noch ein weiteres Problem. Demnach wollen Männer zwar verstehen, wie es ihren Frauen geht – doch sie neigen dazu, die Antworten zu analysieren und Lösungen zu präsentieren. Das ist zu wenig, meinen Sie.
Schneebauer: Männer wissen sehr gut, dass sie ihren Frauen zum Beispiel abends zuhören sollen, aber oft tun sie sich schwer damit. Denn sie spüren die Hilflosigkeit und Traurigkeit der Frau. Wenn sie zuhören und es zulassen, beginnen sie, sich selbst so zu fühlen. Männer wollen es lieber „beheben“. Den richtigen Knopf bei der Frau drücken, sodass alles wieder gut ist und sie sich entspannen können. Die Frauen fühlen sich dadurch aber nicht gesehen.
Es gibt aber keine blödere Kombination als Hilflosigkeit und männliches Geschlecht. Eine hilflose Frau ist hilflos, das ist nicht angenehm. Ein hilfloser Mann ist hilflos und hat sofort das Gefühl, er ist kein Mann mehr, er muss dagegen etwas tun.
ICONIST: Kann man das auflösen?
Schneebauer: Auf der oberflächlichen Tippebene kann man raten: Versuchen Sie mal, zuzuhören und zu registrieren, wie es Ihrer Frau geht. Das wird aber nicht funktionieren, solange der Mann nicht registriert, dass er gerade nicht weiß, wie er seiner Frau helfen kann. Besser wäre, die Hilflosigkeit wahrzunehmen und zum Beispiel zu fragen: „Wie kann ich dir helfen?“ Sie würde dann wahrscheinlich sagen, dass er bereits hilft, indem er zuhört. Dann kann er sich wieder entspannen. Er könnte auch sagen: „Es tut mir leid, ich kann dir gerade nicht mehr zuhören, ich gehe mal eine Runde vor die Tür.“ Wenn er mitteilen kann, was das Gespräch gerade mit ihm macht – das ist Königsklasse im Mannsein und im Führen einer Beziehung.
ICONIST: Welche Rolle spielt Sexualität? Haben Männer da besondere Problemstellungen?
Schneebauer: Das Thema Pornografie ist ein Riesenthema, immer mehr, weil alles so verfügbar ist. Bei vielen Männern in der Beratung stellt sich nach einer Trennung heraus, dass es keine befriedigende Paarsexualität mehr gab, weil der Mann täglich Pornos schaute. Da geht es aber nicht um die körperliche Funktion, sondern darum, dass der Mann sich zurückzieht. Diese Männer haben oft auch keine Freunde mehr, sie tauschen sich höchstens noch etwas in Tauschbörsen für Pornos aus. Ich hatte einige Fälle in der Männergruppe, wo der Porno auf einmal nicht mehr so spannend war – weil die Männer in der Gruppe wieder richtige Gespräche führen konnten.
ICONIST: Ist Impotenz ein großes Thema?
Schneebauer: Männerberatung ist keine Impotenzberatung, aber ja, es ist immer wieder ein Thema. In der Beratung hatte ich einen interessanten Fall. Da war ein Mann, der sich in einer Ehe immer mehr Sexualität gewünscht hatte und der nach der Trennung mit einer Frau zusammenkam, die scheinbar immer wollte. Da kam es zu Impotenz, denn er konnte nicht sagen: „Ich möchte jetzt doch nicht, obwohl ich immer dachte, dass ich immer möchte.“ In dem Moment, in dem Männer sagen können „Jetzt nicht“, funktioniert es meist wieder.
Was wollen Männer? Und was treibt sie an?
Viele Männer haben einen inneren Drang nach gelungenen Beziehungen und einem freien, selbstbestimmten Leben – doch die Realität sieht oft anders aus. Im Job, in ihren Freundschaften, im Alltag und auch in ihren Beziehungen fühlen sich mehr und mehr Männer durchs Leben getrieben und suchen ihren Platz. Untersuchungen an Paaren zeigen, dass sich Partner besonders nach einiger Zeit der Distanz wieder zueinander hingezogen fühlen oder wenn sie den anderen als eins mit sich selbst erleben.
Für Männer ist es an der Zeit, noch genauer hinzuhören, was ihr Inneres zu sagen hat. So kommen sie sich selbst auf die Spur, können authentisch sein und eine Partnerschaft führen, die sie wirklich befriedigt.
ICONIST: In Ihrem Buch offenbaren Sie vieles über Ihre eigene Trennung. Sie haben mit ihrer Frau zwei Kinder, ein Haus, konnten Probleme gut lösen. Wieso haben Sie sich getrennt?
Schneebauer: Die große Frage meines Lebens. (lacht) Wir hatten uns bei der Hochzeit versprochen, uns die Freiheit zum Wachsen zu schenken. Aber wir wussten nicht, was das bedeutet. Wir hatten beide Schwierigkeiten zu sagen: „Ich wünsche mir ein anderes Leben, aber ich liebe dich, will dich nicht verletzen.“ Mit der Zeit bricht das aber durch. Deshalb lautete der Arbeitstitel meines Buchs auch „Sieg der Wahrheit“.
ICONIST: Plädieren Sie dafür, dem Partner stets ungeschönt alle Wahrheiten ins Gesicht zu sagen?
Schneebauer: Nein. „Der Hintern der Frau da vorne ist aber knackig“ – was soll das? Es geht darum zu sagen, was man denkt und fühlt. Die meisten Männer wissen aber gar nicht, was das ist. Sie empfinden vielleicht Wut, haben aber keine Ahnung, dass dahinter zum Beispiel eine Verletzung steckt. Als meine Frau und ich begonnen haben, uns die Wahrheit zu sagen, war auch die Liebe wieder da. Das war auch schmerzhaft, weil wir dennoch gemerkt haben, dass wir die kommenden 20 Jahre nicht unter einer Bettdecke liegen werden. Unser Miteinander ist jetzt liebevoller, als es wäre, wenn wir unsere Gefühle abgetötet hätten und einfach zusammengeblieben wären.