Viele Menschen jagen jahrelang erfolglos einem Ziel hinterher. Der Bestsellerautor John Strelecky weiß, woran das liegt – und wie man es ändert. Im Gespräch verrät er die zwei Schlüssel zum Glück und was das Beste ist, was Eltern für ihr Kind tun können.
Die Sonne gibt sich alle Mühe, trotz Herbststimmung so einladend zu strahlen, dass man von einem echten „Museumstag“ sprechen kann. Der Amerikaner John Strelecky hat den Begriff geprägt. Gemeint ist nicht etwa ein kalter Tag, der sich für Museumsbesuche eignet, sondern ein Tag, der so gelungen ist, dass man ihn gerne in sein persönliches Museum des Lebens stellen würde. Mit Erkenntnissen wie diesen erreicht der Lebenscoach und Sinnstratege ein Millionenpublikum. Konzepte wie die „Big Five for Life“, also die fünf individuellen Ziele, die jeder Mensch im Leben erreichen will, machten ihn weltberühmt.
Seine Bücher wurden in 44 Sprachen übersetzt. Doch nicht einmal in seinem Heimatland ist Strelecky so beliebt wie bei den Deutschen. Auch die fünfte Fortsetzung seiner „Das Café am Rande der Welt“-Reihe erklomm jetzt Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste. Streleckys Managerin erklärt es sich damit, dass Deutschland als Leistungsnation womöglich mehr mit Sinnkrisen zu kämpfen habe als viele andere Länder. Strelecky vermutet den Grund in einer florierenden deutschen Buch- und Schenkkultur.
WELT AM SONNTAG: In Ihrem neuen Buch beantworten Sie Leserfragen. Mehrfach geht es darum, wie man glücklich wird. Ist es das, was die meisten Menschen interessiert?
John Strelecky: Ja, die Frage, die ich am öftesten erhalten habe, beschäftigt sich mit Glück und dem Lebenssinn. Andere betreffen eher die taktische Front, etwa, woher man weiß, dass es Zeit ist, sein Leben zu verändern, oder wie man Entscheidungen trifft, wenn es so viele Optionen gibt.
WAMS: Und wie findet man den Lebenssinn?
Strelecky: Ich würde empfehlen, eine Zeit lang abzuschalten. Im leeren Raum haben wir die kreativsten Gedanken. Man sollte sich Zeit nehmen, in der Natur bei sich selbst zu sein, ohne Handy, Podcasts oder Musik, und stattdessen nur über die erste Frage meines Café-Buchs nachdenken: Warum bist du hier? Wahrscheinlich wird man nicht sofort zu einer Antwort gelangen, aber es ist etwas, das sich entwickelt, je länger man darüber nachdenkt.
WAMS: Wie verhält sich Ihr Tipp, jeden Tag zu einem Museumstag zu machen, zur Erfüllung langfristiger Ziele, die manchmal auch ein Zurückstecken an einzelnen Tagen erfordern, etwa wenn man sich wochenlang in der Bibliothek einschließen muss, um ein Buch zu schreiben?
Strelecky: Die Freude muss in der Erfahrung liegen. Ich kenne einen professionellen Beachvolleyballspieler, der jeden Tag trainiert hat, da es sein Ziel war, Meister zu werden. Und schließlich kam der Wettkampf: Er gewann. Ein High-Five, eine Umarmung – und dann war es vorbei. Alles, worauf er ein Jahr lang hingearbeitet hatte. Der Sieg dauerte nur ein paar Sekunden. Der Spieler hatte das ganze Jahr, das zu dem Moment des Sieges geführt hat, nicht wertgeschätzt. Von da an genoss er jedes Training.
WAMS: Wenn jeder nur noch tut, was ihn glücklich macht, funktioniert dann unsere Gesellschaft noch? Gibt es dann noch genug Ärzte und Müllmänner?
Strelecky: Manche sagen, wenn jeder tut, was ihn glücklich macht, wären alle Egoisten. Aber das stimmt nicht, denn in Wahrheit erfüllt es viele Menschen, anderen zu helfen. Und es wird immer Menschen geben, die gerne Müllmänner werden. Vielleicht, weil sie damit Geld verdienen, um die Bildung ihrer Kinder zu finanzieren, und das macht sie glücklich.
WAMS: Viele wählen ihre Berufe nach der Anerkennung aus, die sie ihnen verschaffen. Wie kann man sich von gesellschaftlichen oder elterlichen Erwartungen lösen?
Strelecky: Ich würde raten, die Dinge aus der richtigen Perspektive zu betrachten. In hundert Jahren wird niemand mehr Ihren Namen kennen. Wen interessiert es also, was andere über Sie denken? Eine einfache Frage, die ich Leuten in meinen Seminaren oft stelle, lautet: Wenn ich Ihnen jetzt 300 Euro geben würde, und Sie dürften Sie nicht anlegen, sparen oder Schulden damit abbezahlen, was würden Sie mit dem Geld machen? Die Antwort sagt viel über die Menschen und ihre Lebensziele aus. Die Idee ist, sich von einem Ort der Knappheit zu einem der Möglichkeit zu bewegen.
WAMS: Wie lautet Ihr Rat an Menschen, die mit einem harten Schicksalsschlag zu kämpfen haben, etwa einer schweren Krankheit?
Strelecky: Psychologische Erkenntnisse zeigen, dass eine der besten Dinge, die man in so einer Situation tun kann, ist, sich vorzustellen, wie es ist, gesund zu sein. Die Fähigkeit, sich an seine Lieblingstätigkeiten jenseits des aktuellen Zustands zu erinnern, ist der Schlüssel, um den aktuellen Zustand zu überwinden. Ich würde empfehlen, die Augen zu schließen, und sich vorzustellen, wie man das tut, was einen glücklich macht. Deshalb ist es wichtig, in seinem Leben möglichst viele glückliche Erfahrungen zu sammeln, auf die man später, auch im Alter, zurückgreifen kann.
Auch ein Cafe am Rande der Welt.
WAMS: Ist Glücklichsein nur eine Frage der Einstellung?
Strelecky: Die Glücks-Definition wird je nach Person variieren. Einige werden sagen, dass es die Gemeinschaft und der Zusammenhalt mit Menschen sind, die glücklich machen. Andere sind lieber alleine mit ihren Gedanken und Reflexionen, und würden verrückt werden, so viel Zeit mit anderen Menschen zu verbringen. Es gibt keine Standardantwort, die für alle gilt. Außer die: Kenne dich selbst und denke zurück an die Momente im Leben, die dich wirklich glücklich gemacht haben. Was an diesen Erfahrungen hat dich glücklich gemacht? Waren es die Menschen, mit denen zu zusammen warst? Die Tätigkeit, der du nachgegangen bist? Die Umgebung, in der du dich aufgehalten hast? Der erste Schlüssel zum Glück ist zu erkennen, was einen glücklich macht. Der zweite Schlüssel ist es, diese Dinge auch wirklich zu tun.
WAMS: Viele Menschen laufen jahrelang einem Ziel hinterher, das sie nicht erreichen. Das führt zu immer mehr Frustration und Enttäuschung. Würden Sie diesen Leuten raten, es trotzdem weiter zu versuchen, oder ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem es besser wäre, aufzugeben und sich einem neuen Ziel zu widmen?
Strelecky: Erstens: Erfolg ist nichts, was über Nacht eintritt. Meistens benötigt er drei Jahre engagierten Einsatz. Oft denken wir, dass Leuten ihr Erfolg einfach zustößt. Aber die Wahrheit ist, dass es sich um einen Prozess handelt, und zwar einen, den man genauso genießen sollte wie das Ergebnis. Was man außerdem am häufigsten sieht, ist, dass Leute Dinge tun, die sie zurückhalten. Entweder sie geben sich nicht hundertprozentige Mühe, weil sie Selbstzweifel haben. Oder sie haben noch nicht erkannt, wer ein gutes Vorbild wäre, zu dem sie aufschauen können. Viele Leute, die Drehbücher schreiben wollen, schreiben einfach drauf los, ohne die Struktur großartigen Geschichtenerzählens zu lernen. Ob es sich ums Filmemachen, Backen oder Malen handelt, man muss die Kunst studieren.
WAMS: Und was, wenn ein Traum trotz allem nicht in Erfüllung geht? Es wird immer Leute geben, die scheitern.
Strelecky: Das kenne ich auch. Mein Traum war es, Pilot zu werden…
WELT: Sie haben ihre gesamten Ersparnisse für die Piloten-Ausbildung ausgegeben, nur um dann kurz vor Berufsstart feststellen zu müssen, dass Sie an einer seltenen Herzkrankheit leiden, mit der Sie diesen Beruf nicht ausüben dürfen.
Strelecky: Nach einem Jahr der Depression wurde mir klar, dass es zwei Wege gibt, wie diese Geschichte ausgeht. Entweder ich erzähle mir, dass ich extrem hart für diesen Traum gearbeitet habe, alles wunderbar aussah, und er dann plötzlich zerplatzte und das das Ende war. Ich würde ein Leben voller Reue leben. Oder ich würde anfangen, mit etwas anderem weiterzumachen. Ich wurde also Wirtschaftsexperte. Weil mich das nicht erfüllt hat, entschied ich, meinem Herzen zu folgen und ein Jahr um die Welt zu reisen. Daraus entstand mein erster Roman – etwas, womit ich nie gerechnet hätte.
WELT: Ein unglaublicher Überraschungserfolg. Ihre Bücher wurden mittlerweile weltweit über zehn Millionen Mal verkauft. Wie hat Sie das verändert?
Strelecky: Als ich jünger war, hatte ich kaum Selbstvertrauen. Die Möglichkeit, jetzt mit Fans zu interagieren, ist äußerst erfreulich. Von Lesern zu hören, dass ich sie inspiriert habe, reisen zu gehen, oder dass meine Geschichte der Grund ist, dass sie heute noch hier sind, ist mehr, als ich mir je erträumt hätte. Auf der Frankfurter Buchmesse habe ich vergangene Woche eine 21-jährige Frau kennengelernt. Sie hat geweint und gesagt, sie wollte sich eigentlich das Leben nehmen, und dann sei sie zufällig auf mein Café-Buch gestoßen und es habe ihre Lebensrichtung verändert.
WAMS: Warum ist es so schwer, sein Leben zu verändern?
Strelecky: Wir denken, es sei schwer, aber das stimmt nicht. Wenn der Arzt einem sagt, dass man nur noch drei Monate zu leben hat, was tut man dann? Man kündigt am nächsten Tag. Es hängt also alles vom Kontext ab. Eines meiner Lieblingszitate lautet: „Alle Experten haben am Anfang nichts über den Bereich gewusst, in dem sie zu Experten wurden.“ Der Gedanke ist sehr bestärkend: Wir alle werden etwas aufgrund unserer Bemühungen.
WAMS: Sie empfehlen, sieben Bücher über ein Thema zu lesen, das einen interessiert, und schon ist man ein Experte in dem Bereich. Was ist Ihre Expertise?
Strelecky: Ich halte mich für eine sehr kreative und empathische Person. Ich spüre den Schmerz anderer Menschen und tue mein Bestes, meine Erkenntnisse zu teilen. Zum Beispiel bereue ich nichts an der Art, wie ich ein Vater für meine Tochter bin. Vater zu werden war für mich eine sehr bewusste Entscheidung und ich bin dankbar, dass ich erst spät, mit 38 Jahren, Vater wurde, als ich schon herausgefunden hatte, wer ich bin.
WAMS: Was ist besser an einer späten Elternschaft?
Strelecky: Im Idealfall bekommt man ein Kind, wenn man weiß, wer man ist, und nicht nach jemandem sucht, der einen vervollständigt. Dann kann man die Erfahrung der Elternschaft einfach genießen und ohne Erwartungen Liebe schenken. Ich war auch an einem Punkt meiner Karriere, an dem es möglich war, so viel Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, wie ich wollte.
WAMS: Wie lautet Ihr Rat an Eltern – abgesehen vom richtigen Zeitpunkt?
Strelecky: Eine der besten Dinge, die man als Eltern tun kann, ist seinem Kind zu erlauben, zu scheitern. Als meine Tochter vier Jahre alt war, wollte sie mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Um dort hinzugelangen, musste sie einen Hügel hinunter und sie raste wie ein richtiger Draufgänger. Alles in mir wollte ihr sagen, sie solle langsamer fahren. Aber es war wichtig für sie, herauszufinden, wo ihre Grenzen liegen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie vom Rad fällt. Und ich war ja da, um sie zu trösten. Aber das Beste, was passieren konnte, war, dass sie lernt, ihre Grenzen zu verschieben und furchtlos zu sein.
WAMS: Und wenn das Kind doch stürzt, empfehlen Sie, nicht mit ihm zu schimpfen.
Strelecky: Richtig. Wenn man sich fragt, was Leute davon abhält, ihren Weg zu gehen, dann findet man meistens ein Erlebnis aus der Kindheit, das seine Spuren hinterlassen hat und dazu führt, dass sie noch als Erwachsene Angst vor dem Scheitern haben. Wir können, besonders als Eltern, die beste Version unserer selbst sein, wenn wir einen Filter zwischen unser Gehirn und unseren Mund legen.