Seit Jahrzehnten landen zahlreiche Selbsthilfebücher auf den Bestsellerlisten. Deren typische Leitideen und Wertvorstellungen haben die westlichen Gesellschaften entscheidend verändert. Die meisten verordnen uns Optimismus, Leidenschaft und Wandlungsbereitschaft. Außerdem sollen wir unser wahres Ich finden, auf unsere innere Stimme hören und Gefühle ausdrücken.
Der dänische Psychologieprofessor Svend Brinkmann entwirft in seinem lehrreichen und vergnüglichen Buch Pfeif drauf! eine „Alternative zur Kultur der Selbstoptimierung“. Mit Scharfsinn und Humor entzaubert er zentrale Mythen der Selbsthilfeliteratur, die seiner Ansicht nach dem Seelenfrieden und dem Zusammenleben schaden. Mit einem Augenzwinkern stellt er sein Sieben-Schritte-Gegenprogramm vor, zu dem ihn die antiken Stoiker und andere Denker aus verschiedenen Zeitaltern inspirierten.
Svend Brinkmann: Pfeif drauf! Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn. Aus dem Dänischen von Andreas Brunstermann. Knaur, München 2018, 175 S., € 14,99
Brinkmann empfiehlt, Glück und Weisheit weniger im eigenen Inneren als in unseren Mitmenschen und Außenwelten zu suchen. Die ewige Nabelschau mache uns nur einsam und betrübt, weil sie das Selbst zum „Dreh- und Angelpunkt des Daseins“ erhebe. Statt zum positiven Denken rät der Autor zur negativen Visualisierung von Worst-Case-Szenarien. Die Konfrontation mit den Schattenseiten des Lebens führe zu Dankbarkeit und Willensstärke. Zudem könnten wir Inseln der Kohärenz und Routine schaffen, indem wir häufiger nein zum permanenten Veränderungswahn sagen.
Standfestigkeit und Gemütsruhe
Brinkmann erläutert, wie wir uns selbst und anderen schaden, wenn wir unsere Gefühle stets offen ausleben. Selbstkontrolle, Würde und Höflichkeit seien oft klüger und ethischer als Authentizität. Statt einen Coach anzuheuern, der uns zu Bestleistungen motiviert, sollten wir Freundschaften pflegen. Statt Selbsthilfebücher und Starbiografien zu konsumieren, sollten wir uns in gute Romane vertiefen, die uns an die Tragik und Schönheit des Lebens erinnern.
Brinkmann glaubt, dass die Selbsthilfeliteratur die Anpassung an den flexiblen Hyperkapitalismus erleichtert, in dem Arbeit und Konsum ständiger Erneuerung unterliegen. Der „manische Entwicklungsimperativ der Gegenwart“ steigere das Wirtschaftswachstum. Maßlose Selbstoptimierung störe jedoch das psychologische Gleichgewicht vieler Menschen, weil sie zu Perfektionismus, Zerstreutheit und Impulsivität führe. Außerdem zerstöre sie das Selbstwertgefühl vieler Menschen, die sich selbst die Schuld für gesellschaftliche Missstände zuschreiben.
Der Autor gesteht zwar offen ein, dass das Buch ein „groteskes Zerrbild etablierter Wahrheiten“ und ein „übermäßig düsteres Bild der Gegenwart“ zeichne. Ihm dürfte jedoch bekannt sein, dass Dänemark bei den Weltglücksberichten Jahr für Jahr zu den drei glücklichsten Ländern zählt. So schädlich können die Lebenseinstellungen seiner Landsleute kaum sein.
Dennoch liefert das Buch ein notwendiges Gegenkonzept zu beunruhigenden Kulturtrends. Es zeigt, wie wir inmitten einer sich rasend schnell verändernden Weltgesellschaft Standfestigkeit und Gemütsruhe finden können.