Wenn uns andere Menschen ihre Probleme schildern, besteht eine häufige, fast automatische Reaktion darin, die Schwere dessen herunterzuspielen, was sie uns sagen. Das ist nett gemeint, aber auf subtile Weise entmutigend.
Jemand erzählt uns, dass er nicht besonders gut geschlafen hat, und wir antworten in bester Absicht, dass es nicht so schlimm sei, mal auf ein paar Stunden Schlaf zu verzichten. Eine Kollegin vertraut uns an, dass sie nicht wie erwartet befördert wurde. Und wir wollen nett sein und erinnern sie daran, dass bei ihr doch eigentlich alles ganz gut voran geht. Im Extremfall erklären wir sogar einem Sterbenden: „Das wird schon wieder…“.
Oft wenden Eltern diese Strategie an, wenn ihre Kinder traurig oder wütend sind.
Kind: Ich bin traurig.
Eltern: Sei nicht albern, du kannst nicht traurig sein, du hast doch Ferien!
Kind: Ich habe solche Angst!
Elternteil: Schatz, das ist doch lächerlich! In deinem Zimmer ist nichts, wovor du dich fürchten müsstest.
Wir sind unfähig, uns mit den Schrecken unserer eigenen Existenz auseinanderzusetzen
Hinter diesen munteren Beschwichtigungsversuchen steckt eine unbewältigte Beziehung zu unserer eigenen Verzweiflung, Angst und Traurigkeit. Wir sind unfähig, uns mit den Schrecken unserer eigenen Existenz auseinanderzusetzen und leugnen darum rundheraus, dass sie im Leben anderer Menschen ihren Platz haben. Gefühlsduselig blenden wir unangenehme Aspekte der Realität einfach aus, und zwar aus Angst – nicht, weil stumpf und unsensibel wären.
Ein reiferes Verhältnis zu uns selbst, wie es die Psychotherapie fördert, kann uns mit dem eigenen Kummer versöhnen und so den dringenden Wunsch lindern, andere zu beschwichtigen. Jemand könnte frei heraus sagen, dass er traurig ist – und wir würden antworten: „Ich verstehe dich!“ Ein geliebter Mensch würde sagen: „Alles ist furchtbar!” Und wir könnten ihm voller Wärme in die Augen sehen und sagen: „Ja, manchmal fühlt es sich wirklich so an”.
Je besser wir zuhören, desto leiser kann unser gegenüber sein.
Je aufmerksamer wir sind, desto weniger vehement tragen unsere Begleiter*innen ihre negativen Gefühle vor. Je besser wir zuhören, desto leiser können sie sein. Wer sagt, er würde am liebsten alles in Schutt und Asche legen, will lediglich auf den tiefen Frust aufmerksam machen, den ihm Job oder Familie bereitet. Zum Brandstifter wird er nur, wenn wir uns weigern, zuzuhören – mit dem nötigen Einfühlvermögen und Humor. Gefühle werden nicht stärker, sondern schwächer, wenn man sie anerkennt. Es zeugt von beispielhafter Großzügigkeit und Reife, jemanden in unserer Nähe traurig und verzweifelt sein zu lassen, ohne der grausamen Versuchung zu erliegen, etwas Fröhliches zu sagen.